Stellungnahme zum 14. Kinder- und Jugendbericht

Berlin 18.12.2013

 Der 14. Kinder- und Jugendbericht befasst sich mit  sehr vielen Bereichen und Themen der Kinder- und Jugendhilfe. Hier soll  im Wesentlichen das einbezogen werden, was die Hilfe zur Erziehung im engeren und weiteren Sinn betrifft.

Liest man den aktuellen Kinder- und, so hat man zunächst den Eindruck, hier würde differenziert und anhand zahlreicher Recherchen, statistischer Daten und empirischer Belege zu vielen Aspekten Stellung genommen und zum Teil durchaus auch kritisch berichtet.

Bei genauerer Betrachtung aber fallen doch erhebliche Mängel auf, die wir hier kritisch beleuchten wollen.

Der Bericht übersieht oder negiert zentrale Schwachstellen der gegenwärtigen Kinder- und Jugendhilfe

Die im Bericht genannten Kritikpunkte an den gegenwärtigen Hilfen zur Erziehung verpassen zentrale Problempunkte.

  1. Im Bericht fehlt z.B. – mit Ausnahme in Bezug auf die Situation der ASD-MitarbeiterInnen – ein deutlicher Hinweis auf die  prekären Arbeitsverhältnisse der Sozialarbeitenden in vielen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe und insbesondere in den ambulanten Hilfen zur Erziehung. Zur Lage der MitarbeiterInnen in den Hilfen zur Erziehung werden nur die Themen ‚Teilzeit‘ sowie das Thema ‚Qualifikation‘ problematisiert, außerdem das Thema ‚Fachkräftemangel und  Personalwachstum‘. Die fatalen Auswirkungen der  Ökonomisierung auf die „Produktionsbedingungen“ und die fachlich unzureichenden Rahmenbedingungen der ambulanten Hilfe zur Erziehung werden bestenfalls kurz angedeutet (14. Jugendbericht der Bundesregierung 2013, S. 336). Die wirkliche Arbeitssituation der SozialpädagogInnen und die Rahmenbedingungen der Hilfen werden von den AutorInnen kaum in den Blick  genommen, und wenn doch, dann verschwinden entsprechende Aussagen gleich  wieder hinter dem großen eher verwirrenden aber insgesamt doch üppigen Bild der Kinder- und Jugendhilfe.
  2. Es handelt um einen  Bericht, der sich mit hohem analytischem Engagement auf der Erscheinungsebene tummelt, also weder die Hintergründe noch die  Folgen von Mängeln ins Visier nimmt. Zudem wird  versucht, die ausschlaggebenden Hintergründe für bestehende Problemlagen herunter zu spielen: Der Bericht drückt sich um jede systematische und grundlegende Kritik an politischen und ideologischen Vorgaben.
    Mitunter passiert es aber auch, dass die Kommission bestimmte Aspekte sehr wohl kritisch zu bewerten scheint. Aber auch dann erfolgt keine Stellungnahme oder offensive Wertung dieser Fakten und Entwicklungen. Zum Beispiel gibt der Bericht zwar Hinweise, dass der starke Ausbau der Sozialpädagogischen Familienhilfe zusammenhängen könnte mit dem Versuch, mehr zu kontrollieren (in HzE und ASD). Es werden also in aller Deutlichkeit massive Auftragsveränderungen in den Hilfen zur Erziehung festgestellt. Aber auch dazu erfolgt keine Stellungnahme, kein Kommentar.
  3. Der Bericht befasst sich in erster Linie mit Quantitäten, nicht mit Qualitäten. Er spricht von „empirisch identifizierbaren  Wachstumsraten, die sich an mehreren Indikatoren der Kinder- und Jugendhilfe ablesen lassen. So zeigt sich durchgängig ein Anstieg an Plätzen, Diensten, Personal und folgerichtig auch an Ausgaben“ (14. Jugendbericht der Bundesregierung  2013,  S. 251).
    Wenn er auch an einer Stelle die überraschende Anmerkung macht, dass: „es deutliche Hinweise darauf gibt, dass die Qualität – bei aller Quantität und vielleicht gerade im Zusammenhang damit – gewaltigen Einbußen unterliegt und damit den quantitativen Erfolg mehr als fragwürdig macht“ (14. Jugendbericht der Bundesregierung  2013, S. 41). Der Bericht stellt ansonsten durchgehend die quantitative Entwicklungen in den Vordergrund.

