Dieser Vortrag wurde von mir gehalten am 19.11.2015 auf einer Veranstaltung der KRISO Bern.
Was bedeutet die neoliberale Transformation in unserer Gesellschaft
Bevor ich auf die direkten Folgen des Prozesses der Ökonomisierung und der Neoliberalisierung eingehen kann, muss ich kurz skizzieren, worum es bei der Neoliberalisierung geht.
Der Neoliberalismus ist das heutige Wirtschaftssystem der 2. Moderne, und er ist natürlich immer noch ein kapitalistisches System bzw. , – wie Galuske es nennt – sogar der entfesselten Kapitalismus.
Er hat sich und wurde nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und im Kontext der Globalisierung in den westlichen Ländern dieser Welt etabliert und stellt alles unter die Maxime, dass das Wohlergehen der Menschen einzig davon abhängt, wie gut es der Wirtschaft geht.
Sie aber ist vorrangig und alternativlos an Gewinnmaximierung interessiert und nicht an der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und gesellschaftlicher Entwicklung – es sei denn, dieses fördert wiederum ihre eigenen Gewinninteressen.
Nun ist der Neoliberalismus kein Naturereignis, sondern ein Ergebnis der Kräfteverhältnisse in der westlichen Gesellschaft. Zugrunde liegen also all den Neuerungen oder Reformen, wie sie im sogenannten Modernisierungsverständnis genannt werden, politische Entscheidungen. Und die haben wiederum mit den konkreten Machtverhältnissen und mit der Machtakkumulation der Kräfte zu tun, die in dieser Gesellschaft über den Reichtum der heutigen Menschheit verfügen.
Die Marktwirtschaft des entfesselten Kapitalismus erhebt folgerichtig den Anspruch, alles und alle Bereiche der menschlichen Gesellschaft unter die Marktgesetze zu stellen und wie ein Marktgeschehen zu führen. Und das bezieht sich tatsächlich auf alle Bereiche der Gesellschaft einschließlich solcher Bereiche, die bisher – auch im Kapitalismus der 1. Moderne – einvernehmlich als nicht marktfähig und nicht marktförmig betrachtet und behandelt wurden, also auch die Bildung, das Gesundheitswesen, die Kultur und nicht zuletzt der soziale Bereich der Gesellschaft.
Alles wird instrumentalisiert und benutzt, um eine Gesellschaft herzustellen und aufrechtzuerhalten, in der nicht die Bedürfnisse von Menschen zählen, sondern die „alternativlosen“ Erfordernisse des kapitalistischen Marktes. Menschen sind verpflichtet, ihren Teil eigenverantwortlich zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen beizutragen. Sie sind nicht mehr die Souveräne der Gesellschaft, sondern die DienerInnen der Wirtschaft. Es geht nicht um Menschen mit Persönlichkeit und Würde, sondern allein nur noch um ihre Funktion als Humankapital.
Wer heute als Sozialarbeitender in der Praxis tätig ist, wird zwangsläufig mit einer veränderten Sozialen Arbeit konfrontiert, die sich auf einem „Sozialen Markt“ verkaufen und rechnen muss. Das hat gravierende Folgen für die zeitlichen und finanziellen Ressourcen und bedeutet, dass Ziele und Strukturen der Sozialen Arbeit nunmehr von außen gesteuert werden.
Darauf komme ich gleich ausführlich zurück.
Zunächst noch eine Bemerkung zum Neoliberalismus und seiner gesamtgesellschaftlichen Bedeutung.
Für die Gesamtgesellschaft und für die Weltbevölkerung sind die Folgen unübersehbar.
- So muss man zum einen die immer weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich nennen,
- Dann das Phänomen, dass es Menschen unterschiedlicher Wertigkeit gibt, nämlich die Nützlichen und die eher Überflüssigen und z.B.
