Veränderte Sprache und veränderte Soziale Arbeit?

Gibt es einen Zusammenhang von Begriffen, Denken und Handeln?
Welche Rolle spielen die aktuellen, in der gegenwärtigen, neoliberalisierten  Sozialen Arbeit üblichen Begriffe für unsere Arbeit? Sind sie austauschbar und eins zu eins in die Fachsprache der Profession zu übersetzen? Oder zwingen sie uns ein anderes Denken auf?

Was bedeuten Begriffe für das professionelle Handeln und Denken?

Die Begriffe einer Profession bilden ihre wesentlichen Strukturen und Inhalte ab und steuern das Denken und Handeln der Fachkräfte. „Es erscheint nur logisch, dass eine ökonomisierte Sprache im Sozialbereich eben genau die ökonomische Soziale Arbeit abbildet und sonst nichts.“ (Erlach 2009, S. 127)

Wenn man den Prozess der Transformation der Sozialen Arbeit in einen neoliberalen Marktprozess (vgl. z.B. Dahme/Wohlfahrt  2008) beschreiben will, dann kann man das sehr gut an den aktuellen Begriffen (also sozusagen den „Worten des Jahres“) tun, an den Begriffen emanzipatorischer, auch sozialpädagogischer Herkunft, die weiterhin benutzt werden aber inhaltlich enteignet wurden, ebenso an den neuen Begriffen, die einer anderen, nicht sozialpädagogischen Sprache entstammen, und auch an den Begriffen, die als nicht mehr geeignet diskreditiert werden und die man einfach tabuisiert. Schernus erläutert: „Wenn ein einflussreicher diakonischer Arbeitgeber wie Bethel in seinen Zielvorstellungen, genannt »Visionen«, unter der Überschrift »Den Markenauftritt Bethels stärken« postuliert, dass »das gute Image Bethels gezielt« genutzt werden solle, »um die Chancen unserer Dienstleistungen und Produkte im Wettbewerb zu verbessern «, wird hiermit nicht nur deutlich, wie stark das Darstellen in den Vordergrund gerückt ist, sondern auch wie selbstverständlich die ökonomisierte Sprache übernommen wird und in und mit ihr das dazugehörige Denken (Schernus 2012, S. 6).

Vor einiger Zeit habe ich folgende Erfahrung gemacht: Im Rahmen eines Workshops sollten die TeilnehmerInnen in Bezug auf ganz konkrete Beispiele Argumente entwickeln, um Forderungen nach z.B. mehr Zeit im Rahmen einer Sozialpädagogischen Familienhilfe bei ihren Vorgesetzten durchzusetzen. Ausnahmslos alle versuchten, in ihrer Argumentation das Gegenüber mit ökonomischen und betriebswirtschaftlichen Begriffen und Argumenten zu überzeugen.

Wenn man fragte, warum sie nicht die eigenen fachlichen Termini verwendeten, bekam man Erstaunliches zu hören: entweder ein staunendes: „Aber das sind doch schließlich betriebswirtschaftliche Fragen!“ oder ein verschmitztes „Sozialpädagogische Argumente verstehend die doch gar nicht. Da muss ich Ihnen schon mit ihren eigenen Begriffen kommen, wenn ich was erreichen will!“

Die Vorstellung ist weit verbreitet, es schade unserer Profession letztlich nichts, wenn wir uns betriebswirtschaftlicher Begriffe bedienen, insbesondere da, wo wir bei der Verwaltung etwas durchsetzen wollen. Man möchte den Vorgesetzten oder den Vertreterinnen der Verwaltung nicht zumuten, sich mit den für sie fremden sozialpädagogischen Begriffen auseinander setzen zu müssen. Man hält es für schlau, da mit den Wölfen zu heulen bzw. deren Sprache zu sprechen, wo diese über Geldzuwendungen entscheiden können. Man hält das für eine reine pragmatische Übersetzungsleistung, die die Profession nicht weiter bedrängt. Man glaubt, weiterhin souverän über die eigenen fachlichen Begriffe verfügen und sie in der Arbeit anwenden zu können.

Genau diese Leute aber merken oft gar nicht, wie sehr die betriebswirtschaftliche Sprache in ihr Denken, Handeln und Sprechen eingedrungen ist.

Hier wird die Bedeutung der Begriffe unterschätzt. Es ist nicht beliebig, wie wir einen Prozess oder eine Unterstützung nennen oder ob wir z.B. von „Kunden“ oder von „AdressatInnen“ sprechen oder von „KlientInnen“. Begriffe sind nicht nur linguistische Zeichen, die beliebig ausgetauscht werden können. Begriffe sind viel mehr: sie verweisen auf Denkstrukturen, auf Inhalte und Werte, sie steuern das Verhalten und bestimmen den Sinn von Handlungen und Strukturen.

Das gilt sogar dann, wenn diese Begriffe eine negative Konnotation haben, also als eigentlich problematische Begriffe gezeichnet werden:

Schernus macht eine interessante Beobachtung zu den sogenannten „Unworten“ aus den Jahren 1996, 1997 und 1998:  „Sie hießen: „Rentnerschwemme“, „Wohlstandsmüll“ als Umschreibung für arbeitsunwillige ebenso wie arbeitsunfähige Menschen und „sozialverträgliches Frühableben“. 2002 hielt die »Ich-AG« Einzug und 2004 und 2005 folgten dann »Humankapital « und »Entlassungsproduktivität«. Alles das sind Begriffe, die in unterschiedlicher Art und Weise auf die – wodurch auch immer – benachteiligten Menschen unserer Gesellschaft zu beziehen sind (Schernus 2012, S. 6“ – Begriffe, die uns als Sozialarbeitende direkt angehen und unseren heftigen Widerspruch hervorrufen müssten.

