Gedanken zur gegenwärtigen Flüchtlingssituation

21.10.15

1. Gedanke
Der offene und verdeckte Rassismus unter den Menschen – und wie wir ihm begegnen

Der Rassismus gewinnt an Land
Es gibt unglaubliche, menschenverachtende, rassistische Vorurteile und Schmähungen, die den flüchtenden Menschen angelastet werden. Das steht in der Tradition aller rassistischer und ausgrenzender Versuche, die die Menschheit hervorgebracht hat.
Die Bereitschaft, rechte und rassistische Positionen offen zu zeigen, wächst zurzeit drastisch an. Der Rassismus wird nicht immer offen gezeigt. Es gibt auch den latenten Rassismus bei Menschen, die meinen, auf keinen Fall rassistisches Gedankengut in sich zu tragen, die aber doch in ihrem Vokabular, in ihren spontanen Äußerungen oder auch dadurch, wie sie sich zur Flüchtlingssituation äußern, rassistische Haltungen offenbaren.
Deshalb ist es wichtig,  bei allen Äußerungen, die man selber macht oder die man bei anderen hört, darauf zu achten, ob hier nicht auch ein Stück versteckter, unbewusster oder verschleierter Rassismus enthalten ist.

Die Wilkommenskultur versucht diesem Fremdenhass entgegenzusteuern
Viele Menschen in unserem Land möchten diesem wachsenden Rassismus in unserer Gesellschaft etwas entgegenstellen und außerdem einfach helfen, wo sie gebraucht werden, wo Not am Mann ist und wo Menschen Unterstützung brauchen. Sie möchten den Neuankömmmlingen zeigen, dass sie willkommen sind, dass hier nicht alle Menschen etwas gegen Ausländer haben und ihnen das Leben schwer machen möchten. Sie opfern oft einen großen Teil ihrer Freizeit und sind unermüdlich tätig. Sie demonstrieren Menschlichkeit, Nächstenliebe, Altruismus, Verantwortung, ganz wie sie es selbst verstehen. Ihnen gebührt Anerkennung und auch Bewunderung für ihren Einsatz, und für viele der flüchtenden Menschen ist die Begegnung mit Deutschen, die ihnen freundlich und offen entgegen treten eine wohltuende Erfahrung. Und sie leisten für diese Menschen natürlich massiv konkrete Hilfe.
Problematisch ist an der hochgelobten Willkommenskultur, dass man nicht erwarten kann, dass die Helfer diese Kraft immer weiter aufbringen können und werden. Und was dann?
Problematisch ist auch, dass hier von dem Versagen unserer Bundesregierung abgelenkt wird. Private Initiative und persönliches Engagement ersetzen notgedrungen das, was der Staat zu leisten hätte. Dass gerade die Medien und auch die Bundesregierung die Willkommenskultur über den Klee lobt, ist sicherlich kein Zufall. Was freiwillige Helfer machen, dass muss man weder bezahlen noch selbst organisieren.
Trotzdem soll das nicht heißen, dass es unsinnig oder gar problematisch wäre, aktiv Hilfe und Unterstützung für die ankommenden Menschen zu leisten. Für diese Menschen ist die Hilfe wichtig, notwendig und absolut richtig.
Nur, wenn man in der Flüchtlingsfrage anfängt, weiter zu denken, politisch zu denken, Fragen zu stellen, dann wird deutlich, dass wir die Problematik allein mit der Willkommenskultur nicht lösen können: weder den zunehmenden Rassismus, noch die prekäre Situation im Land, das in wenigen Monaten fast eine Millionen neuer Bürger beherbergen, versorgen, integrieren und menschenwürdig behandeln soll, was aber von der herrschenden Politik nur zögerlich und knauserig angegangen wird. Noch ist damit etwas getan gegen die Unmenschlichkeiten, die an den Grenzen, auf dem Mittelmeer, in den Lagern und erst in den Ursprungsländern an der Tagesordnung sind. Von den Ursachen der Flüchtlingsströme durch Krieg, zerstörte Lebensgrundlagen und Armut ganz zu schweigen.