- Galuske 2008 spricht vom unternehmerischen Habitus, der nun jedem verlangt würde und der jeden dazu verpflichtet, seine Arbeitskraft wie ein Unternehmer zu pflegen, ständig anzubieten und sie auch unter persönlich schädigenden Bedingungen auszuführen.
- Die allgegenwärtige Marktlogik macht nicht vor dem Alltag der Menschen halt und hat für die alltägliche Lebensführung vielfältige Konsequenzen, denn sie führt zu einer Ökonomisierung lebensweltlicher Beziehungen(z.B. in der Beziehungspflege und der Persönlichkeitsentwicklung.
- Menschliche Probleme und Bedürfnisse und ebenso die Menschen selbst werden damit zur Ware.
- Innerhalb (z.B. Umgang mit Arbeitslosen) und vor allem auch außerhalb unseres Staates schafft der Neoliberalismus barbarische Verhältnisse, beutet Völker aus, zettelt Kriege an, zerstört die Lebensgrundlage ganzer Landstriche und missbraucht allerorten Menschen zugunsten unternehmerischer Gewinne. Er geht einher mit der Verabschiedung von den Werten des Humanismus und der Aufklärung. Obwohl, wie sie ja wissen, stets genau das Gegenteil behauptet wird.
Gleichwohl wird er offiziell als Garant von Wohlstand und Frieden gepriesen. Und viele Menschen in unserer Gesellschaft – und auch viele SozialarbeiterInnen – halten ihn für alternativlos und gar nicht so schlimm.
In der Sozialen Arbeit nun spiegelt sich die gesamtgesellschaftliche Entwicklung im Rahmen des Neoliberalismus deutlich wieder. Sorg stellte fest: „Im Teilbereich der Sozialen Arbeit sind die allgemeinen ökonomischen Prozesse der Durchkapitalisierung wie durch ein Brennglas zu studieren“ (2006, 115).
So gesehen ist die Auseinandersetzung innerhalb der Sozialen Arbeit mit dem sie dominierenden Neoliberalismus nicht einfach eine Auseinandersetzung mit dem Einzug der Technologie in die Soziale Arbeit und auch nicht einfach nur eine Auseinandersetzung mit neuen Finanzierungsmodellen oder Konzepten.
Es geht vielmehr um ganz grundlegende, prinzipielle Fragen der Sicht auf die Gesellschaft und ihre Menschen.
Was heißt das?
Wenn wir z. B. gegen die zu geringen Zeitkontingente für unsere Arbeit kämpfen, oder auch dagegen, dass man uns verbietet, solidarisch und parteilich für die sozial Benachteiligten dieser Gesellschaft einzutreten und dagegen dass sie ausgegrenzt, verachtet und alleine gelassen werden.
Tatsächlich berühren alle Fragen, die uns derzeit in der transformierten Sozialen Arbeit bewegen, immer auch die Ursachen dieser Entwicklung, d.h. zum einen den politischen Willen, der diesen entfesselten Kapitalismus unterstützt und fördert und zum anderen das wirtschaftliche System selbst. Damit aber richten wir uns als kritische Sozialarbeitende immer auch gegen das ökonomische und politische System, das genau diese Werte und Verhaltensweisen produziert und braucht.
Deswegen kann die Neoliberalisierung innerhalb der Sozialen Arbeit auch nicht einfach als berufspolitisches Problem und auch nicht nur allein als soziales Anliegen gesehen werden. Unsere Bemühungen, unsere Kritik und unser Widerstand gehen zwar von dem aus, was wir alltäglich erfahren und erdulden: von den Verhältnissen in der Sozialen Arbeit. Aber sie können dort nicht stehen bleiben.
Es gilt, sich zusammenzuschließen mit den anderen professionellen Bereichen des Sozialen, des Gesundheitswesens und der Bildung, mit den Betroffenen, besonders mit den Verlierern des Systems und schließlich mit den sozialen und politischen Bewegungen, die alle der verzweifelte Versuch eint, innerhalb unserer Welt eine Situation wiederzugewinnen, die die Menschheit nicht im Interesse einiger Weniger in absehbarer Zeit vor die Wand fahren wird.