„2008 folgte dann mit „notleidende Banken“, eine bemerkenswerte Akzentverschiebung, was die Subjekte des Erleidens von Not betrifft. 2009 kamen die Begriffe „betriebsratsverseucht“ und 2010 schließlich „alternativlos“ auf die Agenda, die deutlich anzeigen, dass unbequeme Betriebsräte wie eine ansteckende Krankheit erlebt werden und Widerstand zwecklos sei, da die weisen Entscheidungen der Politik als „alternativlos“ anzusehen sind“ (Schernus 2012, S.6).

Durch die Wahl zum Unwort werden diese Begriff zwar skandalisiert, gleichzeitig aber hervorgehoben und ins Bewusstsein gehoben, als mögliche Beschreibung von sozialer Wirklichkeit in den Raum gestellt und verharmlost. „Manch einer wird vielleicht solche Worte, die ja häufig von exponierten Persönlichkeiten, u.a. von Politikern, in die Welt gesetzt worden sind, für zufällige Markierungen oder Entgleisungen halten, ich halte sie für entlarvend“, so der Kommentar von Schernus (ebenda).

Sprache und Begriffe als Steuerungsmechanismen

In seiner Analyse der Sprache des »Dritten Reichs« formulierte Victor Klemperer 1946: »Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewusster ich mich ihr überlasse […]. Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen eine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da (s. Schernus 2009, S.6)

Ist Sprache also mehr als die Abbildung dessen, was wir wahrnehmen und erleben. Hat Sprache, haben Begriffe andersherum auch Einfluss auf unser Denken und Verhalten, ja sogar auf Gefühle?

Ein Zugang zu dieser Problematik liefert die Linguistik. Erlach (2009) betont, dass Sprache „nicht nur ein Instrument ist, um Gedanken zum Ausdruck zu bringen, sondern selbst die Gedanken formt“ (Erlach 2009, S.116). Er orientiert sich dabei an zwei zentralen Thesen des Linguisten Whorf (1952) über die Rolle und Bedeutung der Sprache für das Denken:

  • Unsere Gedanken entwickeln sich entlang einer Linie, die die Sprache vorgibt. Die Sprache formt somit die Gedanken, bestimmt das Denken.
  • Jede Beschreibung der Natur ist eine relative, da sie vom sprachlichen Kontext der Beschreiberin oder des Beschreibers abhängt.

Dieser Zusammenhang zwischen Sprache, Denken und Verhalten wurde und wird auch heute noch kontrovers diskutiert. Tatsächlich sind aber die oben in Anlehnung an Bröckling et al. benannten Einsichten eine deutliche Bestätigung dafür, dass Begriffe Verhalten und Denken steuern können.

Gehen wir mit Erlach von der Whorfschen These aus, so bedeutet das, dass auch in der Sozialen Arbeit „die Verwendung eines Begriffes eine Linie vor(gibt; Erg. Der Verf.), an der die Strukturen und der Inhalt sozialer Arbeit organisiert werden“ (Erlach 2009, S. 116).

Erlach geht zur Veranschaulichung dieser Tatsache vor allem auf die neuen, betriebswirtschaftlichen Begriffe ein, die im Rahmen der Neuen Steuerung in die Soziale Arbeit eingedrungen sind und sich dort als zentrale Begriffe festgesetzt haben. Diese „andere Sprache“, die von der Verwaltung und Politik genutzt wird, um Soziale Arbeit und ihre Phänomene zu beschreiben, unterscheidet sich wesentlich von der fachlichen Sprache der Sozialen Arbeit.

Betrachtet man die oben geschilderten Zusammenhänge von Denken und Sprache, so bedeutet eine Implementierung der Begriffe der Betriebswirtschaft  nicht nur, dass hier eine andere Sprache für die gleichen Sachverhalte benutzt wird, sondern dass sich damit sowohl der Sinn und das Ziel der Sozialen Arbeit verändern als auch die Rollen von Fachkraft und KlientIn und ebenso das, was eine Fachkraft in ihrer Arbeit konkret macht und erreichen will.

Um ein konkretes Beispiel aufzugreifen, das Erlach erläutert:

Der Begriff „Effizienz“ ordnet im Kontext betriebswirtschaftlichen Denkens die Vorstellungen darüber, wie Soziale Arbeit durchgeführt wird. Das Denken richtet sich entsprechend an beobachtbaren, messbaren Größen aus. „Diejenige Soziale Arbeit wird positiv bewertet, in der im Sinne der Effizienzrechnung möglichst viele Klientinnen und Klienten in möglichst kurzer Zeit durch die Einrichtungen geschleust werden. Während in der Vergangenheit darüber reflektiert wurde, ob es den betroffenen Menschen besser geht, wird nun darüber reflektiert, ob die zur Verfügung stehenden Ressourcen im geringst möglichen Ausmaß eingesetzt wurden“ (Erlach 2009, S. 118). Es ist also in keiner Weise gleichgültig oder beliebig, welche Begriffe zur Beschreibung Sozialer Arbeit benutzt werden!

Durch die ständige Wiederholung eines Begriffes führt der „Mantra-Effekt“ dazu, dass die Fachkräfte sich immer mehr auf die Inhalte dieser Begriffe fokussieren. Und je länger der Begriff benutzt wird, umso stärker wird die Identifikation mit den Assoziationen zu diesem Begriff (Erlach 2009, S. 117). „Mit zunehmender Verwendung des Effizienzbegriffes wird dieser … mit Leben erfüllt. Die Profis werden sich zunehmend mit einer mechanisierten und hierarchisierten Sozialen Arbeit identifizieren“ (ebenda).