Flüchtende Menschen sind nicht besser und nicht schlechter als der Rest der Welt
Eine besondere Rolle für den sich ständig weiter ausbreitenden Rassismus unter unseren Landsleuten spielen mediale oder von Mund zu Mund verbreitete Aussagen über kriminelle Handlungen, über Gewalt unter Flüchtlingen und über sonstige Fehlhandlungen der in unser Land geflüchteten Menschen. Es ist zu beobachten, dass mit Blick auf die flüchtenden Menschen solche „Taten“ sehr große öffentliche Aufmerksamkeit erhalten und dadurch der Eindruck entsteht, dass diese Menschen problematischer, gefährlicher, ja „schlechter“ seien. Warum sollten aber Menschen, die zu uns flüchten, bessere Menschen sein als alle anderen? Wenn von Schlägereien berichtet wird, so kann ich das ohne Weiteres glauben, denn eine Unterbringung von Menschen verschiedener Ethnien auf so engem Raum und in einer so perspektivlosen Situation könnte auch unter Engeln nicht ohne gesteigerte Aggression abgehen. Diese Menschen sind in eine Extremsituation gedrängt bzw. geraten, die so manches an Stress und Ungeduld, an Aggression und Verzweiflung mit sich bringt. Es würde uns in der gleichen Lage kaum anders gehen.
Aber warum überhaupt wiegen ein Streit in einem Flüchtlingsheim, ein Diebstahl oder ein Übergriff durch geflüchtete Menschen so sehr viel schwerer, als wenn sie innerhalb der „normalen“ Bevölkerung passiert wären?
Es ist erforderlich, vorsichtig und kritisch mit pauschalen Verdächtigungen und Vorwürfen umzugehen und entsprechende Informationen zum einen genau zu prüfen, zum anderen zu relativieren. Leider fehlen sichere und neutral gewonnene Daten über die genaue Häufigkeit bestimmter Vorfälle. Es fehlen Datenvergleiche über Gewaltdelikte unter Flüchtlingen, über kriminelle Handlungen, sexuelle Übergriffe durch zu uns geflüchtete Menschen auf der einen Seite und entsprechenden Vorfällen in der deutschen Bevölkerung insgesamt
Z.B. ist es wahrscheinlich, dass sich – wie überall – auch in der Gruppe der Flüchtenden kriminelle Menschen finden. Dies rechtfertigt es aber in keiner Weise, pauschal allen Flüchtigen und in Not geratenen die kalte Schulter zu zeigen oder sie als Gefahr zu sehen. So was nennt man Vorurteil und Verleumdung von konkreten Menschen. Flüchtende sind keine „besseren oder schlechteren“ Menschen als der Durchschnitt der Menschheit und als wir.