Wenn im Folgenden über die Transformation der Sozialen Arbeit durch den Neoliberalismus und die entsprechenden Folgen gesprochen wird, sollte dieser Kontext im Bewusstsein bleiben. Spätestens wenn es um die Frage des Widerstandes geht, werden wir darauf zurückkommen.
Die neoliberale Transformation der Sozialen Arbeit
Nun komme ich also erst einmal konkret zur neoliberalen Transformation der Sozialen Arbeit und den daraus resultierenden Folgen.
Die neoliberale Transformation der Sozialen Arbeit geht einher mit den Begriffen Ökonomisierung, aktivierender Staat und mit dem Begriff des Sozial Management.
Zunächst zur Ökonomisierung:
Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit bedeutet nicht, wie so mancher glaubt, die angemessene Berücksichtigung der Tatsache, dass z.B. Soziale Arbeit auch Geld kostet.
Nach Galuske geht es beim Prozess der Ökonomisierung insgesamt um eine „Verschiebung des Kräfte- und Machtverhältnisses von Markt, Staat und privaten Haushalten zugunsten des Marktes“ (Galuske 2002, 144).
Ökonomisierung heißt, dass alles und alle – und das heißt auch das Soziale, die Bildung, das Gesundheitswesen – in dieser Gesellschaft unter die ökonomischen Gesetze von Effizienz und Konkurrenz gestellt werden.
Dem Sozialmanagement kommt dabei die Rolle zu, die ökonomischen Gesetze z.B. in den Bereichen Soziales und Gesundheit (frühere Non-Profit Bereiche) durch- und umzusetzen.
Die Betriebswirtschaft wird in diesem Prozess zur wissenschaftlichen Leitdisziplin sämtlicher gesellschaftlicher Aktivitäten.
Aus dieser Transformation folgt für die Soziale Arbeit eine neue Struktur und ein neues Menschenbild.
PraktikerInnen erfahren diese Veränderungen und problematischen Folgen tag täglich in ihrer Arbeit.
Ökonomisierung und Soziale Arbeit
Während Ende der 80er und in den beginnenden 90er Jahren an den Hochschulen vor der beginnenden Einflussnahme der Ökonomie auf die Soziale Arbeit gewarnt wurde, gehört der ökonomisierte Sprachgebrauch in der Sozialpädagogik und der Erziehungswissenschaft heute längst zum selbstverständlichen Ton. Unterstützungsangebote bzw. Formen der professionellen Beratungsarbeit werden z.B. zu „Produkten“, die von „Kunden nachgefragt“ werden – nicht mehr von Menschen, die Unterstützung und Hilfe in Anspruch nehmen wollen.
Besonders gut zu sehen ist dieser Prozess z.B. in der Kinder- und Jugendhilfe:
Die Kinder- und Jugendhilfe ist in Deutschland spätestens mit der Novellierung des § 78 SGB VIII Ende der 90er Jahre zu einem Markt mutiert. Hier entschloss sich der Gesetzgeber dazu, zum einen in der Kinder- und Jugendhilfe auch gewinnorientierte Träger zuzulassen und zum anderen, die gesamte Kinder- und Jugendhilfe zukünftig wie einen Markt zu behandeln, auf dem Unternehmen Produkte anbieten. Dieser Schritt bedeutete die Legitimation der – und den allgemeinen Aufruf zur Verbetriebswirtschaftlichung.
Das sogenannte „New Public Management“ wurde zum Leitprinzip in den öffentlichen Bereichen Gesundheit, Bildung, Kultur und Soziales und ist heute das vorherrschende Steuerungssystem (vgl. z.B. Chassé 2014).
Im Wesentlichen sind es – in diesem Kontext nur thesenartig und in Bezug auf die Soziale Arbeit formuliert – folgende Strukturelemente und Folgen, die die neoliberale Veränderung bestimmen:
- Soziale Arbeit ist ein Markt geworden.
