Es gibt 2 Gründe, warum ich erst heute das Ergebnis der Befragung hier veröffentlichen kann, die ich ja auch in dieses Blog eingestellt hatte.
(Danke fürs Mitmachen!) zum einen hat irgend ein blöder Fehler verhindert, dass ich auf meine Webseite kommen und posten konnte. Dank meines WordPress-Schutzengels Jonas ist alles wieder ok.
Zum zweiten hat mich mein neues Buch derartig in Beschlag genommen, dass ich seit Monaten zu nichts anderem gekommen bin. Jetzt sehe ich Licht am Horizont und kann mich wieder um andere wichtige Sachen kümmern.
Hier also erst einmal die Zusammenfassung, die einen Überblick über die Ergebnisse vermitteln kann:
PRAXIS-KRITIK 2024
Befragung von politisch und gewerkschaftlich organisierten SozialarbeiterInnen zu ihrer Praxissituation (Seithe 2024)
Zielgruppe: PraktikerInnen aller Arbeitsfelder
Stichprobe: politisch engagierte, gewerkschaftlich und anders organisierte PraktikerInnen, Berlin
Zusammensetzung der Stichprobe:
Anzahl der Befragten: 109
weiblich: 58% männlich 33% divers 9%
Alter:
8% bis 25
67% 25 bis 35 Jahre
25% älter als 35 Jahre
Berufserfahrung in Jahren:
13% bis 2
54% 3 bis 5
13% 6 bis 8
15% 9 bis 14
6% mehr als 14
Arbeitsgebiete:
35% Jugendhilfe (mobile Jugendarbeit, Straßensozialarbeit, Jugendberufshilfe, Jugendarbeit, Antigewaltprojekte)
20% ambulante Einzelfallhilfe (einschließlich Sozialpädagogischer Familienhilfe)
8% Flüchtlingsarbeit
10% Suchthilfe
7% Wohnungslosenhilfe
5% Straffälligenhilfe
6% Schuldnerberatung
9% sonstige (Zufluchtsstätte, Demokratieförderung, psychosoziale Beratung, Gemeinwesenarbeit, Schwangerschaftskonfliktberatung)
Zusammenfassende Auswertung
Zufriedenheit mit der beruflichen Situation
Die Ergebnisse zeigen das Bild gestresster SozialarbeiterInnen, die mit dem Ergebnis ihrer eigenen Arbeit nicht zufrieden sind, die Widerstände erleben, welche ihre Arbeit einschränken und behindern und die sich bis zur Erschöpfung beansprucht fühlen.
- Die wenigsten Befragten können sich vorstellen, diesen Beruf unter den gegebenen Bedingungen für immer auszuüben (76%nein). Die meisten fühlen sich fast alle durch ihre Hochschulausbildung nicht angemessen vorbereitet (76 nein).
- Fast alle erleben ihre Arbeitssituation belastend (82%), vor allem aber als widersprüchlich (71%). Die Hälfte fühlt (e) sich von Burnout bedroht.
- Fast alle geben an, dass sich das Arbeitspensum in den letzten Jahren (besonders in qualitativer Hinsicht) deutlich erhöht hat (91%).
Einverständnis mit Ablauf und Konzeption der heutigen Sozialen Arbeit
Es zeigt sich deutlich, dass die Befragten in vielen Punkten den Bedingungen gegenüber, unter denen sie arbeiten müssen, sehr kritisch eingestellt sind.
- Sie leiden unter der Dominanz der fiskalischen und ökonomischen Entscheidungen und Vorgehensweisen (94%). Viele stellen Diskrepanzen fest zwischen ihren sozialpädagogischen Vorstellungen, was Erfolg ihrer Arbeit bedeutet, und denen ihrer Träger und/oder des Kostenträgers (74%).
- Sie sind sich darüber im Klaren, dass ihre KlientInnen nicht das bekommen, was sie brauchen würden (98%).
- Sie kritisieren, dass oft die Rahmenbedingungen eine gute Beziehungsarbeit nicht zulassen (52% nein) und sie nicht ganzheitlich auf die persönlichen Probleme ihrer KlientInnen eingehen können (80%).
- Entgegen ihren Wünschen ist es der Hälfte der Befragten nicht möglich, auf die Lebensbedingungen der Klientel verbessern einzuwirken (49% nein)
- Durchschnittlich nimmt die Dokumentation mehr als ein Drittel ihrer Arbeitszeit in Anspruch, in einigen Bereichen sogar deutlich mehr (bis zu 70%).