Die Idealisierung der flüchtenden Menschen spielt den Rechten in die Hände
Viele, insbesondere auch linksorientierte Gruppen und auch viele Menschen, die sich persönlich für Flüchtlinge engagieren, gehen mit den oben beschriebenen  Tatsachen auf eine Weise um, die ich für unklug und unsinnig halte: Sie versuchen, negative Ereignisse zu leugnen oder verschwinden zu lassen und vorhandene Sorgen und Befürchtungen der Bevölkerung was die Flüchtlinge und die weitere Entwicklung im Land betrifft,  abzuwehren. Sie glauben, damit den rassistischen Tendenzen etwas entgegenzusetzen. Der Eindruck, in Flüchtlingskreisen gäbe es Gewalt, Kriminalität, Übergriffe etc. wird intensiv bekämpft bzw. relativiert und die flüchtenden Menschen versucht man maßlos zu idealisieren. Man stellt bewusst ihre Hilflosigkeit, ihre Leiden, ihre normal menschlichen Bedürfnisse und Hoffnungen heraus, man vergleicht die gegenwärtigen Flüchtlingsströme mit denen an der innerdeutschen Grenze nach Gründung der DDR, man schildert ergreifende Einzelschicksale und bemüht sich, Menschen auf der Flucht mit ihrem schwerem Schicksal erkennbar und liebenswert zu machen. Die medialen Berichte über die „Willkommens-Kultur“ idealisieren die flüchtenden Menschen und vor allem die entstandene Lage. Man denkt offenbar, man könne so rechtes Gedankengut im Keim zu ersticken.
Das alles wäre so weit in Ordnung und hilfreich, wenn es nicht allzu oft verabsolutiert würde und zu Recht als unrealistische Propaganda empfunden werden muss.
Ich halte es z.B. für unsinnig und kontraproduktiv, wenn versucht wird, zu leugnen, dass in der Gruppe der Flüchtenden in etwa die gleiche Prozentanzahl an Kriminellen vorhanden ist, wie bei uns. Dafür spricht einfach die Wahrscheinlichkeit.
Ich mache mir auch keine Illusionen, dass nicht versucht werden wird, unter den Flüchtlingen junge Leute zu finden, die sich für den IS oder andere terroristische Gruppen einspannen lassen. Das zu bestreiten, halte ich einfach für blauäugig. Damit müsste unsere Gesellschaft umgehen lernen: angemessen, fair und ohne rassistisch verblendete Haltungen gegen Menschen auf der Flucht generell.
Aber von vielen werden eine realistische Haltung und Erkenntnis in diesen Fragen offenbar als gefährlich angesehen. Wenn allein die Feststellung, dass es schwer sei, mit diesen Menschen in einer für uns fremden Kultur umzugehen und zu kommunizieren, schon dazu führt, dass nicht etwa auf diese Befürchtungen und Wünsche  eingegangen wird, sondern dass man sich die Frage stellt, ob das nicht doch auf versteckten Rassismus hinweist, darf man sich nicht wundern, wenn Menschen sich abgeschreckt fühlen.
Ich halte die Unterdrückung von Kritik an den Flüchtlingen und die Abwehr von Befürchtungen und Fragen weiter Teile der Bevölkerung für hochproblematisch. Die Menschen, die nicht selten ganz andere konkrete Erfahrungen in ihrem Alltag machen, die gleichzeitig erleben, dass man sie in die rechte Ecke drängt, fühlen sich nicht verstanden und ernstgenommen sondern betrogen. Und so sind sie ein gefundenes Fressen für rechte Agitatoren und sie werden in Zukunft Verleumdungen und Greulgeschichten über Flüchtlinge und die soziale Lage als bare Münze nehmen.

Die Bundesregierung beschwichtigt und verurteilt die, die sich nicht beschwichtigen lassen
Zu beachten ist, dass die Sorgen der Menschen nicht nur von linken und in der Flüchtlingsarbeit engagieren Kreisen, sondern auch von den Medien und der Regierung heruntergespielt werden bzw. ggf. als Indiz für rassistisches Gedankengut angesehen werden. Menschen, die Befürchtungen haben und Bedenken äußern, scheinen sich als Egoisten zu outen und als Gegner der bejubelten Willkommenskultur. Die offizielle und mediale Beschwichtigungsstrategie führt dazu, dass Menschen sich verraten fühlen und die rechte Szene immer mehr Zulauf bekommt. Sie wird auf diese Weise angeheizt und angefüttert. Wer Angst hat oder sich durch die Flüchtlinge bedroht oder beeinträchtigt fühlt, macht sich verdächtig. Also trauen sich viele Menschen, ihre Sorgen nicht auszusprechen, weil sie nicht in den Verdacht geraten wollen, rassistisch zu denken. Wer sich in seinen Gedanken und Befürchtungen nicht ernst genommen fühlt, der sucht sich Plattformen, wo er angehört wird.
Bei Medien und Bundesregierung hat man nicht selten den Eindruck, dass eine solche Polarisierung sogar beabsichtigt wird. Kritik an der Flüchtlingssituation wird sofort als rechts und rassistisch gebranntmarkt.
Es werden aber nicht nur die Befürchtungen von Menschen und ihre Ängste als grundsätzlich irrational und als egozentrisch abgetan. Auch Kritik an der Regierung und ihrem Umgang mit dem Flüchtlingsproblem wird nicht selten pauschal als rechte Kritik gewertet.
Ich bin der Meinung, dass eine solche Kritik an den bestehenden politischen Verhältnissen und dem Umgang der Regierung mit dem Flüchtlingsproblem absolut begründet ist. Im ersten Punkt meiner Überlegungen habe ich diese Aspekte hervorgehoben. Dass die Kritik hier oft plump, ungeschickt und politisch nicht reflektiert vorgebracht wird, bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Menschen mit rechten Haltungen sympathisieren.