 

Der Bericht vermeidet jede Konfrontation mit der Politik und dem aktivierenden Staat

Insgesamt kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Autoren es sich mit dem mächtigen Partner Politik nicht verderben wollen.

  1. Eine letztlich duldende, mitunter sogar verständnisvolle Haltung gegenüber neuen Kontrollaufgaben, dem dominierenden Effizienzprinzip, dem ausufernden Dokumentieren usw.  ist nicht zu übersehen, auch wenn an wenigen Stellen  vorsichtig kritische Anmerkungen dazu gemacht werden.
    Die Folgen dessen, was berichtet wird und vor allem auch dessen, was als kritisch zu bewerten wäre, bleiben unterbelichtet und Forderungen der Kommission, wenn überhaupt formuliert,  sind eher pauschale, vage, vorsichtige Empfehlungen.
    Mitunter kommen die AutorInnen durchaus selbst auf für sie inakzeptable gesellschaftspolitische Phänomene, aber sie bleiben auch hier in ihrer Stellungnahme zurückhaltend und bescheiden:
  2. So stellen Sie mehrfach fest, dass heute die Tendenz vorherrsche, Menschen und damit auch Kinder  und Jugendliche unter einem reinen gesellschaftlichen Nützlichkeitsaspekt zu sehen und sozusagen nur als Träger von Humankapital zu werten. Dass Kinder mehr sind als nur öffentliche Güter, ist für die VerfasserInnen des Berichtes klar und wichtig. Trotzdem erfolgt zu diesem Punkt keine Auseinandersetzung, kein Diskurs, keine Forderung. Die VerfasserInnen machen vielmehr nur vorsichtig darauf aufmerksam, dass man das nicht so einseitig sehen dürfe (14. Jugendbericht der Bundesregierung 2013, S. 39). Man begnügt sich also damit, die Politik darauf hinzuweisen, dass man neben der neoliberal geprägten Sicht auch noch eine andere, eher sozialpädagogische Wahrnehmung haben kann.
  3. Ein Anliegen, dass den AutorInnen selbst offenbar besonders am Herzen liegt, ist die Verringerung der in unserer Gesellschaft bestehenden Ungleichheit. Im Bericht werden immer wieder die ungleichen Lebensbedingungen und Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen herausgearbeitet und es wird (selbst)kritisch auch die Frage gestellt, wie weit die KJH zur Verstärkung dieser Ungleichheiten beitragen mag (14. Jugendbericht der Bundesregierung 2013, S. 374, 418).
    So stellen die Sachverständigen fest: „Während der weitaus überwiegende Teil der Heranwachsenden auf eine einigermaßen sorgenfreie Zukunft blicken kann, mit Netz und doppeltem Boden über die Eltern abgesichert ist, kommt hierzulande immerhin fast jeder dritte junge Mensch aus einem Elternhaus, das entweder von Armut bedroht ist, in dem die Eltern keiner Erwerbstätigkeit nachgehen oder aber selbst keine ausreichenden Schulabschlüsse vorweisen können“ (14. Jugendbericht der Bundesregierung 2013, S. 45). Aber sie kommentieren: „Dem Sozialstaat ist es bislang nicht gelungen, herkunftsbedingte Benachteiligungen nachhaltig abzubauen. Im Gegenteil: Die Ausweitung öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen junger Menschen hat sogar unbeabsichtigt zur Entstehung weiterer Ungleichheiten beigetragen (14. Jugendbericht der Bundesregierung 2013, S. 50).“