Das Verhältnis zwischen staatlichem Auftraggeber und nicht öffentlichen Anbietern Sozialer Arbeit wurde neu geregelt (vgl. u.a. Seithe 2012).
Die Vereinbarungen zwischen öffentlichem Träger und den erbringenden Trägern bekamen nun den Charakter „unternehmerischer Verträge“ (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2005, 61). Das sogenannte Kontraktmanagement dient dazu, die erwünschte Kostensenkung im Sozialbereich durchzusetzen.
Die sozialen Unternehmen auf diesem Markt müssen sich wie Unternehmen in der Industrie verhalten. Sie müssen sich rechnen, sie können nur da investieren, wo es sich finanziell lohnt, der Gewinn (bei gewerblichen Trägern) und der Überschuss bei den freien und gemeinnützigen Trägern steht im Mittelpunkt des Interesses. Es geht tendenziell nur noch um Geld.
Ein Träger, der gezwungen ist, sich am Markt zu halten, wird alle Mechanismen bedienen (müssen), die der Markt vorsieht:
Er wird z.B., um sein Produkt billiger anbieten zu können, versuchen, die Personalkosten zu senken.
Beispiel: In Berlin z.B. arbeitet eine nicht unbedeutende Gruppe von Sozialarbeitenden zu Bedingungen, die sie zu Aufstockern machen.
Träger von Einrichtungen müssen sich in dieser Logik gegenseitig in ihrem Preis unterbieten. Sie sind zu unsozialen Umgangsweisen gegenüber ihren Mitarbeitern mehr oder weniger gezwungen. Sie werden als Träger ihrer fachlichen Autonomie beraubt und erledigen vielfach nur noch reine Auftragsarbeiten mit vorgegebenen Zielsetzungen und einengenden Rahmenbedingungen.
Auch die Abhängigkeit des einzelnen Sozialarbeiters von seinem Betrieb wird durch die Verwandlung der Träger in Unternehmen deutlich höher, seine Loyalität dem Betrieb gegenüber muss nicht selten über fachlichen Interessen stehen.
- Kostenreduktion ist das Hauptziel
Zweck der neoliberalen Umsteuerung der Sozialen Arbeit war von Anfang an der Versuch, diese sozialen Kosten einzudämmen.
Die heute allgemein übliche Budgetierung bedeutet in der Praxis oft letztlich nichts anderes als einen Sparzwang, den man selbst bedienen, verwalten und vertreten muss.
Seit der Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz (2009) hat sich der Sparzwang noch weiter verschärft.
Der Hinweis auf die Schuldenbremse wirkt noch mehr als der schon immer hochgehaltene Verweis auf die leeren Kassen der Kommunen als Totschlagargument und unterbindet jede Diskussion um die Verknappung der finanziellen Ressourcen und um deren destruktive Folgen für die fachliche Arbeit.
Der wichtige Auftrag für Sozial Arbeitende heißt deshalb heute mehr denn je: Kostensparen.
Das ständige Sparen und der verpflichtende Spar- und Effizienzauftrag lösen innerhalb der Sozialen Arbeit bei den MitarbeiterInnen eine ständige Furcht aus vor Kürzungen, Nichtverlängerungen, Nichtgenehmigungen, vor persönlicher Verarmung durch entsprechende unseriöse Verträge und durch das Ausbleiben von Einkünften bei Stundenreduktion und nicht vorhandenen Aufträgen. Conen (2012, 177) spricht davon, dass sich sowohl Jugendämter als auch Träger nicht zu schade seien, „Dumpingpreise auf Kosten der MitarbeiterInnen zu vereinbaren und nur noch billigstes Personal einzusetzen.
Gespart wird grundsätzlich an der Bezahlung der Fachkräfte aber auch durch unsinnig verkürzte Zeitvorgaben und Personalbemessungen oder einfach durch das Schließen von Einrichtungen.
