Publiziert am 25.8.2024 von m.s.
Neues als der neoliberalisierten Sozialen Arbeit
Teil 3
Es ist schon fast 10 Jahre her, als ich zusammen mit vielen VertreterInnen der Berliner Jugendämter und Berliner Jugendhilfeeinrichtungen an einer Senatsanhörung teilnahm. Die Betroffenen – darunter etliche Berliner JugendamtsleiterInnen, Vorsitzende der Jugendhilfeausschüsse, VertreterInnen der Parteien die Linke und die Grünen und engagierte MitarbeiterInnen aus der Praxis – stellten die damalige Situation der Berliner Jugendhilfeszene in aller Deutlichkeit dar.
Es war klar: Die Jugendhilfe in den Berliner Jugendämtern stand schon seit längeren unmittelbar vor einer Katastrophe.
In einer gemeinsamen Pressemitteilung vom 6.2.23 der AG Weiße Fahnen (auf der Seite dort etwas herunterscrollen), der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft/Landesverband Berlin und des Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit/Landesverband Berlin heißt es:
„Seit über 10 Jahren rufen Fachkräfte um Hilfe und sprechen über die anhaltend katastrophalen Zustände im Berliner Jugendhilfesystem. Wie im November 2022 in der Presse angekündigt, stecken wir jetzt mitten im Kollaps: Einrichtungen können nicht mehr aufnehmen, Notdienste und Jugendämter verbarrikadieren sich teilweise. Es gibt unzählige Forderungen an Jugendhilfeausschüsse, Hilferufe aus den Notdiensten; RSDs kündigen wochen- und monatelange Schließzeiten für Verwaltungsarbeit an; Eltern, Kinder und Jugendliche sind auf sich alleine gestellt …und nichts passiert!“
Die „AG Weiße Fahnen“, entstanden aus der damaligen Initiative der MitarbeiterInnen des Jugendamtes Mitte, kämpft seit Jahren um eine Verbesserung. Ohne durchschlagenden Erfolg, ohne angemessene Resonanz bei den politischen VertreterInnen.
Auch die Demonstration vom Juli 2023 ist ohne nennenswerte Erfolge geblieben: Damals sagte die 2. Vorsitzende des Berufsverbandes der Sozialen Arbeit in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel, es brenne aber nicht nur in den Notdiensten, sondern im ganzen System. Während der Corona-Pandemie seien Einrichtungen geschlossen worden, der Bedarf gestiegen. Inzwischen gebe es deshalb zu wenig Plätze in Kinder-, Jugend- und Mädcheneinrichtungen.
Notdienste wie der KND (Kindernotdienst) sind Anlaufstellen in Krisensituationen, Kinder und Jugendliche sollen dort eigentlich nur kurzzeitig für bis zu drei Tage untergebracht werden. Im KND bleiben die Kinder laut einem Bericht des RBB inzwischen aber teils mehrere Monate, weil langfristige stationäre Einrichtungen nicht genügend Plätze haben.
Seither hat sich die Lage kaum verändert.
Ich erinnere mich genau: Auch damals ging die Anhörung aus wie das Hornberger Schießen:
– Der CDU-Vertreter meinte, die Jugendämter seien sich gar nicht einig (er berief sich darauf, dass ein einziger der über 15 anwesenden Amtsleiter bemerkt hatte, er habe keine Probleme und käme mit dem Geld gut zurecht).
– Der SPD-Vertreter meinte, das sei ja alles schön und gut. Aber es gäbe viele Begehrlichkeiten in der Stadt, z.B. im Straßenbau und da sei die Jugendhilfe noch nicht dran.
Ich habe lange nicht ganz verstanden, woher die politischen VertreterInnen unserer Stadt angesichts der geschilderten Problemlagen ein solches Maß an Ignoranz hernahmen. Waren sie taub? Waren sie Menschenverachter?
Dann habe ich es irgendwann verstanden:
Da gibt es das ständige und von allen wie ein Gebet wiederholte Mantra von den „knappen Kassen“. Mit diesem Argument wird alle abgeblockt, seit Jahr und Tag und heute genauso.
Wir alle wissen, dass diese Gesellschaft und auch diese Stadt durchaus Geld genug hätte, diese Katastrophen zu beheben. Die Kassen sind nicht generell knapp. Sie sind gewollt knapp für diejenigen, die aus der Sicht der Politik nicht so wichtig sind.
Und nicht nur das: Es ist eine tief eingewurzelte Ansicht neoliberaler Politik, dass gerade Soziale Arbeit weitgehend solche Aufgaben erledige, die gar nicht wirklich nötig seien, dass sie diese zumindest auf eine Art und Weise erledige, die viel zu viel Geld verschlinge, weil die SozialarbeiterInnen zu weich, zu nachgiebig, nicht hart genug durchgreifen würden. Es gibt die Vorstellung, dass Soziale Arbeit sich ihr Aufgabenpensum und ihre Fälle selbst verschafft, um so als Beruf überleben zu können. Und man meint vor allem, dass KNAPPE KASSEN hier hilfreich sein können, denn sie zwingen angeblich die Soziale Arbeit dazu, sich mehr zu beeilen, sich Lösungen auszudenken, die kostengünstiger sind, sich die ganzen überflüssigen Umwege aus den Köpfen zu schlagen. Das sind die alten neoliberalen Argumente, die ab Hartz IV die Diskussion in der Sozialpolitik beherrschten und die jede Form des Sozialen letztlich für überflüssig, ja für schädlich halten.
Jetzt ist mir klar, warum diese Stadtväter (es waren nur Männer, aber das will nichts heißen, wir hatten auch schon Frauen, die sich der gleichen Ignoranz bedienten) ohne mit der Wimper zu zucken, die Schilderungen der Jugendhilfe-Katastrohen mit einem müden Lächeln überhörten und immer noch überhören. Sie denken sich vermutlich mit einer gewissen Genugtuung: ‚Na das klappt ja prima. Je weniger die bekommen, desto munterer werden sie und lassen sich was einfallen. Und es geht irgendwie ja auch so.‘
Knappe Kassen sind kein Zustand, sie sind eine politische Strategie des Neoliberalismus gegenüber allem, was er für Überflüssig hält.