- Die fachliche Anleitung durch den oder die direkten Vorgesetzen erfolgt nur bei der Hälfte der Fälle durch SozialarbeiterInnen. In einem Viertel der Fälle sind die Vorgesetzen Sozialwirte oder SozialmanagerInnen. Bei 25% sind die Vorgesetzten PsychologInnen oder ErzieherInnen bzw. völlig fachfremde Personen.
- Beklagt wird die Zeitnot, die sich auf die Qualität der fachlichen Arbeit auswirkt (75%).
- Ein Drittel der Befragten fühlen sich als Fachkräfte von Kostenträger und/oder Vorgesetzten nicht ernst genommen (38% bzw. 31%).
- Die allermeisten sehen in der Ökonomisierung und der Einführung betriebswirtschaftlicher Verfahren in der Sozialen Arbeit keinen Vorteil (83%).
Bedingungen der beruflichen Situation
So gut wie alle haben es nach eigener Aussage mit „sozialen Problemen“ zu tun (. 98%). Wobei aus ihrer Sicht die klassischen sozialen Themen wie Wohnungsnot, Armut, Arbeitslosigkeit etwa gleich häufig als soziale Probleme genannt werden wie Diskriminierungserscheinungen. Immerhin die Hälfte kann sich auch um Lebensweltaspekte kümmern, die nicht unmittelbar mit der auslösenden Fragestellung verbunden sind. Allerdings ist nur die Hälfte in der Lage, etwas zur Verbesserung der Lebenssituation zu tun. Dafür fehlt meistens die Zeit. Im Durchschnitt sind 37% ihrer KlientInnen zumindest am Beginn der Interaktion nicht motiviert oder mitarbeitsbereit. Insbesondere in der ambulanten Hilfe zur Erziehung sind diese Werte extrem hoch (80% bei der SpFH).
Erwartungen an sie als SozialarbeiterInnen
Die Erwartungen der Träger an ihre MitarbeiterInnen zeigen ein gemischtes Bild, wenn es um Erwartungen und Vorstellungen, also eher um konzeptionelle Fragen geht.
- Neben der Vorstellung (Mehrfachnennungen), dass ihre MitarbeiterInnen die Klientel unterstützen (65%) sollen, neben Erwartungen, dass es für die Klientel dabei um auch Empowerment gehen sollte (56%), gibt es gleich oft und zum Teil auch überwiegend andere, eher neoliberale Erwartungen an die MitarbeiterInnen: Arbeitsfähigkeit herstellen (38%), Verhindern von Katastrophen (50%), Ruhe und Sicherheit herstellen (65%).
- Mehr als die Hälfte der Träger erwarten von ihnen MitarbeiterInnen, dass sie gegenüber der Klientel Distanz halten (59%) und ein gutes Drittel empfiehlt ihnen, dass sie unmotivierte KlientInnen auch unter Druck zu setzen sollen (33%).
- Sehr oft wird erwartet, dass SozialarbeiterInnen nicht-fachliche Aufgaben übernehmen (60%). Insbesondere die Einbeziehung in ordnungspolitische Aufgaben wird von Trägern forciert, z.B. im Rahmen der sogenannten „Gewaltprävention“.
Bei diesen konzeptionellen Aspekten mischen sich offenbar die Trägererwartungen: Neben klassisch sozialpädagogischen Vorstellungen zeigen sich etwa in gleichem Ausmaß konzeptuelle Einstellungen, die in Richtung des neoliberalen Konzeptes weisen.
- Interessant ist, dass ein Viertel der Befragten den Eindruck haben, es ginge den Trägern darum, dass sie mit ihrer Arbeit den Träger gegenüber dem Kostenträger sichtbar machen.
- Mit Geldbeschaffung für den Träger sind etwa ein Drittel der Befragten beschäftigt.
Eindeutiger neoliberal zeigen sich Erwartungen der Träger und Leitungen, wenn es darum geht, den Nachweis über Effektivität und Effizienz zu erbringen.
- Mit diesen Erwartungen werden gut zwei Drittel der Befragten konfrontiert. Auch das Drängen zu schnellen Lösungen (70%) und die Zeitknappheit (75%) werden als Druck in erlebt, um Effizienz zu zeigen.
- Träger geben offenbar in großer Mehrheit den unmittelbaren Druck, den sie vom Kostenträger im Rahmen der Neuen Steuerung bekommen, unmittelbar an ihre MitarbeiterInnen weiter.