Das führt auf der Mitarbeiterseite zu einer unverantwortlichen Arbeitsverdichtung und zu prekären Arbeitsplätzen und auf der Seite der Sozialen Arbeit selbst zu dem, was man in der Pflege eine „satt und sauber Pflege“ nennt. Es wird in der Sozialen Arbeit nur noch verwaltet, kontrolliert und bestenfalls angeschoben.
- Effizienz dominiert fachliches und inhaltliches Denken.
Effizienz kommt heute vor Fachlichkeit. Das Gegenteil wird behauptet, aber die Praxis spricht eine ganz andere Sprache.
Das übergeordnete Gesetz der Forderung nach Effizienz führt zur Abwendung von Fachlichkeit, zur Deprofessionalität, zu falschen oder zu kurzgegriffenen oder zu späten Hilfen oder dazu, Hilfen schlicht zu verweigern.
Beispiel: So neigt z.B. der Allgemeine Soziale Dienst in Deutschland seit geraumer Zeit dazu, entgegen den gesetzlichen Vorgaben (KJHG) Menschen mit Hilfebedarf abzuweisen, ihre Problemlagen zu verharmlosen oder ihnen gesetzlich zustehende Hilfe zu verschweigen (bes. jungen Erwachsenen). Das alles nach dem Motto: „Das Problem ist nicht schwer genug. Damit werden Sie bestimmt alleine zurechtkommen!“
Sozialarbeiterische Professionalität wird nicht mehr definiert als Interaktion und Kommunikation mit KlientInnen, um mit ihnen zusammen und unter Zuhilfenahme gesellschaftlicher Ressourcen ihre persönlichen und sozialen Probleme zu bearbeiten,
sondern als
- Anwendung vorgegebener Handlungsfolgen,
- die auf schnelle Ergebnisse zielen,
- einen möglichst kostengünstigen Weg einschlagen
- und für die allein die Erlangung oder Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit der Menschen im Mittelpunkt steht (Employability).
Da wo dieses Ziel nicht mehr erreichbar ist, verliert der Staat das Interesse an den Menschen und eine Soziale Arbeit scheint ihm nicht mehr erforderlich.
- Qualitätsmanagement dient nur im Ansatz der sozialpädagogischen Fachlichkeit.
Trotzdem wird heute der Begriff „Qualität“ groß geschrieben.
Aber es geht hier um formale Qualitätsaspekte im Sinne des betriebswirtschaftlichen Verständnisses, mehr nicht.
Das sog. Qualitätsmanagement, das alles Mögliche prüft, nur nicht die entscheiden fachlichen Fragen. Für die Qualitätsentwicklung werden Verfahren wie ISO 9000, Benchmarking, EFQM (vgl. Merchel 2000) eingesetzt. Solche und andere betriebswirtschaftliche Verfahren des Qualitätsmanagements, aber auch Verfahren wie das der „best practice“ können bestenfalls bestehende Praxis vervielfältigen.Eine Hinterfragung ihrer fachlichen Sinnhaftigkeit ist nicht vorgesehen (vgl. Seithe 2012).
Entgegen allem Optimismus vieler Professioneller und trotz aller Versuche, dem Qualitätsdiskurs der Ökonomisierung Sozialer Arbeit etwas Positives abzugewinnen und damit den neoliberalen Bemühungen so zusagen ein Schnippchen zu schlagen, ist mit Staub-Bernasconi (2007) nüchtern zu konstatieren:
Im Rahmen der Qualitätssicherung des Kontraktes mit dem Auftraggeber ist und bleibt Qualität „ein Aushandlungsprodukt zwischen Interessengruppen. Im Zweifel entscheidet der Mächtigere.“ (Staub-Bernasconi 2007, 35).
- Es herrscht das betriebswirtschaftliche Denken vor
Soziale Prozesse und Merkmale sind komplex und vieldimensional. Sie sind nicht einfach zählbar bzw. linear quantifizierbar. Wenn man versucht, sie zu quantifizieren, verfehlt man in der Regel die entscheidenden Kernelemente und komplexen Zusammenhänge.