Es scheint heute nicht mehr darum zu gehen, dass ein inhaltliches, sozialpädagogisch sinnvolles Ziel erreicht wird, sondern darum, dass man nachweisen kann, dass man so gehandelt hat, wie es vorgesehen ist. Damit tritt im Kontext der Dominanz des Effizienz-Begriffes in der Sozialen Arbeit die Selbstrechtfertigung in den Vordergrund. „Die Sprache hat sich insoweit verändert, dass sie dazu dient nachzuweisen, dass die geforderte Leistung erbracht wurde …“ (Erlach 2009, S. 129). Die Fachkräfte verbringen viel Zeit mit einer differenzierten Dokumentation, die ihre eigentliche Arbeit gar nicht abbildet und abbilden kann, die aber dazu dient, nachzuweisen, dass die Leistung genauso und nach den vorgegebenen Kriterien erfüllt wurde, wie sie im Rahmen eines Effizienz-Denkens als effiziente Arbeit beschrieben werden muss. „So sind die Profis gezwungen, ihre Arbeit so zu beschreiben, wie sie sie nicht sehen“ (Erlach 2009, S. 155).

Es ist deutlich zu beobachten, dass die Realität des Denkens und Handelns der Fachkräfte immer mehr und immer unbewusster und selbstverständlicher den Begriffen und Strukturen des Effizienzdenkens folgt. Somit wird eine veränderte Wirklichkeit durch die Anwendung einer fachfremden Sprache konstruiert (vgl. Watzlawick 2006). Der Effizienzbegriff verändert dabei die „Wirklichkeit Sozialer Arbeit“ in dem Sinne, dass, anstatt wie bisher prozessorientiert nun ergebnisorientiert gearbeitet werden muss. Durch die ausschließliche Nutzung von quantitativen Merkmalen zur Beschreibung werden die Inhalte der Sozialen Arbeit entleert.

Zur Strategie der Schaffung neuer Realitäten in der neosozialen Sozialen Arbeit gehört aber nicht nur die Einführung und Verselbständigung betriebswirtschaftlicher und damit fachfremder Begriffe und das damit verbundene sich ausbreitende neue, ökonomische Denken in der Sozialen Arbeit. Darüber hinaus werden zwei andere Strategien in Bezug auf Begriffe der Sozialen Arbeit angewandt, die ihrerseits die Veränderung des Denkens und Handelns steuern sollen.

Der von Bröckling et al. herausgegebene „Glossar der Gegenwart“ bemüht sich darum, Begriffe zu analysieren, die in den „aktuellen politischen und kulturellen Debatten eine Schlüsselstellung einnehmen“ (Bröckling et al. 2004, S. 10). Diese Begriffe zeichnen sich nach Aussagen der Autoren durch fraglose Plausibilität und eine hohe strategische Funktion aus. Es handelt sich um „Deutungsschemata, mit denen die Menschen sich selbst und die Welt, in der sie leben, interpretieren“ (ebenda, S.10 f). Damit untersuchen die AutorInnen Generalisierungseffekte, Verschiebungen und/oder politische Umcodierungen, welche die Begriffe in den unterschiedlichsten Diskursfelder erfahren“ (ebenda, S. 11).

Damit versuchen sie die Steuerungsmechanismen herauszuarbeiten, die Foucault (Foucault 1987, S. 255) als „Möglichkeitsfelder“ bezeichnet. Mit Foucault gehen sie von der Annahme aus, dass das zeitgenössische „Regieren“ weniger darum bemüht ist, direkt auf Menschen  und ihr Verhalten einzuwirken, als darum, durch die Schaffung dieser „Möglichkeitsfelder“ bestimmte Verhaltensweisen zu fördern und andere unwahrscheinlicher zu machen.

Die Begriffe, so Bröckling et al., die dieses indirekte Regieren benutzt, produzieren selbst Wirklichkeit und präformieren Alltagsverstand wie wissenschaftliche Wahrheiten“ (Bröckling et al. 2004, S. 9f). Das bedeutet, dass die Untersuchung der in diesem Zusammenhängen genutzten Begriffen nichts anderes ist, als „die Analyse der Konturen der Gegenwart im Spiegel zeitgenössischer Regierungskünste“ (ebenda, S. 9). So stellen sich die AutorInnen folgende Fragen:

„Welche Selbstbeschreibungen zeitgenössischer Gesellschaften implizieren die jeweiligen Stichworte? Welche Brille setzt man auf, wen man die Gegenwart unter der Perspektive des jeweiligen Leitbegriffs beobachte? (ebenda, S. 12). Und schließlich geht es den AutorInnen darum, „sichtbar zu machen welche Zumutungen die Technologien zeitgenössischer Regierung den Einzelnen abverlangen, welchen Ambivalenzen und paradoxen Anforderungen sie diese aussetzen, schließlich welche Zwänge und Sanktionen sie ihnen auferlegen (ebenda, S.15).

Ob diese Begriffe des unmittelbaren Anleitens und Führens tatsächlich das Denken und Tun der Menschen bestimmen, lassen die Autoren bewusst offen. Diese Zurückhaltung in der Aussage scheint mir als zu vorsichtig: Betrachtet man z.B. die gegenwärtige Praxis Sozialer Arbeit (vgl. z. B. Seithe/Wiesner 2013; Stummbaum 2012), so drängt sich der Eindruck auf: Das indirekte Regieren durch die Implementierung von spezifischen Begriffe ist längst fortgeschritten und im Sinne der Regierenden ein voller Erfolg. Umso wichtiger, diese Begriffe deutlich zu machen und die mit ihnen verbundenen Zumutungen klar herauszustellen. Regieren durch die Implementation von Begriffen, die das „Programm des Regierens“ enthalten, ist also ein offenbar recht erfolgversprechendes Unternehmen.

Begriffe, die im Rahmen der gegenwärtigen neosozial aufgeladenen Sozialen Arbeit, eine oder eben auch keine Rolle (mehr) spielen.