    Mit Sozialstaat ist hier der so von ihnen bezeichnete „investive, aktivierende Sozialstaat“ gemeint, denn erst seit dessen Existenz ist diese Entwicklung so dramatisch geworden.
  4. Es wird nicht gesehen, dass die festgestellte und monierte  Ungleichheitszunahme parallel zu der Neoliberalisierung unserer Gesellschaft und der absoluten Herrschaft des gewinnorientierten Marktes geschehen ist. Und schon gar nicht wird der Schluss gezogen, dass der Abbau des früheren Sozialstaates, als Staat von Rechten und Ansprüchen der Bürger, diese Entwicklung verursacht hat.
    Es wird nicht gefragt, warum unser Staat diese Aufgabe nicht gelöst hat oder ob er sie vielleicht gar nicht lösen will. Der Bericht begibt sich eben nicht in eine Auseinandersetzung mit dem politischen System. An dieses System gerichtet gibt es bestenfalls vorsichtige Erinnerungen oder Bitten, keine Kritik, keine Aufforderungen, keine sozialpolitischen oder gesamtgesellschaftlichen  Forderungen.
  5. Mitunter erstaunt auch eine gewisse Gutgläubigkeit der AutorInnen der Politik gegenüber.Es wird z.B. aus den vorhandenen statistischen Ergebnissen richtig gefolgert, dass in den letzten Jahren die ambulanten Hilfen stärker gewachsen sind als die stationären Hilfen. Eine durchaus bekannte Tatsache ist es aber, dass die „Ambulantisierung“ in der Hilfe zur Erziehung zunehmend durch den Druck der zu leistenden Kostenreduktion unterstützt und herausgefordert wird und wurde und die Frage im konkreten Fall  nicht selten völlig im Hintergrund bleibt, ob es in einem konkreten Fall fachlich noch sinnvoll ist, ambulant zu arbeiten, oder aber, ob eine Fremdplatzierung eingeleitet werden müsste.
    Das Gleiche gilt für die im Bericht erwähnte Verbesserung der sozialräumlichen Angebote. Die Sozialraumkonzeption wird im Bericht fachlich durchaus  korrekt vorgetragen. Aber eben diese fachliche Korrektheit und Motivationslage wird dann auch den politischen Akteuren unterstellt. Der Missbrauch dieses Ansatzes für eine Diskreditierung und Zurückdrängung der Hilfen zur Erziehung, der seit Monaten in der konkreten Praxis in Hamburg und an anderen Orten dieser Republik deutlich erkennbar ist, wird offenbar überhaupt nicht  für möglich gehalten (14. Jugendbericht der Bundesregierung 2013, S. 258,).

