Zur Diskussion!

Reicht es wirklich, die Mitarbeiter der Wirtschaftlichen Jugendhilfe über die Anliegen der Sozialen Arbeit zu informieren und ihr Verständnis für die Probleme der Klienten zu wecken, damit das Geld wieder fließt?

Immer wieder gingen die Überlegungen der Zukunftswerkstatt in die Richtung, man müsse die Nicht-SozialpädagogInnen (die leider über die Geldfrage entscheiden) so zu sagen ins sozialpädagogische Boot holen, sie mit sozialpädagogischem Denken vertraut machen, ihnen erklären und anschaulich machen, was wir tun und und welche wichtigen Fragen für die uns anvertrauten Menschen daran hängen.

Ich bin der Meinung, es wird heute nicht  mehr ausreichen, die Nichtfachleute von der Sinnhaftigkeit und sozialpädagogischen Logik zu überzeugen – der Krebsschaden ist nicht deren Unwissenheit und Gleichgültigkeit. Der Webfehler liegt im System: Effizienz ist gewollt, auch in der Sozialen Arbeit, und wichtiger als Fachlichkeit. Kollateralschäden sind eingeplant und werden toleriert. Das Menschenbild hat sich verändert.

Vor 30, 20 Jahren hätte das tatsächlich gereicht. Auch da hatten Sozialarbeiter es nötig, die nicht-sozialpädagogischen Mitarbeiter vom Sinn und von den Kosten ihrer Arbeit zu überzeugen.  Und nicht immer ist ihnen das gelungen.
Die Ökonomisierung aber macht dieses Problem zu einem strukturellen Problem, das nicht allein durch mehr Selbstbewußtsein der SozialarbeiterInnen und durch mehr Kommunikation zu lösen ist.

Selbstbewusst über die eigene Arbeit und ihre notwendigen Bedingungen zu sprechen ist sicher eine ganz wichtige Voraussetzung für jeden Versuch, in dieser Sache etwas zu unternehmen. Solange aber in der Sozialen Arbeit der Effizienzgedanke genau so angewandt wird wie in jeder anderen marktwirtschaftlichen Angelegenheit, wird auch die mögliche Einsicht des einzelnen Mitarbeiters der Verwaltung in die fachliche Notwendigkeit nichts ändern. Sicher wäre die Überzeugungsarbeit gegenüber den einzelnen Kollegen der Verwaltung ein Schritt in diese Richtung. Aber erst wenn es uns gelingt, generell, öffentlich und politisch klar zu machen, dass Soziale Arbeit nicht einfach mit dem Effizienzargument platt gestrichen werden kann, weil ihre Aufgabe oft eben gar nicht in diesem Sinne „effizient“ zu bewältigen ist, erst dann kann sich in der konkreten Praxis wieder etwas ändern.

Geschichtliche Anmerkung dazu:

Als ich 1974 im Jugendamt Wiesbaden anfing, stöhnten die MitarbeiterInnen des ASD, weil sie bei jeder geplanten Hilfe zur Erziehung erst beim Abteilungsleiter der Wirtschaftlichen Jugendhilfe aufkreuzen und ihn oder seine Mitarbeiter mit Engelszungen überzeugen mussten, dass diese Hilfe pädagogisch unabdingbar notwendig war.

Weil die Wirtschaftliche Jugendhilfe aber gar nicht die Konpetenz hat, dies zu entscheiden, nahm unser Jugendamtsleiter (Sozialpädagoge) eine kleine organisatorische Systemänderung vor und der Stadtrat bestätigte sie: Die Wirtschaftliche Jugendhilfe blieb nicht länger eigene, der Abteilung ASD (Allgemeiner Sozialer Dienst) gegenüber gleichberechtigte Abteilung, sondern wurde zum Sachgebiet innerhalb der Abteilung ASD. Von Stund an wurden die Entscheidungen über Hilfen zur Erziehung von sozialpädagogischen Fachkräften getroffen und im Konfliktfall vom sozialpädagogischen Abteilungsleiter (der jetzt auch Vorgesetzer der Wirtschaftlichen Jugendhilfe war)  in diesem Sinne durchgesetzt.