Im Rahmen der gegenwärtigen neosozial verdrehten Sozialen Arbeit sind folgende Prozesse im Umgang mit Begriffen zu erkennen:

Zum einen nehmen – mit dominierender Position – Begriffe aus der Betriebswirtschaft und der Steuerungslogik sowie Begriffe aus dem Management eine zentrale Rolle ein. Diese Begriffe werden auf sozialpädagogische Inhalte angewandt und funktionieren die Soziale Arbeit in ein Marktgeschehen um, bei dem Menschen sowie Hilfe als Ware gehandelt werden (z.B. Produkt, Design).

  1. Zum zweiten werden traditionelle, ethisch und fachlich orientierte Begriffe der Profession aufgegriffen aber inhaltlich entfremdet und mit anderen Inhalten gefüllt (z.B. Prävention, Hilfe zur Selbsthilfe). Auch Begriffe aus dem Alltag, die innerhalb der professionellen Arbeit eine Rolle spielen werden neoliberal umgedeutet (z.B. Erfolg).
  2. Schließlich werden bestimmte zentrale, aber den neoliberalen Vorstellungen diametral entgegengesetzte Begriffe aus der Sozialen Arbeit grundsätzlich tabuisiert und diskreditiert (z.B. Parteilichkeit, Beziehungsarbeit). Ihre Diskreditierung und Ablehnung zementiert die entstandene neosoziale Soziale Arbeit, und lässt sie alternativlos erscheinen.

Dominanz der Begriffe und Logiken der Betriebswirtschaft

 Hierzu wurde oben schon Verschiedenes ausgeführt.
Seit der Neuen Steuerung beherrschen die Instrumente, Begriffe und Prozesse der Betriebswirtschaft wie z.B. Marketing, Prozesssteuerung und Führung die sozialen Einrichtungen und dominieren auch mehr oder weniger den Alltag und die Sprache der praktizierenden Sozialarbeitenden.

Die Einführung dieser Begriffe und Instrumente sind die Folge der neuen sozial- und finanzpolitischen Strategie, Soziale Arbeit wie ein wirtschaftliches Produktionsunternehmen sozialer Dienstleistungen zu verstehen und zu behandeln. Sie haben eine nicht zu übersehende Auswirkung auf das, was Soziale Arbeit heute ist und wie sie gemacht wird, und sie verändern sie damit Schritt um Schritt (vgl. Albert 2006, S. 26; Galuske 2002).

So weisen die Autoren des Glossars „Kritisches Glossar Hilfen zur Erziehung“ (Düring et al. 2014) darauf hin, dass die Soziale Arbeit heute von Begriffen beherrscht wird, die aus der Betriebswirtschaft stammen bzw. die neoliberales Denken transportieren. Diese Begriffe steuern ganz offen und direkt den Alltag der Fachkräfte und liegen der Bewertung der Arbeit durch die Verwaltung und die Politik zugrunde. Sie sind scheinbar untrennbar mit der gegenwärtigen Sozialen Arbeit verbunden und erheben den Anspruch, Soziale Arbeit angemessen abzubilden und ihre zentralen Strukturen zu erfassen.

Tatsächlich folgen die Soziale Arbeit und die Betriebswirtschaft unterschiedlichen Logiken und sind nur begrenzt kompatibel (vgl. Galuske 2002, S. 328; Erlach 2009). Somit führt der alltägliche und selbstverständliche Gebrauch entsprechender Begriffe zu einer „die Verlagerung in Richtung systemischer Marktimperative zu einer Neukalibrierung der Handlung leitenden Koordinaten“ (Galuske 2002, S. 329). Während Ökonomie das Verhalten von Menschen durch Geld und Macht zu steuern versucht, ist Soziale Arbeit im Kern kommunikativ strukturiert (vgl. Seithe 2012). Ihre möglichen Wirkungen werden über kommunikativen Austausch und Verständigung erzielt und setzen eine Vertrauensbeziehung zwischen der KlientIn und der SozialpädagogIn voraus.

Insbesondere die Begriffe „Messbarkeit“ und „Kennzahlen“ tragen massiv dazu bei, dass betriebswirtschaftliches Denken die Soziale Arbeit prägt und im Kern verändert. Und so hat die Nutzung des Begriffes und die Identifizierung mit dem Begriff „Effizienz“ folgenreiche Auswirkungen für die Praxis und Realität der Sozialen Arbeit: Sie bewirkt eine „Veroberflächlichung“ Sozialer Arbeit. So ist die Zeit nicht ausreichend vorhanden, die gebraucht würde, um komplexe Problemlagen angemessen zu bearbeiten, weil von chronisch knappen Ressourcen ausgegangen wird. Es wird „ergebnisorientiert“ gearbeitet, aber das „positive Ergebnis“ wird nur quantitativ definiert, bleibt damit der Oberfläche verhaftet und macht alles zur „guten“ Sozialen Arbeit, was entlang der Erfolgsdefinition ausreichend gerechtfertigt werden kann. Gleichzeitig verweigert der Geldgeber im Zusammenhang mit dem Begriff „Effizienz“ einem sozialpädagogischen Arbeitsergebnis, das aus betriebswirtschaftlicher Sicht den formalen Erfolgskriterien nicht nachkommt, das aber – sozialpädagogisch betrachtet – deutliche Fortschritte in der Entwicklung des Betroffenen bewirkt hat, die Anerkennung als Erfolg (was einschneidende, vor allem finanzielle Folgen hat!).

Mit der Sprache und Denkweise der Betriebswirtschaft hält auch deren vereinfachende Vorstellung vom Gegenstand Sozialer Arbeit Einzug in die Soziale Arbeit selber und scheint sich dort durchzusetzen. Die Verbindung der betriebswirtschaftlichen Tendenz zur Formalisierung und Quantifizierung sozialpädagogischer Inhalte auf der einen Seite mit dem allgegenwärtigen Effizienzpostulat auf der anderen Seite kann leicht dazu führen, dass Soziale Arbeit im Rahmen der Ökonomisierung ihren Kern verliert und zu einer platten, eindimensionalen und standardisierten Hilfeschablone verkommt. Systemische Zusammenhänge des Gegenstandes Sozialer Arbeit werden dabei missachtet oder einfach ausgeklammert. „Gemanagte“ Soziale Arbeit hat sich zur Aufgabe gesetzt, ökonomisch, d.h. schonend, mit gegebenen, also vorgegebenen … Mitteln umzugehen, die vorhandenen Ressourcen optimal zu nutzen und darüber jederzeit gegenüber den Geldgebern Rechenschaft abzulegen. Damit hat sie die Möglichkeiten aus der Hand gegeben, genuine Standards professionellen Handelns (pädagogische wie sozialpolitische) aus der eigenen Wissenschaftlichkeit heraus zu begründen“, stellt Roer fest (Roer 2010, S. 41).