 

Der Bericht unterschätzt die Rolle der Neuen Steuerung, der Ökonomisierung und der Manageralisierung  der Kinder- und Jugendhilfe und ist für ihre Folgen blind

 

  1. Die Ökonomisierung erscheint im Bericht als ein eher nicht so wichtiges Randmoment. Wo sie erwähnt wird, wird sie mitunter so dargestellt, als handele es sich um eine groteske Übertreibung, die nur bei einigen Einzelbeispielen eine Rolle spiele. Folgen des substantiellen Qualitätsverlustes und der damit einhergehenden Folgen für die AdressatInnen bleiben ungenannt. Es gibt ausschließlich Hinweise auf das dadurch veränderte Verhältnis zwischen öffentlicher und nicht-öffentlicher Jugendhilfe. Der Bericht kommt zudem zu der erstaunlichen und merkwürdig begründeten Aussage, man könne gar nicht von einer Verbetriebswirtschaftlichung der Kinder- und Jugendhilfe sprechen, da sich herausgestellt habe, dass zur Zeit  nur 1%- bis 5% der Leistungsanbieter gewinnorientierte Unternehmen seien.
  2.  Entwicklungen, die in die Richtung einer zunehmenden Ökonomisierung und Neoliberalisierung weisen, werden im 14. Kinder- und Jugendbericht durchgängig verharmlost, vermengt, verwässert und vor allem als gegeben hingestellt. Und es wird vermieden, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass es genau diese Faktoren sind, die das derzeitige Dilemma der Kinder- und Jugendhilfe bewirken: die qualitative Rückentwicklung der ambulanten Hilfen zur Erziehung bis hin zu möglicher Wirkungslosigkeit oder gar zu kontraproduktiven Folgen – und das bei gleichzeitig quantitativem Ausbau, der auf den ersten Blick natürlich den Eindruck erweckt, dass sich die Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe an den steigenden Bedarfen orientiere.
  3. Dass für die AutorInnen des 14. Kinder- und Jugendberichtes all diesen so entscheidenden neoliberalen Veränderungsfaktoren eine eher nebengeordnete Rolle spielen, ist nur erklärbar mit der Tatsache, dass inzwischen diese Veränderungen  auch bei diesen Sachverständigen als unhinterfragbar und auch als unwiderruflich gelten und sie somit ihrer Meinung nach als die selbstverständliche, ethische und materielle Basis des Sozialen in unserer Gesellschaft hingenommen werden müssen. Obwohl die Umsteuerung eigentlich erst seit gut 20 Jahre eine große Rolle spielt, scheint es so, als hätte es nie etwas anderes gegeben als den investiven, selektiven und aktivierenden Staat.
  4. Die von ihnen beschriebene  „Gemengelage“ in der „öffentlichen Verantwortung“ wird also als  „historische Entwicklung“ (14. Jugendbericht der Bundesregierung 2013, S. 68), nicht aber als Folge einer politischen Entscheidung gesehen. Ein Verständnis dafür, dass diese, wie im Bericht bezeichnete „historische Entwicklung“ sich eben erst in den letzten 20 Jahren abgespielt hat und noch nicht beendet ist, dass sich hier politische Entscheidungen manifestieren, die auch anders aussehen könnten und die in einem demokratischen Staat nach wie vor zur Debatte stehen und stehen müssen, zeigt sich nicht.

 

Der Bericht sieht die  Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe in der  Fortsetzung und Erweiterung der Unterwerfung des Sozialen durch den Markt

 