Die Notwendigkeit im betriebswirtschaftlichen Denken aber, alles zu messen (Wirkungen, Zeiten, Ergebnisse, Handlungsprozesse) und zu dokumentieren, führt zu einer regelrechten Erstarrung und zur Standardisierung (vgl. z.B. Buestrich et al. 2010; Eichinger 2009; Hansen 2011).
„Praktisch gesprochen“ so Galuske, „führt die Dominanz des technischen Blicks in den formulierten Qualitätsstandards zu einer tendenziellen Ausblendung nicht-technischer Aspekte der interaktiven und kommunikativen Qualität helfender Beziehungen“ (Galuske 2002, 335). Ein Zugang zum „Eigensinn“ der Klientel und die Umsetzung von Partizipation und Kooperation werden so immer weiter verunmöglicht.
So gehen die wesentlichen Inhalte und Prozesse, die eben nicht quantitativer Natur sind, für die Betrachtung der Sozialen Arbeit – und für ihre monitäre Vergütung – verloren bzw. werden schlicht übersehen werden können.
- Ökonomisierte Soziale Arbeit orientiert nur auf sichtbare Erfolge
Natürlich ist eine Soziale Arbeit, die keine Wirkung hat, fragwürdig.
Das allerdings, was für das neoliberale Verständnis Effektivität bzw. Erfolg oder Wirkung bedeutet, ist oft nicht das, was die professionelle Soziale Arbeit als Erfolg definieren würde.
Was Erfolg ist, definieren nicht mehr die SozialpädagogInnen und auch nicht die KlientInnen, sondern Betriebswirte, Verwaltungskräfte und Menschen, die außerhalb der fachlichen und ethischen Strukturen der Profession Soziale Arbeit denken und agieren.
Was für SozialpädagogInnen Erfolg bedeutet, das wird von der Verwaltung und dem Management nicht notwendig positiv bewertet und es wird als Kriterium für Effektivität oft nicht akzeptiert. Als Erfolg zählen dagegen in der Regel so genannte „harte Fakten“ wie die Teilnahme an einem Kurs, das Erreichen eines Schulabschlusses, die Anzahl der Tage, in denen die Mutter in der Lage war, ihr Kind in den Kindergarten zu schicken usf. Dies sind aus sozialpädagogischer Sicht oft nur marginale Aspekte von Erfolg und manchmal auch nur eine Illusion davon.
Die Erwartung an die Soziale Arbeit, ständig ihre Wirksamkeit nachzuweisen (obwohl ihre Wirksamkeit durch all die beschriebenen Bedingungen faktisch mehr als begrenzt worden ist), sich immer „zu rechnen“ und keinesfalls in diejenigen zu investieren, für die diese Investition angeblich nicht mehr lohnt, begrenzt Soziale Arbeit auf die Indienstnahme durch den aktivierenden Staat.
- Deprofessionalisierung durch Standardisierung
Durch entsprechende Standardisierung und Rationalisierung verlieren die Angebote der Sozialen Arbeit die fachlichen komplexen Merkmale ihres sozialpädagogischen Erbringungsprozesses, ihre sozialpädagogische Qualität und ihren originären sozialpädagogischen Inhalt.
Die Standardisierung der Leistungen und der in ihrem Kontext eingesetzten Instrumente führt zur Entwicklung einer Art „Fast-Food-Sozialarbeit“, die leicht anwendbar und zu jeder Zeit reproduzierbar ist und mit wenig Aufwand an professioneller Zeit umgesetzt werden kann (vgl. Seithe 2012).