Wenn die zentralen Merkmale sozialpädagogischer Prozesse aber in den Hintergrund geraten, weil die Sprache der Betriebswirtschaft dafür keine Begriffe hat und keine Möglichkeiten bereit hält, sie angemessen zu erfassen, dann führt diese fremde Sprache zu einer Veränderung und Entfremdung der Sozialen Arbeit selber.

Enteignung der fachlichen und ethischen sozialpädagogischen Begriffe

Nicht wenige VerfechterInnen einer „aktivierenden Sozialen Arbeit“ benutzen außerdem explizit die Begrifflichkeiten der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit und scheinen die heftigsten VerteidigerInnen der Profession (vgl. z.B. Boeckh 2007; Langer 2006; Erath 2006). Für sie ist die Aktivierung des aktivierenden Staates quasi eine Neuformulierung sozialpädagogischer Prinzipien, als hätte der aktivierende Staat – und nicht schon lange vorher die Soziale Arbeit – die Bemächtigung ihrer Klientel auf die Fahnen geschrieben.

Dieses Vorgehen des aktivierenden Staates wird von vielen Sozialarbeitenden explizit begrüßt, „weil ihre positive Konnotation den Anschein erweckt, als sei der Begriffsverwender auf die bloße Förderung sozialer und personaler Integration ausgerichtet“, bemerkt Dollinger (2006, S. 18). In Wirklichkeit aber komme es zu „politischen Umcodierungen mit spezifischen Machteffekten“. Deshalb, so warnt Dollinger, „sind diese Begriffe aus sozialpädagogischer Sicht ambivalent, da sie sozialpädagogischem Denken korrespondieren, aber in ihrem Gehalt sukzessiv diskursiv verändert werden“ (ebenda). Auch Ziegler stellt fest: „Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass die Begriffe hier umgedeutet, sozialpädagogisch „entkernt“ werden und sich in einer neosozia­len Vorstellung von Sozialer Arbeit verlieren, die sich der Umverteilung von Ressourcen und der Sicherung von Rechten entzieht und sich auf eine ‚politics of behavior‘, eine Etho-Politik der Veränderung und Produktion von Haltungen, Lebensentwürfen und Lebensführungspraktiken beschränkt “ (Ziegler 2008, S. 173).

Nicht jeder erkennt, dass sich die Aktivierungslogik des aktivierenden Staates einer Begrifflichkeit bedient, die sie strukturell gar nicht einlöst und einlösen kann und will, wie z.B. Emanzipation und Partizipation oder auch Inklusion. Es scheint für viele so, als lägen die Perspektiven der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit und die des aktivierenden Staates ganz nah bei einander. Tatsächlich aber weisen sie in diametral entgegen gesetzte sozialpolitische Horizonte. Deshalb ist es so schwer, der neosozialen „Verführung“ zu widerstehen (s. Seithe 2012).

Bröckling et al. (2004, S. 14) stellen fest: „Konzepte wie Aktivierung, Empowerment, Partizipation und Flexibilität, deren Wurzeln auf die Kämpfe sozialer Emanzipationsbewegungen zurückweisen, haben sich in institutionelle Anforderungen und normative Erwartung verwandet – Subversion ist zur Produktivkraft geworden“. Die Übernahme des Aktivierungsbegriffes durch die neoliberale Sozialpolitik hat eine für die Soziale Arbeit sehr problematische Konsequenz: „Ein fachlich akzeptiertes und durchgesetztes methodisches Arbeitsprinzip der Sozialpädagogik wird scheinbar sozialpolitisch geadelt, aber auch in einen neuen, deutlich sozialpolitisch konturierten Kontext verschoben“, kommentiert Dahme (Dahme 2006, S. 8; Kessl 2005, S. 81; Kessl/Otto 2009, S. 18).

Das neoliberale Konzept greift dabei außer den Begriffen auch die Erfahrungen und Bedürfnisse der Akteure der Sozialen Arbeit auf oder korrespondiert damit in problematischer Weise. Der Cocktail zwischen Emanzipation und neoliberalen Orientierungen aber führt unweigerlich in die Irre: „Ob es sich im Einzelfall um ein fachlich fundiertes, methodisches Modernisierungsprogramm handelt oder aber um ein sich fachlich maskierendes Sparprogramm, ist allein an Begriffen nicht abzulesen“, stellen Galuske und Thole mit Blick auf die heutige Landschaft neuer sozialpädagogischer Methoden fest (Galuske/Thole 2006, S. 12).

Es handelt sich also um eine „semantische Übernahme“ der sozialpädagogischen Begriffe durch den aktivierenden Staat.

