
…
mit ihrer überzeugenden, praktischen und empathischen Beschreibung, wie eine Soziale Arbeit auch nicht nicht-motivierten KlientInnen aussehen kann …
AutorInnen, die mich für mein Buch inspiriert haben (Neuerscheinung: Soziale Arbeit und Neoliberalismus heute: schwarz auf weiß | SpringerLink)
– Teil 1
Ich beginne mit einer Autorin, die mir im Band von Gehrmann und Müller auffiel, mit Frau Dr. Hiebinger. Ihr Text hat mich in vielerlei Hinsicht beeindruckt. (Hiebinger, I. (2007): Die sozialökologische Orientierung als Domäne Sozialer Arbeit. In: Gehrmann, G./Müller, K.D. (Hrsg.): „Aktivierende Soziale Arbeit mit nicht-motivierten Klienten. Regensburg/Berlin: Walhalla. S. 41ff.)
Ich habe eigentlich noch nie eine so lebendige, überzeugende, konkrete und engagierte Darstellung praktischer Sozialer Arbeit und den damit unbedingt verbundenen spezifischen Umgang mit den Menschen gelesen, um die es geht. Alles was sie sagt strahlt eine hohe fachliche Kompetenz und Sicherheit und gleichzeitig einen unerschütterbaren Respekt vor dem anderen Menschen aus.
Thematik von Hiebinger:
Er reiht sich ein in Aufsätze in einem Buch, das auf den ersten Blick darum bemüht ist, den aktivierenden Staat und seine Soziale Arbeit anzupreisen. Überraschenderweise geht es bei ihr dabei aber nicht um die üblichen neoliberalen Kundenvorstellungen, sondern darum, wie man als SozialarbeiterIn mit nicht-motivierten KlientInnen arbeiten kann.
Das ist ein Thema, das in der üblichen Fachliteratur nicht gerade eine prominente Stellung einnimmt und aus neoliberaler Sicht eigentlich geradezu kontraproduktiv eingeschätzt werden müsste. In den von mir untersuchten 10 Methodenbüchern zum Beispiel findet diese Thematik erschreckenderweise kaum Beachtung.
Unbeirrt von neoliberalen Avancen
Was nun Hiebinger über die Arbeit mit nicht-motivierten KlientInnen schreibt hat mit Neoliberalismus, mit aktivierendem Staat, mit einer geforderten Aktivität, ohne die die Unterstützung nicht zu haben ist, nichts, aber auch gar nicht zu tun.Hiebinger geht an ihr Thema mit der „naiven“ Überzeugung heran, dass eine Soziale Arbeit, die sich an Menschen richtet, diese in jedem Fall wie Menschen behandeln muss, Menschen mit Schwierigkeiten, mit Schwächen, mit Ängsten, mit Eigensinn…
Dabei lässt sie sich weder von Ängsten vor einer Defizitorientierung oder von Warnungen, die Klientel könnten von ihr abhängig werden, weil sie eine professionelle Beziehung zu ihnen aufbaut, beunruhigen, noch von der neoliberalen Forderung, möglichst schnell und kostengünstig zu arbeiten oder der Angst, sie könnte die Klientel durch ihre Fachkenntnisse und ihre Expertise bevormunden und unterdrücken. Für sie ist selbstverständlich, dass sie die Zeit braucht, die nötig ist, dass sie soviel Unterstützung leistet, wie erforderlich ist.
Hier ein paar Aussagen, wie ich sie in meinem Buch zitiert habe:
- Nach Hiebinger (2007, S. 40) sieht die sozialökologische Perspektive „den Menschen eingebettet … in seine sozialen Beziehungen, Institutionen, in sein Wohnumfeld und die Arbeitswelt.“ Sie erfasst „den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit und mit den sozialen, kulturellen, ökonomischen Umweltbedingungen“. „Ob Lebensbewältigung gut gelingt“, schreibt Hiebinger weiter, „ist im ökologischen Verständnis nicht nur eine Folge individueller Kompetenz, sondern auch ein Ausdruck der Möglichkeiten, die dem Individuum in seiner Umwelt zur Verfügung stehen und zugleich auch Ausdruck, wie das Individuum sie wahrnimmt und nutzt“ (ebd., S. 42) (vgl. Seithe 2025, S. 55).