Es gilt, mit den Befürchtungen der Menschen differenzierter und ehrlicher umzugehen als unsere Bundesregierung
Wir, als gesellschaftskritische und humanistisch und politisch denkende Zeitgenossen müssten m. E. mit solchen Befürchtungen und Überlegungen sehr viel differenzierter, ehrlicher und auch verständnisvoller umgehen. Ich kann in der gegenwärtigen Situation mit 800 000 Flüchtlingen in sechs Monaten sehr wohl positiv gegenüber den „Fremden“ eingestellt sein und dennoch Sorge entwickeln vor einer Situation, vor der ich mich fürchte. Was vor einem Jahr noch als übertriebene Sorge mehr oder weniger ausschließlich von rassistisch gesinnten Menschen unseres Landes geäußert wurde, das stellt sich heute nach bzw. mitten in der massiven Flüchtlingszuwanderung durchaus anders dar. Es gibt inzwischen sehr wohl Situationen und Anlässe, die Fragen aufwerfen, die Befürchtungen auslösen können und die als schwierig empfunden werden.
Und das liegt weniger an einer schon bestehenden fremdenfeindlichen Haltung von Teilen der Bevölkerung als daran, dass die Bundesregierung einerseits im Namen der Menschenrechte Flüchtlinge ins Land ruft, sie dann aber wenig menschenwürdig behandelt, und dass sie andererseits versucht, das Flüchtlingsproblem im Sinne einer Billiglösung abzutun und dabei auch noch auf dem Rücken der Teile der Bevölkerung, die selbst unter erschwerten und oft prekären Bedingungen in diesem reichen Land leben.

Das bedeutet für mich, dass der Umgang mit dem Flüchtlingsproblem weder in der Verharmlosung und Verherrlichung der flüchtenden Menschen und ihrer Lebenssituation hier bei uns  bestehen darf, noch in einer simplen und pauschalen Verurteilung aller Bedenken und Ängste von Menschen als rechte Tendenzen.

Wir müssen die Menschen in ihren Befürchtungen ernst nehmen und mit ihnen darüber ins Gespräch kommen. Dann ist zu klären, ob diese Ängste berechtigt sind oder nicht und wenn ja, wer daran die Schuld trägt. Wir müssen klarstellen, was politisch und verwaltungsmäßig anders gemacht werden muss und woher das Geld für Lösungsansätze im Sinne einer fairen und gesellschaftsverträglichen Aufnahme und Integration dieser Menschen kommen soll. Und schließlich müssen wir die Frage ganz oben anstellen, wie es überhaupt zu dieser Flüchtlingswelle in unserer Gegenwart gekommen ist und wie hier eine Lösungen aussehen müssten.