Nicht nur der Begriff Aktivierung hat im Rahmen der neosozialen Vorstellungen neue Inhalte und neue ideologische Ausrichtungen erhalten: ‚Eigenverantwortung’ z.B. ist ein in der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit wichtiger Begriff. Der permanente Appell des aktivierenden Staates an Eigenverantwortung funktioniert in der heutigen Sozialen Arbeit nicht zuletzt deshalb so reibungslos, weil der Begriff dort positiv besetzt ist. „Gegen Selbstverantwortung und Eigeninitiative kann eigentlich niemand etwas haben“, merkt Weyers zu Recht an (Weyers 2006, S. 217). Das Gleiche gilt z.B. für das Paradigma ‚Hilfe zur Selbsthilfe’. Hier wird die sozialpädagogische Bedeutung des Begriffes in der neosozialen Praxis insofern konterkariert, als hier die Menschen auf sich alleine zurückgeworfen werden und ihnen die alleinige Verantwortung für ihre Probleme und Bewältigungsschwierigkeiten zugewiesen wird. Heite (2008) bemerkt, dass z.B. auch der Begriff der ‚Partizipation‘ sowohl von der Sozialen Arbeit wie auch vom aktivierenden Sozialstaat verwendet wird. Sie empfiehlt deshalb: „Im Kontext reflexiver Professionalisierung sind partizipative Praxen auf die ihnen impliziten Ungleichheitsverhältnisse zu befragen“ (Heite 2008, S 39). Es sei zu bedenken, ob und wie gewährleistet werden könne, dass auch machtschwächere Akteure ihre Interessen und Sichtweisen zur Geltung bringen können. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff ‚Empowerment‘: Im sozialpädagogischen Kontext geht es vor allem um eine „Enthierarchisierung des sozialarbeiterischen Erbringungsverhältnisses“ (Heite 2008, S. 182f). Der Klient wird bemächtigt, kann die Abhängigkeit von fremder Hilfe abstreifen und wird Herr seiner eigenen Lage. Im aktivierenden Staat dagegen geht es beim dem Begriff Empowerment vor allem um die Aussage, dass der Betroffene zunächst einmal selber für sein Schicksal und sein Ergehen verantwortlich sei (ebenda).

Die Tatsache, dass die neosoziale Aktivierungsstrategie mit Schlagworten wie „Fordern und Fördern“, Eigenverantwortung“, „Eigeninitiative“, „sozialpolitisch angestrebte Aktivierung der Bürger und Bürgerinnen“ usw. einen zentralen sozialpädagogischen Theorie- und Praxisdiskurs aufgreift, sich aber dennoch fundamental von diesem unterscheidet, bringt viele Autoren dazu, sich zur fragen

wie es kommen kann, dass gerade die Soziale Arbeit so stark vom neoliberalistischen Umbau ergriffen werden konnte (vgl. z.B. Winkler 2008, S. 193; Füssenhäuser 2009, S. 141; Roer 2010).

Roer (2010) stellt fest, dass mit der Adaptation der individualisierenden Gesellschaftstheorie z.B. von Ulrich Beck in den 80er Jahren eine tief greifende Veränderung des wissenschaftlichen Selbstverständnisses der Profession hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen und damit auch sozialpolitischen Positionierung stattgefunden habe, die auch beim Konzept der Lebensweltorientierung durchaus feststellbar sei. Das weitgehende Ausgrenzen gesellschaftlicher Aspekte aus dem sozialpädagogischen Ansatz zu Gunsten einer massiven und umfassenden Individualisierung, die in diesem Sinne fehlende gesellschaftstheoretische Fundierung der Disziplin, die Propagierung vom Ende der Sozialen Frage und die Auffassung Sozialer Arbeit als Dienstleistung, so Roer, haben dann der einige Jahre später einsetzenden neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik objektiv in die Hände gearbeitet. Da sie sich durch die „Erledigung der Sozialen Frage“ und damit durch die „Beerdigung der Spezifik sozialarbeiterischer Praxis“ (ebenda, S. 41) selber „entpädagogisiert“ habe, gäbe es nun für sie keine fachlichen Argumente mehr gegen eine Vereinnahmung z.B. im Sinne der Ökonomisierung.

Tabuisierung zentraler sozialpädagogischer Begriffe

 Nur ein Teil der spezifischen und ursprünglichen Begriffe der Sozialen Arbeit (vornehmlich die Begrifflichkeiten der LWO) wurde adaptiert und in die neue Struktur eingebettet.

Andere Begriffe, die traditionell die Soziale Arbeit prägen und die zentrale und grundsätzliche Strukturen und ethische Ausrichtungen der Sozialen Arbeit zum Ausdruck bringen wie z.B. „Parteilichkeit“, „Beziehungsarbeit“, „Subjektorientierung“  werden konsequent unter den Tisch gekehrt.

Zur Verdeutlichung soll hier auf das Beispiel des Begriffes “Parteilichkeit“ näher eingegangen werden:

„Parteilichkeit“ in der Sozialen Arbeit bedeutet, dass sich die Soziale Arbeit zu den Menschen, insbesondere den sozialbenachteiligten Menschen  und ihren Rechten bekennt und sich für soziale Gerechtigkeit und gegen Ausgrenzung einsetzt. Parteilichkeit für die Klientel der Sozialen Arbeit ist also das Bemühen – trotz des immer auch bestehenden gesellschaftlichen Auftrages zur Anpassung an das System und seine Interessen – sich für die Menschen, für deren Bedürfnisse und Bedarfe einzusetzen und mit ihnen zusammen deren Interessen zu verteidigen – im Zweifel auch gegen die Interessen des Systems (vgl. z.B. Thiersch 1993, S.13). Sie beruht auf elementaren ethischen, humanistischen Werten. Eine solche Haltung setzt natürlich voraus, dass man den Betroffenen mit einem humanistischen Menschenbild, mit Akzeptanz, Respekt und der Bereitschaft entgegentritt, sie in ihren eigenen Lösungsversuchen zu unterstützen, statt ihnen Lösungen vorzugeben oder gar aufzuoktroyieren.
Parteilichkeit bedeutet auf keinen Fall ein „sich Identifizieren“ und erst Recht kein „Mitleiden“. Parteilichkeit ist auch etwas ganz anderes als Nächstenliebe. Sie bedeutet das Partei-Ergreifen für Schwächere und zwar aus der ethischen Überzeugung heraus, dass diesen Schwächeren Unrecht geschehen ist oder geschieht. Ihr Mangel an Ressourcen ist keine individuelle Eigenschaft und schon gar kein individuelles Versagen, sondern ergibt sich im Wesentlichen aus ihrer soziale Benachteiligung.
Parteilichkeit ist dann aber nicht mehr selbstverständlich,

  • wenn der Sozialen Arbeit die angemessenen Ressourcen für eine hilfereiche, nachhaltige, ganzheitliche Unterstützungsarbeit  verweigert bzw. vorenthalten werden
  • wenn eine Atmosphäre und ein Menschenbild in der Gesellschaft vorherrschen, die Parteilichkeit für Menschen am Rande der Gesellschaft ablehnt.