- Hiebinger (2007, S. 74) betont die Bedeutung einer Beschäftigung mit dem persönlichen Leid und der persönlichen Betroffenheit:
„Ein erster wichtiger Schritt ist das Erfragen, Zuhören, Beobachten und Verstehen der Sicht und des Standpunktes der KlientIn. Den betroffenen Klienten oder der Familie muss ein wirkliches Interesse an ihrer Sichtweise signalisiert werden… Der Sozialarbeiter achtet auf den Teil der Erzählung, in dem Stärken sichtbar werden und gleichzeitig gibt er genügend Raum, die Sorgen und belastenden Lebensbedingungen anzuerkennen … Es ist wichtig, auch die Erfahrungen und das Leid der Klienten zu würdigen. Das schafft Vertrauen und fördert die Kooperation und gibt die Sicherheit, die Klienten motiviert, Mut zu Veränderungen aufzubringen“. Hiebinger ist es besonders wichtig, dass es nicht nur und nicht gleich um das Erheben und Betonen der Stärken gehen muss. „Es genügt nicht, nur auf Stärken zu achten und einfach positiv zu sein. In der Arbeit geht es um eine angemessene Balance zwischen der Bestätigung/Würdigung der Erfahrungen und der Lebenssituation der Klienten und gleichzeitig deren Förderung/Anregung“(ebd., S. 75). (vgl. Seithe 2025, S. 81/82 - Als Beispiel eines umfassenden und sozialpädagogisch ausformulierten Arbeitsansatzes, der den Menschen in seine sozialen Beziehungen und seine soziale Umgebung eingebettet sieht, sei hier der „sozialökologische“ Ansatz von Hiebinger (2007, S. 41ff) genannt: Sie führt ihren Ansatz folgendermaßen ein: (ebd. S. 46):
- „Soziale Arbeit kann sich nämlich nicht nur auf Beziehungs- und Kommunikationsprobleme beschränken – wie etwa Psychotherapie -, sie muss den Blick erweitern und die gesamte Lebenssituation des Klienten betrachten. Neben Beziehungsproblemen müssen Sozialarbeiter vor allem „soziale Notlagen“ (Wohnungsprobleme, existentielle und finanzielle Probleme, Arbeitslosigkeit, Flüchtlingsprobleme, Diskriminierung und Vorurteile, Alkohol- oder andere Suchtprobleme usw.) als wesentliche Risikofaktoren mit im Blick haben. … „Gleichzeitig ist damit auch ein aktives Bemühen um Veränderungen in der Umwelt gemeint, damit die soziale und physische Umwelt den Bedürfnissen und Zielen der Menschen besser entspricht.“ Was die Ressourcen der Umwelt betrifft, so Hiebinger, geht es sowohl um die Möglichkeiten, die dem Individuum in seiner Umwelt bereits zur Verfügung stehen als auch darum, wie sie wahrgenommen und genutzt werden. Das heißt, es gilt nicht nur, Ressourcen zu finden, sondern auch dafür zu sorgen, dass sie wirksam werden (vgl. Seithe 2025, S. 96)
- Hiebinger (2007, S. 42ff) geht davon aus, dass es Aufgabe der SozialarbeiterInnen sei, das Erlernen von Aktivität methodisch zu unterstützen. Es sei wichtig, dass KlientInnen sich ihren Möglichkeiten gemäß entwickeln können. Hiebinger ist eine der eher seltenen VertreterInnen der Disziplin, die bewusst ihre Konzeption auf die Arbeit mit nicht-motivierter Klientel ausrichtet. Dabei ist es ihr besonders wichtig, dass in der Arbeit mit nicht-motivierten KlientInnen deren Würde gewahrt wird und der Umgang mit ihnen den ethischen Prinzipien folgt (vgl. Seithe 2025, S. ).