  1. Deshalb bezieht sich unsere Hauptkritik am 14. Kinder- und Jugendbericht auf den ignoranten Umgang mit den Veränderungen, die durch die Neue Steuerung und die Verbetriebswirtschaftlichung innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe vollzogen wurden, sowie auf die marginalisierte und marginalisierende Wahrnehmung der Sachverständigen von deren der Folgen: die primäre Orientierung an der Effizienz, die Umwandlung von Hilfeangeboten in industrielle „Produkte“ einer potentiell gewinnorientierten Dienstleistungsindustrie usw., also alles das, was Folge der Neuen Steuerung ist. Die neoliberale Ideologie des aktivierenden Staates  hat  auch die Kinder- und Jugendhilfe durch eine Einordnung in den Markt und durch die Oktroyierung eines neuen, ökonomisierten Menschenbildes längst ihren ideologischen und politischen Vorstellungen unterworfen.
  2. Die gesellschaftlichen Veränderungen in Bezug auf die Kinder- und Jugendhilfe, die sich seit etwa 20 Jahren ausbreiten, werden von den VerfasserInnen rein phänomenologisch als „Wechsel vom fürsorglichen und (Hilfen selbst-) produzierenden Sozialstaat zum „investierenden und aktivierenden Sozialstaat“ gesehen.
    Die Sachverständigen des 14. Kinder- und Jugendberichtes sprechen statt von einer Vermarktlichung von einer neuen „öffentlichen Verantwortung“ im „selektiven Sozialstaat“, in der der Markt,  der Staat, die Zivilgesellschaft und  der intermediäre Bereich gemeinsam und in einer komplizierten Gemengelage zusammen wirken (14. Jugendbericht der Bundesregierung 2013, S. 67).
    Im Begriff des „investierenden Sozialstaates“ versteckt sich die allgemeine Dominanz des Marktes in allen Bereichen der Gesellschaft, natürlich auch in der Sozialen Arbeit. Um die Folgen dieser Vermischung des Marktes mit den anderen „Wohlfahrtsproduzenten“ macht man sich keine ernsthaften Gedanken.
  3. In der Beschreibung des Berichtes dieser „Gemengelage“ erscheint der Markt zunächst ausschließlich als Institution, die Angebote produziert und nicht als gesamtgesellschaftliche Orientierung und Steuerung, so als wären die Merkmale Wettbewerb und Gewinnorientierung in der Kinder- und Jugendhilfe nur bei den „gewinnorientierten Trägern“ Thema.
    Auch der Staat  bzw. sein ausführendes Organ, die öffentliche Jugendhilfe, wird in dieser Gegenüberstellung (ebenda) nur in der Rolle der Angebotsproduktion gesehen, nicht in seiner Funktion als Inhaberin der Gesamt- und Planungsverantwortung einschließlich der Gewährleistungsverpflichtung gemäß §§ 79, 80 SGB VIII sowie der Leistungsverpflichtung im Einzelfall gemäß § 3 Absatz 2 Satz 2 SGB VIII. Was deshalb  an dieser Stelle des Berichtes unbeleuchtet bleibt, ist die Tatsache, dass der öffentliche Träger neben seiner möglichen Produktionsaufgabe vor allem die Aufgaben der Kontrolle und der Steuerung der Kinder- und Jugendhilfe hat und dass die praktische Ausübung dieser Funktionen im Vergleich zu dem, was in § 2 des SGB VIII steht, deutlich an Härte und Durchschlagskraft zugenommen hat und sich vor allem selbst ganz eindeutig und gezielt marktwirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Methoden der Kontrolle bedient.
  4. Allerdings nennen die AutorInnen dann auch eine ganze Reihe konkreter Beispiele für solche Vermengungen und Gemengelagen innerhalb der „öffentlichen Verantwortung“. Und hier wird deutlich, was tatsächlich passiert:
    Beschrieben und belegt wird in zahlreichen Beispielen für eine „Vermengung“ der vier genannten Wohlfahrtsproduzenten, dass sich der Staat marktwirtschaftlicher Methoden und Handlungsstrategien bedient. Beschrieben wird, dass freie Träger gezwungen werden, im Rahmen der finanziellen und steuerungspolitischen Macht des öffentlichen Trägers zum einen die staatlichen Reglementierungen zu schlucken und gleichzeitig die auf diese Weise vorgegebenen Marktbedingungen bedienen zu müssen. Nur eins von acht Beispielen verweist auf eine andere „Vermengungsart“ hin, nämlich die “zwischen dem formell hoch organisierten und dem informellen Bereich, zwischen den formal geregelten Strukturen der Erwerbsarbeit und den informellen Strukturen des freiwilligen Engagements“ (14. Jugendbericht der Bundesregierung 2013, S. 69). Alle anderen Beispiele beziehen sich auf den Markt und den Staat und indirekt auf die freien Träger.