- Dokumentationsaufgaben nehmen im Schnitt 38% der Arbeitszeit sein, in einigen Bereichen und Fällen bis zu 70%.
Erwartungen, die in Richtung einer Einmischung in strukturelle Missstände oder sozialpolitische Fragen gehen, werden gar nicht genannt. Auch die Aufforderung von Trägerseite, an der Verbesserung der Lebensbedingungen der Klientel mitzuarbeiten scheint es nicht zu geben.
Eigene konzeptionelle Vorstellungen
Die eigenen konzeptionellen Vorstellungen der Befragten weichen zum Teil deutlich von denen der Trägererwartungen ab:
- Deutlich kontrastiert hier die von den Befragten selbst für sich akzeptierte Rollenzuschreibung. Fast alle sehen sich als UnterstützerInnen ihrer Klientel. Die Rollenzuschreibungen und Erwartungen der Träger darüber hinaus werden so gut wie nicht geteilt.
- Die allermeisten sehen sich als UnterstützerInnen ihrer Klientel (86%). Ihre Zielperspektiven liegen bei der Emanzipation (90%) und Empowerment (95%). Sie halten Beziehungsarbeit für wichtig und sehen sie nicht als Gefahr für die notwendige professionelle Distanz (90%). Die meisten halten es auch für ihre Aufgabe, die Lebenssituation ihrer Klientel zu verbessern 82%).
- An einer ganzheitlichen Arbeit fühlen sie sich durch Zeitknappheit gehindert (82%).
Vergleicht man die Erwartungstendenzen der Träger mit den Vorstellungen, die die Befragten hinsichtlich ihrer Aufgaben haben, so zeigt sich deutlich, dass die SozialarbeiterInnen selbst noch wenig neoliberale Vorstellungen in ihren Wertehorizont integriert haben. Zum Teil fühlen sie sich auch noch durch ihre Träger unterstützt. In weiten Teilen gehen die Vorstellungen allerdings auseinander.
Zumindest bei der hier befragten Stichprobe spielt das professionelle Konzept für die MitarbeiterInnen nach wie vor eine wichtige Rolle. Allerdings sehen sie sich zum Teil von den anders ausgerichteten Erwartungen, die an sie gestellt werden, vor allem aber durch die gesetzten Beschränkungen in Richtung Zeitknappheit, Effizienz und Effektivität daran gehindert, entsprechend zu arbeiten.
- Die meisten haben konkrete Vorstellungen, wie sie anders arbeiten würden, wenn sie die Möglichkeit dafür erhalten würden (88%).
- Ihre Schlussfolgerung, die von allen geteilt wird (98%), dass die Klientel nicht die Hilfe bekommen, die sie brauchen, legt nahe, dass sie den Zusammenhang zwischen der für sie kritikwürdigen Berufssituation und den Folgen für die Klientel klar erkennen.
Die Sicht auf die sozialen Problemlagen, mit denen sie im Rahmen ihrer Arbeit zu tun haben, zeigt, dass die Aufmerksamkeit für soziale Problemlagen tendenziell mehr in Richtung der individuell erlebten Folgen der sozialen Problemfaktoren geht und z.B. eine Diskriminierung als zu bekämpfende soziale Problemlage angesehen wird, während die Ursachen selbst, die als objektive gesellschaftliche Dysfunktionalitäten existieren und sich im Leben der Betroffenen niederschlagen weniger im Zentrum zu stehen scheinen.
Verhältnis zu KollegInnen und Organisation
Befragt nach ihrer kollegialen Situation sieht das Bild eher positiv aus.
- Weder haben die Befragten den Eindruck, dass sie sich in ihren Einschätzungen von den KollegInnen unterscheiden, noch fühlen sie sich unter den KollegInnen isoliert oder nicht ernst genommen
Da es sich bei der Stichprobe um eine Gruppe politisch organisierter SozialarbeiterInnen handelt, erstaunt diese Einschätzung und spricht dafür, dass die kritischen Einschätzungen der hier Befragten von den anderen MitarbeiterInnen nicht als unangemessen und übertrieben angesehen werden. Das geringe politische und gewerkschaftliche Engagement der Mehrheit scheint demnach nicht unbedingt eine Folge von Zufriedenheit zu sein.
- Fast alle sehen die Möglichkeit, sich mit KollegInnen auszusprechen – offenbar aber eher informell. Die meisten sehen in ihren politischen Organisationen die Möglichkeit für Erfahrungsaustausch und solidarische Unterstützung.
Wer sich die Fragen und Ergebnisse im Einzelnen ansehen möchte:
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