2. Gedanke
Das Flüchtlingsproblem ist ein politisches Problem und nur als solches zu lösen

Die Politik und das konkrete politische Verhalten der Bundesregierung ist unverantwortlich
Es ist im Kontext der ganzen Flüchtlingsdebatte zu allererst notwendig, das Augenmerk auf das höchst problematische, unverantwortliche Verhalten der Bundesregierung zu richten und sich strikt dagegen zu verwahren. Schließlich trägt die Bundesregierung mit ihrem konkreten Verhalten in der Flüchtlingsfrage zur Eskalation der Lage selbst bei.
Sie lädt Menschen ein, zu uns zu kommen, stellt dann aber für sie keine menschenwürdigen Bedingungen zur Verfügung.
Auch eine gute Millionen um Schutz bittender Menschen und mehr wären kein wirkliches Problem für ein so reiches Land wie Deutschland. Allerdings müsste dann auch eine politische und materielle „Willkommenskultur“ praktiziert werden, das heißt, es müsste auch entsprechend „Geld in die Hand genommen werden“. Geld würde übrigens nicht nur für die Unterbringung der flüchtenden Menschen selbst gebraucht, sondern auch für die einheimische Bevölkerung, die dort unterstützt werden muss, wo für sie Belastungen und Verunsicherungen durch die Unterbringung  der fremden Menschen  entstehen. Solange die Bevölkerung die auf sie zukommenden Flüchtlinge ausschließlich als Belastung und als Einschränkung ihrer Lebensqualität erlebt, wird sich ein gutes Miteinander nicht entwickeln können.
Wir leben in einem Land, in dem seit mindestens zwei Jahrzehnten die Individualisierung gepredigt wird, und in dem Solidarität und verantwortliches Denken über die eigene Nasenspitze hinaus eher als verträumter Anachronismus abgetan werden. Es wäre mehr als idealistisch zu denken, dass in diesem Land die Bevölkerung auf einen Appell hin plötzlich durchgehend „Herz“ zeigt, sich solidarisch verhält und bereit ist, ihr eigenes Leben und ihren erreichten persönlichen Wohlstand für andere Menschen infrage zu stellen.

Das Geld ist da und müsste bei den „Reichen“ geholt werden
Das erforderliche Geld freilich wäre vorhanden. Es müsste aber das Geld der Reichen und nicht das Geld der Armen sein. Es ist bekannt, dass in Deutschland 10 Prozent der Bevölkerung etwa 70 Prozent des gesellschaftlichen Reichtums verfügen. In einem solchen Land ist es absurd, dass ein deutscher Arbeitsloser zu Recht befürchten muss, dass es wegen der Flüchtlingskrise für ihn weitere Einschnitte in der Sozialleistung geben wird. Einmal mehr ist die Umverteilung von oben nach unten zu fordern. Wenn Sarah Wagenknecht im Bundestag davon berichtet, dass Menschen aus Wohnungen, die dem Staat gehören, ausziehen mussten, um für Flüchtlinge Platz zu schaffen, dann wird das nicht frei erfunden sein. Und schon heute wird allerorten mit Blick auf die Flüchtlingskosten mit weiteren Einschränkungen und mit dem Aussetzen längst geplanter Verbesserungen im Sozial- und Bildungsbereich argumentiert.
Wenn das erforderliche Geld für die Flüchtlinge anderen Bedürftigen und der Bevölkerung weggenommen werden muss, weil der Bund nicht mehr Geld zur Verfügung stellt und somit gerade die arme Bevölkerung die Flüchtlinge als Konkurrenten und als Menschen erleben, die ihnen etwas wegnehmen, dann wird nichts erreicht, als dass die Bevölkerung sich betrogen fühlt und Hass auf die Fremden entwickelt.
Ich weiß, dass von unserem Staat nicht zu erwarten ist, dass er anlässlich der Flüchtlingskrise seine Politik und seine Ideologie radikal dreht. Aber wir sollten ihn nicht darum bitten, sondern ihn dazu auffordern! Spätestens an dieser Stelle muss klar ausgesprochen werden, dass uns die neoliberale Politik immer weiter ins menschliche und gesellschaftliche Chaos führt und wir damit Schluss machen müssen.
Derzeit ist unsere Politik von solchen Perspektiven sehr weit entfernt. Im Gegenteil:
Mitunter hat man den Eindruck, dass „von oben“ daran gearbeitet wird, unsere Gesellschaft gezielt zu destabilisieren und zu chaotisieren. Vielleicht geht es aber auch darum, die Flüchtlingsfrage als trojanisches Pferd zu benutzen, um die nächste Spar- und Kürzungswelle im Sozialbereich unbeachtet über die Bühne zu bringen oder auch darum, ein Argument zu haben, um skrupellos  die Löhne weiter zu drücken.