- Dokumentenflut und ständiger Zwang zum Nachweis der Wirksamkeit
Der Zwang zum ständigen Nachweis von Wirkung und Output führt in der konkreten Arbeit ebenfalls zu einem kontraproduktiven Stress der MitarbeiterInnen und verführt zu einer oberflächlichen Arbeit, die schnelle, nicht unbedingt nachhaltige Effekte sucht (vgl. z.B. Thiersch 2013, a.a.O.). Damit zerstört sie das, was für eine sozialpädagogische Hilfe entscheidend ist: Geduld, Vertrauen sowie Respekt den KlientInnen und ihrem Eigensinn gegenüber. Das aber hierfür notwendige Gut heißt „Zeit“. Die aber wird nicht hinreichend zur Verfügung gestellt.
- Knappe Ressourcen als Selbstzweck
Auch jenseits angeblich nicht vorhandener Gelder werden knappe Ressourcen (Zeit, Personal, Aufmerksamkeit) in der Sozialen Arbeit im Rahmen der neoliberalen Ideologie für grundsätzlich positiv angestrebt.
Wenn wir uns für mehr Ressourcen einsetzen, stehen wir damit nicht nur im Konflikt mit Verwaltungen, die kein Geld herausgeben wollen, sondern auch mit der grundsätzlichen Meinung der herrschenden Politik, dass es besser sei, wenn wir möglichst wenig Geld und Ressourcen haben: Knappe Ressourcen gelten als notwendig, um die Selbsthilfekräfte der bedürftigen Menschen zu fördernden und damit die professionelle, teure Hilfe überflüssig zu machen.
- Selbständig denkende SozialarbeiterInnen sind nicht wirklich erwünscht.
Der Anspruch auf Professionalität auf Autonomie wird von der neoliberalen Politik massiv behindert und geleugnet. Die Anerkennung als eigenständige Profession, die sich selber Ziele und Methoden gibt und die Entscheidungen herleiten kann und will aus ihren fachlichen Kenntnissen und Erfahrungen heraus werden den PraktikerInnen nicht selten verweigert.
Dass es dabei sogar zu finanziellen Verschwendungen kommt ,statt zu einem effizienten Einsatz dessen, was man für Soziale Arbeit hält, ist nur ein Indiz dafür, dass es nicht eigentlich ums Sparen, sondern vielmehr ums Umsteuern geht.
Die Bedeutung der Umsteuerung Sozialer Arbeit für die Menschen
- Menschen stehen nicht mehr im Mittelpunkt
In dem auf den Kopf gestellten „Sozialstaat“ kontrolliert und produziert der Markt das Soziale. Dieser aktivierende Staat hat ein anderes Verhältnis zu seinen Bürgern, die er zunehmend als Objekte betrachtet. Der Hilfe suchende Mensch stand zunehmend nicht mehr im Mittelpunkt des Geschehens. Jetzt ging es vielmehr um das Prinzip der Wirtschaftlichkeit und bei freien Trägern darüber hinaus um die Gewinnerzielung, sowie die Behauptung am Markt.
- Menschen wird die Verantwortung und ggf. die Schuld für ihre Probleme allein zugeschoben.
Die Ideologie des aktivierenden Staates, die in Deutschland mit den Hartz IV Gesetzen Einzug hielt, hat ein völlig neues Menschenbild in die Sozialpolitik eingeführt.
Der Mensch ist allein selbst verantwortlich für sein Geschick und seine Fehler und Probleme.
Es gibt keine gesellschaftlich verursachten Probleme, sondern nur individuelle.
Die Menschen haben kein Recht mehr auf Unterstützung, sie werden vielmehr auf ihre eigenen Anstrengungen und auf Unterstützung durch private soziale Netzwerke zurückverwiesen. Unterstützung erhält man nur noch gegen entsprechende Gegenleistungen.
- Menschen werden wie Waren betrachtet und behandelt.
Die AdressatInnen der Kinder- und Jugendhilfe werden nun mehr Kunden genannt. Bei genauerer Betrachtung aber kommen sie in eine Doppelrolle: sie sind da Kunden, wo sie das „Produkt Kinder- und Jugendhilfe“ nachfragen und konsumieren sollen. Sie werden aber zur Ware degradiert, wo die sozialen Unternehmen im Wettbewerb ihre bereitgestellten Kapazitäten füllen und auslasten müssen, um rentabel oder gar Gewinn maximierend arbeiten zu können. Sie erscheinen für Politik und Verwaltung entweder als effizient oder aber als ineffizient. Für die Ineffizienten zu investieren lohnt eben nicht.
