Schwarzbuch Soziale Arbeit

Seit Jahren stelle ich als Hochschullehrerin im Studiengang Soziale Arbeit fest, dass Studierende mit dem, was sie bei uns an Fachlichkeit und an Konzeption Sozialer Arbeit lernen, in der konkreten Praxis zu scheitern meinen. „Das ist ja alles ganz schön und gut, was wir hier lernen, aber in der Praxis weht ein ganz anderer Wind.“

Was ist da los? Vermitteln wird überkommene Methoden  und überlebte Konzeptionen?

Tatsächlich lehren wir eine Soziale Arbeit, die modernen Bedingungen und Herausforderungen angemessen ist, die aber – dennoch – vom Grundgedanken der Menschenwürde und vom Subjektstatus ihrer Klientel ausgeht.

In der sozialarbeiterischen Wirklichkeit aber, so berichten fast alle Studierenden, wenn sie aus dem einjährigen Praktikum zurück an die Hochschule kommen, geht es heute nur noch um Geld, um Sparen oder um das Beschaffen von finanziellen Ressourcen. Zeit für notwendige kommunikative Prozesse ist oft nicht vorhanden oder wird nicht finanziert, Hilfen, die erforderlich sind, werden nicht zur Verfügung gestellt. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz z.B., das noch vom Geist der Lebensweltorientierung geprägt ist,  erscheint den Studierenden immer mehr als ein Ideal, das höchstens orientieren kann, das aber längst unbezahlbar ist. Der öffentliche Erfolgsdruck auf die MitarbeiterInnen der Jugendhilfe z.B. steigt angesichts der in den Medien breitgetretenen Skandale, gleichzeitig wird ihnen der fachliche und sozialpädagogische Handlungsspielraum genommen. In der Sozialen Arbeit machen sich in einem solchen Klima Vorgehensweisen und Menschenbilder breit, die wir mit den autoritären und fürsorglichen Ansätzen der Vergangenheit glaubten, hinter uns gelassen zu haben glaubten.

Es ist mir und meinen Kollegen, vielen unserer Studierenden und einer Reihe von kritischen Praktikern ein dringendes Anliegen, diese Entwicklungen nicht einfach hinzunehmen, uns nicht mit ihnen zu arrangieren und sie nicht als  „moderne“, zwangsläufige Entwicklung zu akzeptieren.

Dieses Buch, das in Zusammenarbeit mit vielen Studierenden, KollegInnen und PraktikerInnen entstanden ist, soll ein Schritt dazu sein, solchen Entwicklungen und den für sie Verantwortlichen die rote Karte zu zeigen.

Für PraktikerInnen und Studierende ist es dabei aber ganz wichtig, dass sie sich bei dem  Schritt, die Wahrheit auszusprechen, nicht gefährden, nicht als unliebsame oder unangepasste MitarbeiterInnen identifiziert und schlicht ausgetauscht werden.
Ich dagegen habe als Wissenschaftlerin (damit weitgehend von der aktuellen politischen Landschaft unabhängig) die Möglichkeiten, für diese Problematik ein Sprachrohr zu schaffen. Gleichzeitig halte ich es für meine Aufgabe, mich nicht auf die distanzierte Betrachtung der sich gesellschaftlich abzeichnenden Prozesse zurückzuziehen, sondern mich parteilich für die Erhaltung von Fachlichkeit, Professionalität und Humanität Sozialer Arbeit einzusetzen.

Gewünscht und beschworen wird von vielen eine Möglichkeit, die Wahrheit über die aktuellen Entwicklungen zu sagen und unverblümt der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Das vorliegende Buch wird deshalb als Chance begriffen, solche „modernen“ Erscheinungen innerhalb der Sozialen Arbeit und im Besonderen der Jugendhilfe  laut und deutlich auszusprechen und anzuprangern, sie beim Namen zu nennen und diese Tatsachen dabei gleichzeitig einer Öffentlichkeit, die über den internen Kreis der Sozialen Arbeit hinausweist, für eine kritischen  Bewertung zur Verfügung zu stellen.

Um die oben angedeutete Gefährdung der PraktikerInnen, die mir die zu berichtenden skandalösen und hoch problematischen Beispiele aus ihrer Praxis  anvertraut haben, gehe ich bei meinem „Schwarzbuch“ deshalb so vor, dass sämtliche Fälle vollständig anonymisiert dargestellt werden,  soweit unkenntlich gemacht, dass zwar ihr Charakter deutlich wird, es aber nicht möglich sein wird, bestimmte Träger, Einrichtungen, Fälle, Städte etc. wieder zu erkennen. Es wird deshalb nicht um Fakten im Sinne von Beweisen und konkreten Nachweisen gehen, sondern um eine exemplarische Beschreibung von kritischen Entwicklungen und Problemlagen.

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