Man muss die Ursachen benennen und die Verursacher anklagen
Aber noch wichtiger als die eben dargestellte Problematik wäre übrigens für mich, darüber aufzuklären, wie und wodurch dieses Flüchtlingselend entstanden ist, welche Ursachen und Verursacher es dabei gibt: Dass der Westen mit seinem kapitalistischen System seit Jahrzehnten dabei ist, in den betroffenen Ländern den Menschen ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu entziehen, dass er durch seine Kriege um Öl und Macht Länder zerstört, Gesellschaften destabilisiert hat und Gewalt und Terror gesät und Länder verwüstet hat.
Aber statt die vergangenen Fehler einzusehen und zu stoppen, feuert unsere Bundesregierung durch ihre exzessiv gesteigerten Waffenexporte die Krisenherde weiter an und statt die wirklichen Ursachen in den und mit den betroffenen Ländern anzugehen, bläst sie zur „Schlepperjagd“.
Tatsächlich sind wir selber bzw. unser wirtschaftliches und politisches System die Ursache dafür, dass den heute Flüchtenden das Wasser bis zum Hals steht und sie nicht anders mehr können, als ihr Land zu verlassen, um anderswo Lebensbedingungen zu finden, die ihnen das Überleben und ein einigermaßen menschenwürdiges Leben sichern. Und nun kommen sie Hilfe suchend in die Länder, die letztlich mitschuldig sind für ihre Not und Vertreibung.

Die Flüchtlingsproblematik ist zuerst eine politische Frage
Das sind für mich die entscheidenden Probleme und Fragen in der Flüchtlingskrise. Insofern meine ich, dass man über das Flüchtlingsthema nicht sprechen kann, ohne politisch zu werden. Wenn man es individualisiert und nur auf der zwischenmenschlichen Ebene belässt, tut man so, als sei es auch nur auf dieser Ebene zu lösen und als handele es sich eher um eine „Naturkatastrophe“, als um eine soziale und global herbeigeführte menschliche Katastrophe.

Das Flüchtlingsproblem ist nicht mit viel Nächstenliebe und Aufopferung zu lösen, die zwischenmenschliche Willkommenskultur ist zwar anerkennens- und bewundernswert, kann von den Engagierten aber nicht ewig durchgehalten werden. Zudem entlastet sie massiv den Staat in seiner Verantwortung und verschleiert außerdem die Hintergründe der Flüchtlingskrise und die Wirklichkeit über unsere angeblich so menschenwürdigen Bedingungen, die wir diesen Menschen anbieten. „Herz“ ist eben nicht die einzig sinnvolle Alternative zu Pegidas „Hetze“!

Was hieße politische Flüchtlingsarbeit?
Zum einen geht es darum, die Tatsachen laut zu benennen, die wirklichen Skandale in Flüchtlingsheimen oder z.B. auch den Umgang der Polizei mit geflüchteten Menschen öffentlich zu machen und an den Pranger zu stellen.
Die vielen freiwilligen HelferInnen bekommen die Mängel in der staatlichen Versorgung von Flüchtlingen und der Organisation der Flüchtlingssituation tagtäglich mit. Sie erleben, wie mit Flüchtlingen an offiziellen Stellen umgegangen wird. Neben ihrer direkten Hilfe für die Menschen wäre es eine ebenso große Hilfe für diese Betroffenen, wenn sie als HelferInnen nicht einfach damit zufrieden wären, das Nächstliegende zu tun. Tatsächlich werden sie in eine Hilfemaschinerie eingegliedert und tragen dazu bei, dass die vorhandenen Mängel ausgeglichen und somit eigentlich vertuscht werden.