- „Soziale Arbeit kann sich nämlich nicht nur auf Beziehungs- und Kommunikationsprobleme beschränken – wie etwa Psychotherapie -, sie muss den Blick erweitern und die gesamte Lebenssituation des Klienten betrachten. Neben Beziehungsproblemen müssen Sozialarbeiter vor allem „soziale Notlagen“ (Wohnungsprobleme, existentielle und finanzielle Probleme, Arbeitslosigkeit, Flüchtlingsprobleme, Diskriminierung und Vorurteile, Alkohol- oder andere Suchtprobleme usw.) als wesentliche Risikofaktoren mit im Blick haben. … „Gleichzeitig ist damit auch ein aktives Bemühen um Veränderungen in der Umwelt gemeint, damit die soziale und physische Umwelt den Bedürfnissen und Zielen der Menschen besser entspricht.“ Was die Ressourcen der Umwelt betrifft, so Hiebinger, geht es sowohl um die Möglichkeiten, die dem Individuum in seiner Umwelt bereits zur Verfügung stehen als auch darum, wie sie wahrgenommen und genutzt werden. Das heißt, es gilt nicht nur, Ressourcen zu finden, sondern auch dafür zu sorgen, dass sie wirksam werden (vgl. Seithe 2025, S. 96)
Wer ist Frau Hiebinger?
FH-Prof. Mag.a Dr.in Irene Hiebinger, DSAin, ehem. Professorin an der FH OÖ, arbeitete als Sozialarbeiterin in der Kinder-Jugendhilfe, als Psychotherapeutin / Psychologin / Mediatorin im Institut für Familien- und Jugendberatung, als Supervisorin und Psychotherapeutin in freier Praxis und von 2004 bis November 2020 als Professorin am Studiengang Soziale Arbeit. Ich kann nicht umhin, hervorzuheben, die Tatsache, dass diese Frau von Haus aus Psychologin ist.
Die Rolle einer nicht-individualisierenden Psychologie für das sozialarbeiterische Handeln:
Meine Beobachtung ist, dass bei den KollegInnen, die mehr aus der Soziologie-Ecke kommen, der eigentliche Prozess der Zusammenarbeit mit der Klientel immer eine Art Black Box bleibt und man mitunter den Eindruck hat, dass gerade der Bereich auch diese lieben Kollegen eher etwas unheimlich und undurchschaubar scheint. Gerade bei solchen KollegInnen finde ich oft eine tiefe Abneigung und ein großes Mistrauen der Psychologie gegenüber, die sie grundsätzlich der Individualisierung, der Nichtbeachtung sozialer und gesellschaftlicher Bedingungen bezichtigen. Dass die Psychologie gesellschaftliche Zusammenhänge nicht berücksichtigt, dass sie ausschließlich psychische Zusammenhänge zur Erklärung von Problemlagen heranzieht, das sind Vorurteile, mit dem ich mich, als Psychologin und Sozialarbeiterin herumschlage (und herumärgere), seit ich in der Sozialen Arbeit tätig bin.
Hiebinger ist ein Beweis dafür, dass Psychologie so nicht sein muss. Sie macht die Anteile, die die Psychologie für die Soziale Arbeit einbringt, auf der einen Seite sehr deutlich. Gleichzeitig zeigt sie auf, dass diese keineswegs dazu führen (müssen), von gesellschaftlichen Kontexten abzulenken.
Literaturhinweis:
Hiebinger, Irene (2007): Die sozialökologische Orientierung als Domäne Sozialer Arbeit. In: Gehrmann, G./Müller, K.D. (Hrsg.): „Aktivierende Soziale Arbeit mit nicht-motivierten Klienten. Regensburg/Berlin: Walhalla. S. 41ff.