Das KJHG hat übrigens 1990 diese Praxis doppelt bestätigt: mit dem Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung und mit der Aussage, dass die Entscheidung von sozialpädagogischen Fachkräften zu treffen ist (§27 KJHG).
Damit war ein Jahrzehnte lang angestrebtes Ziel der Sozialen Arbeit durchgesetzt:
die Trennung von Innen- und Außendienst war abgeschafft. Es entschieden nicht mehr Verwaltungsbeamte an ihren Schreibtischen über das Schicksal der Betroffenen, deren konkrete Lebenslage aber nur die Fürsorgerinnen im Außendienst wirklich kannten und beurteilen konnten.

Der Prozess der Ökonomisierung hat das Rad zurückgedreht. Heute  wird das sozialpädagogische Anliegen erneut unter Verwaltungs- und fiskalischen Aspekten entschieden und die AmtsleiterInnen denken in d. R. selber nur in verkürzten in Effizienzzusammenhängen und nicht im Kontext sozialpädagogischer Fachlichkeit.

Hier müsste die Lösung des Problems  liegen!

Über m.s.

Ich war 18 Jahre Professorin für Soziale Arbeit an der FH Jena (Methoden, Hilfen zur Erziehung, Schulsozialarbeit). Davor war ich 18 Jahre in der Praxis. Studiert habe ich Psychologie in Münster und Soziale Arbeit in Frankfurt a.M. Bücher: Schwarzbuch Soziale Arbeit Engaging Hilfe zur Erziehung zwischen Professionalität und Kindeswohl Das kann ich nicht mehr verantworten Ambulante Hilfe zur Erziehung und Sozialraumorientierung
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2 Antworten zu Zur Diskussion!

  1. Mechthild Seithe sagt:

    Klar geht es auch in der Sozialen Arbeit um Effizienz. Es wäre ja verrückt, sich nicht für die Frage zu interessieren, ob wir auch wirklich erreichen, was wir erreichen wollen. Das ist nur leider nicht immer so einfach zu beantworten in der Sozialen Arbeit. Manchmal gelingt es: Z.B. konnten wir vor Jahren in Wiesbaden nachweisen, dass sich durch den Einsatz der Schulsozialarbeit an der Gesamtschule die Zahl derjenigen, die eine Lehrstelle bekamen (und behielten) im Vergleich zum Stadtdurchschnitt deutlich erhöhte. Klar, da konnte jeder sehen, was wir erreicht hatten und so was überzeugte zumindest damals auch noch einen Stadtkämmerer. Aber meistens ist es viel schwieriger. Wenn ich einen Jugendlichen berate und mit ihm arbeite, der schon zwei Lehrstellen abgebrochen hat und nun die dritte endlich schaffen soll: Wie kann ich nach einem Jahr, also noch bevor die Lehre beendet ist, nachweisen, dass bzw. ob sich sein Selbstvertrauen, sein Arbeitsverhalten, seine Einstellung zur Arbeit verbessert haben?
    Und noch eins: wenn man die Arbeitsbedingungen verschlechtert und die Mitarbeiter z.B. mit höheren Fallzahlen belastet oder Beratungszeiten kürzt, wie soll man da noch Effektivität nachweisen? Das ist ungefähr so, als würde man ein Medikament zu 50% mit Wasser verdünnen und dann untersuchen, ob es wirkt. Und wenn es dann keine Wirkung mehr zeigt, sagt man schlicht: „Siehst’e, es wirkt ja gar nicht! Dann können wir es auch gleich aus dem Verkehr ziehen“
    Sprich, um effektiv zu sein, braucht Soziale Arbeit gewisse Arbeitsbedingungen.

  2. kranich05 sagt:

    Hallo,
    ich bin Laie in der Sozialen Arbeit, deshalb mag meine Frage naiv erscheinen. Aber es interesiert mich schon.
    Wer oder wie definiert sich eigentlich „Effektivität“ in der Sozialen Arbeit?
    Die Betriebswirtschaftler wissen vielleicht, wie man ein Auto effektiv herstellt. (Wie die Gesellschaft effektiv mit Autos umgehen sollte, wissen sie vielleicht schon weniger gut, wie man gerade beobachten kann.)
    Aber woran ist zu messen, ob der Sozialarbeiter mit einem Menschen effektiv arbeitet?
    Und weil heute gerade der 60. Jahrestg der UN-Erklärung der Menschenrechte ist: Hat Effektivität in der Arbeit mit Menschen auch etwas mit den Menschenrechten zu tun? 😉

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