In jüngster Zeit gerät die Parteilichkeit immer mehr in Verruf und wird als unwissenschaftlich und nicht mehr zeitgemäß kritisiert. Der „alten Parteilichkeit“ wird der Geruch von Irrationalität und Unprofessionalität angehängt. Ja es gibt sogar Tendenzen, „Parteilichkeit“ als einen grundsätzlichen fachlichen Fehler zu betrachten. (So berichtete eine KollegIn, die darauf bestanden hatte, gegenüber einer Klientin eine parteiliche Haltung einzunehmen, dass ihr von der Vorgesetzen vorgeworfen wurde: „Sie sind doch nicht etwa koabhängig!?“). Aber das ist nicht der einzige und nicht der eigentliche Hintergrund für die Ablehnung von Parteilichkeit.
Im neoliberalen Verständnis Sozialer Arbeit sind alle die oben genannten Werte tabu. Ein Verständnis von Parteilichkeit für sozial Benachteiligte und Schwächere liegt dieser Ideologie und diesem Staat grundsätzlich fern, denn diese setzt die Annahme voraus, dass bestimmte individuelle Probleme gesellschaftliche Ursachen haben (können) und somit eine gesellschaftliche und damit auch politische Verantwortung für deren Lösung besteht.
Die grundsätzlich individuelle Schuldzuweisung des aktivierenden Staates macht Parteilichkeit aus Sicht des Systems überflüssig. In einer neoliberalen Welt ist Parteilichkeit etwas völlig Dysfunktionales. Sie verletzt das Gebot der absoluten Selbstverantwortung und bringt die Frage der gesellschaftlichen Ursachen von Problemlagen unerwünschter Weise auf die Tagesordnung.
Offensichtliche und offensive Parteilichkeit in der Sozialen Arbeit wird heute logischer Weise als provozierende politische Handlung erlebt (und deshalb abgewehrt und abgewertet). Da, wo Politik und Staat den Betroffenen die Verantwortung und Schuld für all ihre Problemlagen selbst in die Schuhe schieben, da  bedeutet allein schon die Parteinahme der Sozialen Arbeit für die in der Gesellschaft Benachteiligten und Weggeschobenen eine große Provokation an die Adresse der herrschenden Politik und damit eine deutliche Zurückweisung der Ideologie des aktivierenden Staates.

 

Was bedeutet der neoliberale Umgang mit Begriffen für eine kritische Soziale Arbeit in Disziplin und Praxis?

Reicht es, die heute üblichen Begriffe kritisch zu hinterfragen und die entfremdete Konnotation klassischer sozialpädagogischer Begriffe aufzuzeigen?

Kann die Profession Soziale Arbeit und ihre Disziplin auf ihre bisherigen, zentralen Begriffe verzichten?

Kann sie, soll sie, darf sie, will sie die Sprache der Ökonomisierung sprechen?
Fakt ist, dass diese Sprache heute selbstverständlich geworden ist. Selbst kritisch eingestellte KollegInnen benutzen ständig und ohne es zu merken Begriffe wie „Produkt“, „Dienstleistung“, „Effizienz“ oder „Output“.

Wie schon oben berichtet, halten viele SozialarbeiterInnen genau das für unvermeidbar und manche halten es auch für taktisch geschickt, sich ebenfalls der Sprache der Ökonomisierung zu bedienen und sie vor allen dann zu sprechen, wenn es darum geht, mit Verwaltung und Politik zu kommunizieren. Nur so, so meinen sie, hat die Profession heute noch eine Chance, Teile ihrer fachlichen Interessen durchzusetzen und finanziert zu bekommen.

So bemühen sie sich, die Sprache der Betriebswirtschaft z.B. im Rahmen von Leistungsbeschreibungen zu bedienen und das, was man für den Prozess oder die Qualität der eigenen Arbeit für wichtig erachtet,  in Zahlen, Fakten, belegbaren und sichtbaren Ereignissen zu beschreiben. So etwas führt mitunter zum partiellen und momentanen Erfolg und die KollegIn meint, sie hätte sich mit ihren Forderungen durchgesetzt.

In mancher Praxissituation ist ein solch pragmatisches Verhalten erforderlich und legitim … Insgesamt aber hat es sich gezeigt, so Erlach, „dass halbherzige Ablehnung der Ökonomisierung nicht zielführend ist, da sich alleine schon über die begriffliche Ebene unbewusste Einflüsse ergeben, denen sich die betroffenen Menschen nicht entziehen können“ (Erlach 2009, S. 193).

Mit dieser Strategie, wird sie zur Gewohnheit und zur Normalität, sind in Wirklichkeit schwerwiegende Folgen für die Profession, für die eigenen Arbeitsbedingungen und für die Klientel der Sozialen Arbeit verbunden:

In dem Maße, wie sich Fachleute darin üben, die Sprache der Betriebswirtschaft und Steuerung zu benutzen, um fachliche, sozialpädagogische Inhalte zu beschreiben, in dem Maße gewöhnen sie sich an diese „Übersetzungsleistung“. Sie trainieren geradezu diejenigen Denkstrukturen, die ihre Profession zu etwas umformen, was nicht mehr viel mit dem zu tun hat, was Soziale Arbeit eigentlich bedeutet. Auch wenn man glaubt, es handele sich dabei nur um Pragmatismus und Taktik oder gar um subversive Methoden des Widerstandes – in Wirklichkeit ist dies eine „hausgemachte“ Umsteuerung der eigenen fachlichen Konzeption und der fachlichen Ziele und Werte und bedeutet eine Verstärkung der Identifikation mit neoliberalen Denkstrukturen.