    Tatsächlich vermengen sich hier die staatlichen Funktionen von Steuerung und Kontrolle mit den Gesetzen des Marktes. Der Markt liefert die Methoden an den Staat und der Staat öffnet dem Markt den Zugang zu den gesellschaftlichen Bereichen, die von ihm früher (im wie die Autoren sagen „versorgenden und produzierenden Sozialstaat) als Nonprofitorganisationen mit anderer Logik vorgehalten wurden.
  5. Wenn also hier von ‚Vermengungen‘ und ’Verschränkungen‘ von vier Wohlfahrtsproduzenten die Rede ist, dann wird im Wesentlichen eigentlich über das Eindringen des Marktes in alle anderen Bereiche gesprochen. Was hier als  ‚Vermengung‘ und ‚Verschränkung‘ bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit genau der von uns beschriebene Prozess der Vermarktlichung, der alle Bereiche und Ebenen der Kinder- und Jugendhilfe erfasst, sowohl die öffentliche Jugendhilfe als auch  die  öffentlich geförderten Angebote (so knapp gefördert wie möglich) der freien oder gewerblichen Träger.
  6. Die Frage, ob diese vier Akteure im Feld der öffentlichen Verantwortung in ihrer Durchsetzungskraft und Bedeutung und vor allem in ihrer Macht als gleichgewichtig zu sehen sind, wird nicht diskutiert. Die Begriffe Gemengelage, Vermischung etc. unterstellen einen eher zufälligen und ohne dominierende Strukturen gekennzeichneten Prozess. Es wird allerdings der Eindruck erweckt, als seien alle Vermengungen gleich gewichtig,  aber auch gleich möglich und einfach nur natürliche Entwicklungsfolgen des Prozesses. Interessant ist in diesem Kontext dann aber die Wortwahl der Autoren bei der Beschreibung dieser „Vermischungslagen“. Hier ist von „Umformung“, „Unterwerfung“ und „Zwang“ die Rede. Was ist das für eine merkwürdige Gemengelage, in der die Vermischung durch Herrschaftsverhalten zustande zu kommen scheint?
  7. Bei der Prognose der Zukunft der Trägerlandschaft der Kinder- und Jugendhilfe setzt der 14. Kinder- und Jugendbericht – mit leichtem Bedauern zwar, aber offensichtlich „alternativlos“ – auf eine Verstärkung des Marktes (14. Jugendbericht der Bundesregierung 2013, S. 392).
    Die AutorInnen sind der Auffassung, dass die zukünftigen Probleme und Anforderungen eine Veränderung der Trägerlandschaft erfordern und dass es künftig weitere Verbünde und Zusammenschlüsse geben werde.
    Der Bericht begründet diese voraussichtlich notwendige Entwicklung wie folgt:
    Diese Zusammenschlüsse müssten so geschaffen sein, dass es mit ihnen besser gelingen könne, „ sich zukunftsfest aufzustellen, Synergieeffekte zu generieren, Qualitätsentwicklung zu betreiben und auch gegenüber den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe als  Gewährleistungsverpflichtete wie als Kostenträger „wirkungsvoller“ aufzutreten“. Das sei notwendig, denn „neue Anforderungen an die Kinder- und Jugendhilfe ergeben sich auch bezogen auf die Frage, wie eine Angebotsstruktur erreicht und gesichert werden kann, die den vielfältigen Lebenslagen von jungen Menschen und Familien entspricht und die im Bedarfsfalle bereitsteht“ (ebenda). Dies, so die Autoren, fordere öffentliche wie auch freie Träger bezüglich ihrer Finanzierungsstrukturen besonders heraus. Hinsichtlich einer optimalen bedarfsorientierten Angebotsstruktur würden aber die freien Träger von Einrichtungen zunehmend vor manchmal kaum zu lösende Probleme hinsichtlich der Finanzierung gestellt. Diese resultierten daraus, dass die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe oftmals auch vorgehalten werden müssten, um im richtigen Moment in Anspruch genommen werden zu  können. Dies gälte für Plätze in Einrichtungen, z. T. aber auch für ambulante Leistungen. Hier müssten die Träger die Gesamtfinanzierung sichern, obwohl dies allein von ihnen – vor allem von kleinen Trägern – auch angesichts der mitunter „marktorientierten“ Förderung nicht immer leistbar sei (vgl. 14. Jugendbericht der Bundesregierung 2013, S. 392). Was kann das anderes bedeuten als die Aussage: ‚Auf Grund der bereits bestehenden Marktorientierung benötigen wir noch und immer  mehr davon, weil die freien Träger da nicht mitziehen können‘?

 

FAZIT

Der Hauptfehler und die unkritische Grundtendenz des 14. Jugendberichtes liegen u. E. darin, dass hier – einvernehmlich und ohne auch nur die geringste grundsätzliche Kritik –  die neoliberale Umsteuerung mit all ihren Erscheinungsformen und ihren dramatischen, deprofessionalisierenden und Menschen zu Waren degradierenden Folgen als selbstverständlich unverzichtbar und unvermeidbar hingenommen werden.

 

 

Herunterladen der Stellungnahme:
Kritik des 14. Kinder- und Jugendberichtes. Zukunfstwerkstatt Soziale Arbeit.  M. Seithe 2013