Und das gilt erst Recht für die professionellen HelferInnen, die Aufgaben im Kontext der Flüchtlingsarbeit übernehmen müssen. Wäre es nicht ihre Pflicht, Mängel aufzudecken, Fehlhandlungen anzuzeigen, also sich schlicht parteilich für die Flüchtlinge einzusetzen? Aber SozialarbeiterInnen sind, wie wir wissen, heute in der Mehrzahl angepasste oder willfährige oder zumindest schweigende HelferInnen, die die von oben gesetzten Aufgabenstellungen auch dann bereitwillig übernehmen, wenn diese Aufgaben gegen ihre berufsethischen Grundpositionen verstoßen. In der Kinder- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie, in der Suchtberatung und oft selbst im Jobcenter sind die Verstöße gegen die Menschenrechte und die Menschenwürde gegenüber der Klientel nicht immer gleich sichtbar, jedenfalls meist nicht so deutlich wie in der Flüchtlingsarbeit. Aber auch hier, vielleicht gerade hier, herrscht großes Schweigen. Die KollegInnen arbeiten sich kaputt angesichts des hohen Arbeitsanfalls und dem belastenden, ständigen Kontakt mit traumatisierten, oft verzweifelten Menschen, denen sie als SozialarbeiterInnen aber letztlich keine Perspektive bieten können. Viele von ihnen tun für die Flüchtlinge alles, was sie nur können. Aber auch sie begnügen sich damit, als Rädchen im Getriebe das zu tun, was man von ihnen verlangt und nicht dafür zu sorgen, dass die bestehenden Verhältnisse gestoppt werden und sich ändern. Natürlich, das wäre sehr schwer, das wäre auch gefährlich, man müsste sich in Konflikte begeben mit Vorgesetzten und mit Trägern, man würde sich zumindest sehr unbeliebt machen – wahrscheinlich auch bei den KollegInnen, die lieber still bleiben möchten.
Politische Flüchtlingsarbeit dagegen würde bedeuten, Betroffenen nicht nur konkret zu helfen und sie willkommen zu heißen, es würde bedeuten parteilich zu sein, auf der Seite der Menschen zu stehen, um die es hier geht. Es ginge darum, nachdrücklich und ausdauernd Forderungen im Interesse der Flüchtlinge an die Verwaltung und die Politik zu stellen, sich zu weigern, menschenunwürdige Praktiken mitzumachen, bekannt gewordene Skandale offen zu legen, die Menschen in ihren Rechten zu beraten, um sie stark zu machen, damit sie sich gegen illegale Abschiebungsversuche und unmenschliche Behandlungen  wehren können.
Es gibt eine Menge von politischen Gruppen und Initiativen, die sich auf der einen Seite für die Flüchtlinge auch persönlich helfend engagieren, die aber dies nicht tun im Sinne einer Wohltätigkeit, sondern im Sinne einer solidarischen Handlung Menschen gegenüber, die die gleiche Würde, die gleichen Rechte und den gleichen Anspruch an ein menschenwürdiges Leben haben – bei uns und überall auch. Miriam Burzlaff und Naemi Eifler (http://www.gemeindepsychologie.de/fg-1-2015_05.html) haben in ihrem Artikel „Deutsche Asylpolitik, Proteste Geflüchteter und das Schweigen Sozialer Arbeit“, erschienen im Forum Gemeindepsychologie (Jg. 20, 2015) die Erfordernissen einer nicht nur kritisch denkenden, sondern auch aktiv politisch unterstützenden Flüchtlingsarbeit differenziert dargestellt.

In diesen Gruppen wird mit den geflüchteten Menschen direkt und auf gleicher Augenhöhe zusammen gearbeitet und es wird gemeinsam versucht, politische Kraft zu entfalten, um die Lage zu verbessern und um die Verantwortlichen herauszufordern.

Über m.s.

Ich war 18 Jahre Professorin für Soziale Arbeit an der FH Jena (Methoden, Hilfen zur Erziehung, Schulsozialarbeit). Davor war ich 18 Jahre in der Praxis. Studiert habe ich Psychologie in Münster und Soziale Arbeit in Frankfurt a.M. Bücher: Schwarzbuch Soziale Arbeit Engaging Hilfe zur Erziehung zwischen Professionalität und Kindeswohl Das kann ich nicht mehr verantworten Ambulante Hilfe zur Erziehung und Sozialraumorientierung
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