Im Zwiespalt zwischen neoliberalen Zumutungen und sozialarbeiterischer Fachlichkeit
Prof. Dr. Mechthild Seithe: Vortrag gehalten auf der DGSA Tagung in Köln 25.4.2014
Vorbemerkungen:
Neulich habe ich einen Vortrag gehört über den Widerstand der Profession Soziale Arbeit zwischen 1933 und 1945. Es waren nicht viele KollegInnen, die Widerstand geleistet haben, aber es gab gute und beeindruckende Beispiele.
Es ist sicher wichtig, den Blick auf die zu richten, die Widerstand leisten und geleistet haben. Aber wir wissen, dass die meisten FürsorgerInnen während der Zeit des Faschismus und meistens auch noch danach geschwiegen haben, aus Angst, aus Gleichgültigkeit oder weil sie einverstanden waren mit diesem Menschen feindlichen System. Fakt ist: im Faschismus hat die Masse der KollegInnen geschwiegen, sich angepasst, weggesehen und mitgemacht.
Und selbst Jahre nach Ende des Faschismus haben viele nicht begriffen und eingesehen, dass sie dadurch mitschuldig geworden sind.
Am 15. Mai 1951, 6 Jahre nach dem Ende des Faschismus, wurde z.B. Frau Heinrich (Name geändert) von einer Sozialforscherin befragt, wie sie heute zu den Vorwürfen stehe, durch ihr Schweigen zu Mord und Rassismus beitragen zu haben.
Frau Heinrich reagierte empört:
‚Was wollen die eigentlich von mir? Ich wusste ja von nichts. Ich habe nichts davon gesehen. Keiner hat uns gesagt, was genau mit den Unterlagen passieren würde, die wir für das Bezirksamt vorbereitet haben. Für uns Fürsorgerinnen spielte das alles doch gar keine Rolle. Wir haben uns einfach nur für unsere Leute eingesetzt, ja wir sind für unsere Klientinnen betteln gegangen. Und jetzt kommen die und sagen uns, wir hätten nicht schweigen dürfen. Wieso machen sie uns unsere Arbeit schlecht? Man kann uns doch nichts vorwerfen. Politik, die haben andere gemacht. Mit Politik hatte ich nie was zu tun! Selbst in die Partei bin ich erst gegangen, als es nicht mehr anders ging. Wir sind alle zusammen eingetreten. Wir wollten einfach nur unsere Arbeit weitermachen dürfen. Und das ist jetzt der Dank?‘
Es ist sicher wichtig, die Widerständigen zu feiern und hervorzuheben. Aber angesichts der Reaktionen der Mehrheit in dieser Zeit würde es – vor allem mit Blick auf die heutige Situation – interessant und von großer Bedeutung sein, wenn man die Frage stellen würde: Wie kam es dazu, das Menschen Widerstand leisten konnten und wollten? Daraus könnte man lernen. Denn das Reden über die schreckliche und unmenschliche Zeit des Faschismus darf nicht dazu führen, dass man sich innerlich zurücklehnt und denkt, dass so etwas ja bei uns überhaupt nicht denkbar sei.
Nun stellen Sie sich vor, Sie würden eingeladen zu einem Zeitsprung ins Jahr 2038 und säßen hier genau wie heute bei einer Tagung und es ginge in dem Workshop um die Frage, ob es denn nicht doch auch in der Phase der Neoliberalisierung von Gesellschaft und Sozialer Arbeit zwischen 1990 und , sagen wir, 2035 Widerstand gegeben habe – wobei uns dann insbesondere der mögliche Widerstand in den Reihen der Sozialen Arbeit interessieren würde…. Ob wird da viele Beispiele finden könnten? Was meinen Sie?
Diese Phase der Gesellschaft, in der wir heute leben und auf die Sie 2038 vielleicht zurückblicken können, wird durch eine dominierende Vermarktlichung gesteuert und ist von einem Menschenbild geprägt, das Menschen als Waren betrachtet und sie nach ihrer jeweiligen Nützlichkeit für die herrschende Wirtschaft als wertvoll oder weniger wertvoll einschätzt. Diese menschenverachtende, darwinistische Ideologie bestimmt alle Teile der Gesellschaft, auch die Soziale Arbeit. Und sie wird uns von der herrschenden Politik und den ihr dienenden Medien als alternativlos, selbstverständlich, natürlich und modern und deshalb unhinterfragbar verkauft und so von den meisten Menschen auch hingenommen. Auch heute wäre sehr wohl Widerstand notwendig. Und es reichen nicht einzelne Helden. Vielmehr stellt sich für uns die Frage: Wie könnte man hier und heute Widerständigkeit bei möglichst vielen KollegInnen gegen das entwickeln, was unsere Profession tagtäglich zur Farce macht?
hier der gesamte Vortrag:Widerständiges Handeln am Arbeitsplatz – warum -wie – mit wem pdf