  • Zudem wird man es kaum schaffen, die entscheidenden Kernelemente der Sozialen Arbeit, die sich eben nicht in einfachen Fakten und Zahlen ausdrücken lassen (Kommunikation, Partizipation, Ergebnisoffenheit etc.), in einer Leistungsvereinbarung angemessen zu platzieren und entsprechend in Geldwert und Zeitkontingente umgesetzt zu bekommen. D.h. man bekommt Zeit und Geld für das „Unwesentliche“ der eigenen Arbeit. Das Entscheidende aber macht man dann aus eigener Motivation heraus auch noch und mit dem Risiko, es auch auf eigene Kosten tun zu müssen und nicht selten auch heimlich.
  • Das Bild von dem, was unsere Profession leisten kann, wird auf diese Weise weiter verstellt und verflacht. Wir verstecken sozusagen unsere Profession und akzeptieren nach außen die Definition unserer Aufgabe durch Leute, die betriebswirtschaftliche und verwaltungsmäßig denken.
  • Die Begrenztheit der Rahmenbedingungen, unter denen wir Soziale Arbeit machen, wird so niemandem klar und bewusst. Alles scheint bestens und in Ordnung. Und einer weiteren Abwärtsentwicklung unserer Professionalität steht nichts im Wege.

 

In Profession und Disziplin wäre es vielmehr erforderlich, vorgegebene Begriffe kritisch zu hinterfragen und sich der Begriffe zu besinnen und zu bedienen, die die Soziale Arbeit als fachliche Disziplin selbst entwickelt hat – und das gerade da und in solchen Zusammenhängen, wo uns unsere eigenen Sprache genommen werden soll.

PraktikerInnen sollten das „störrischen Beharren“ auf den eigenen fachlichen Begriffen und Kernaussagen in ihrer alltäglichen Arbeit üben.
Damit das aber nicht einsame und – weil einfach abgeschmettert –  wirkungslose Bemühungen bleiben, wäre es notwendig, im Vorfeld mit den Fachkollegen das Schweigen und Stummwerden zu beenden und als verantwortliche und professionelle Fachkräfte die Soziale Arbeit wieder über fachliche Kontexte zu sprechen, die jeweils fachlich erforderliche Arbeit  zu beschreiben und dabei auch zu definieren, welche Rahmenbedingungen erforderlich sind und welche Begriffe für die fachliche Arbeit gebraucht werden.

Auf alle Fälle müssten die Fachkräfte daran arbeiten, die „Schmerzgrenze“ zu definieren und bekannt zu machen, an der sie Anpassungsleistungen verweigern werden.

Die Praxis könnte so einen konstruktiven, aktiven Beitrag leisten und Widerstand entfalten gegen die fremde Sprache in ihrer Profession. So entsteht fachliches Selbstbewusstsein und ein konsequent fachliches, gemeinsam vollzogenes Handeln wird erleichtert.

 

In der Wissenschaft wäre es an der Zeit, (Roer 2010, S.41) „mit der theoretischen Klärung der Frage (zu; Erg. Der Verf.) beginnen, die in den 80er Jahren vernachlässigt oder sogar abgewiesen wurde: Welche Rolle spielt und soll die Soziale Frage für die Funktion und das politische Selbstverständnis der Sozialen Arbeit spielen? Hieraus könnte sich eine professions- und Disziplin spezifische Fachlogik entwickeln, die sich dem Projekt des aktivierenden Staates konsequent entzieht und damit auch die begriffliche Vereinnahmung unmissverständlich aufdeckt.“

Insgesamt bräuchten die Profession wie die Disziplin neue Arenen der Verhandlung. Das sind nicht nur neue Formen der Kommunikation mit den Geldgebern, der Politik und der Verwaltung. Das sind vor allem Orte, an denen Professionelle selbst miteinander über ihre Fachlichkeit sprechen, wo sie die gegenwärtige Vereinnahmung durch die Ökonomisierung analysieren und entlarven können und wo sie Visionen einer Sozialen Arbeit entwickeln können, die – jenseits der ökonomisierten Sozialen Arbeit – wieder eine Soziale Arbeit ist, die den Menschen dient und nicht den betriebswirtschaftlichen Vorstellungen von Erfolg. Und schließlich können in solchen Arenen gemeinsam Strategien entwickeln werden, wie es gelingen könnte, „der Gesellschaft ihren Wahnsinn zurück zu geben“.

Erlach drückt das so aus:

„Die Kompetenz, soziale Arbeit zu beschreiben darf nicht der Politik überlassen werden. Wichtig ist, dass die Profis angesichts des manipulativen Prozesses ihren Schock überwinden und wieder beginnen sich über ihre Arbeit Gedanken zu machen und mit einander inhaltlich zu diskutieren. (Erlach 2009, S. 191).

 

Literaturhinweise:

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Oranienburg, 22.2. 2015
Mechthild Seithe

Über m.s.

Ich war 18 Jahre Professorin für Soziale Arbeit an der FH Jena (Methoden, Hilfen zur Erziehung, Schulsozialarbeit). Davor war ich 18 Jahre in der Praxis. Studiert habe ich Psychologie in Münster und Soziale Arbeit in Frankfurt a.M. Bücher: Schwarzbuch Soziale Arbeit Engaging Hilfe zur Erziehung zwischen Professionalität und Kindeswohl Das kann ich nicht mehr verantworten Ambulante Hilfe zur Erziehung und Sozialraumorientierung
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