Beispiel: Eine Jugendberufshelferin soll mit ihren 20 jugendlichen KlientInnen einen Kurs mit 10 Plätzen füllen. Sie erhält die Anweisung, diese 10 Plätze an die Jugendlichen zu vergeben, die am ehesten erwarten lassen, dass sie erfolgreich bestehen. Nur in sie würde die Investition lohnen. Betriebswirtschaftlich konsequent gedacht.
Aber sozialpädagogisch? Müsste Soziale Arbeit sich nicht gerade für die einsetzen, die sich angeblich nicht lohnen?
- Frage der Nützlichkeit für das ökonomische System steht im Vordergrund
Menschen sind damit nicht selbst wichtig, sondern nur die Frage, ob und wie aus ihnen nützliche Glieder der ökonomisierten Gesellschaft werden können – ähnlich wie es im Bereich der Bildung nicht mehr um Entfaltung und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, sondern nur mehr um die Schaffung von Humankapital geht.
Es geht heute in der Sozialen Arbeit weniger um die Menschen selbst und die Wiederherstellung ihrer Handlungsfähigkeit und ihrer Würde als darum, dass sie auf den Weg gebracht werden sollen, sich zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu entwickeln. Was dabei „nützlich“ meint, liegt in der ökonomisierten Gesellschaft in der Definitionsmacht der Wirtschaft.
- Hilfebedarfe werden nicht ernst genommen
Für die Klienten bedeuten die immer weiter verknappten Ressourcen einen hohen Qualitätsverlust der Hilfen. Für sie bleibt eine auf Case-Management reduzierte, in der Regel eher oberflächliche, verkürzte und auf Anpassung an die bestehenden Bedingungen ausgerichtete Hilfe oder die Hilfe wird einfach verwehrt.
Die Frage nach der Angemessenheit der Hilfe für die KlientInnen spielt gar keine Rolle. Vorrangig wird das Feld von Bürokratie, Kontrolle, Effizienz und Zuständigkeitsfragen dominiert.
Im Rahmen der neoliberalen Marktpolitik wird Kundenzufriedenheit groß geschrieben. Es werden Beschwerdeordner geführt, das Qualitätsmanagement erwartet positive Rückmeldungen von den betroffenen Kunden. In Wirklichkeit ist innerhalb der Sozialpolitik die Achtung vor der Klientel gering.
Auch die offensichtliche Duldung der mäßigen Qualität der Hilfen zeigt, wie wenig man den Betroffenen zugesteht bzw. diese im Blick hat. Es besteht weder die Bereitschaft, spezifisch und individuell (vgl. z.B. KJHG § 27) auf ihre Problemlagen einzugehen, noch werden ihnen Hilfen zu teil, die in ihrer Ausgestaltung und ihren zeitlichen Dimensionen ausreichen würden, um ihre Probleme bewältigen zu können.
Wenn man bedenkt, dass die Qualität der Hilfen im Sinne fachlich ausgerichteter psychosozialer Hilfe durch die Steuerungsmaßnahmen immer kurzatmiger, immer oberflächlicher werden und das Ziel der Selbsthilfe und Nachhaltigkeit verpassen, dann wird man den Eindruck nicht los, dass hier Sozialleistungen des Staates inhaltlich und vom fachlichen Anspruch her zurechtgestutzt werden sollen zu einer minimalistischen Nothilfe (s. Hartz IV, KJH).
- Kontrolle und Sanktionen statt freiwilliger Angebote
Schließlich zeigt sich deutlich, dass es mehr um Kontrolle, um die Verhinderung postulierter Gefahren und um die Überwachung von Menschen geht.
In fast allen Feldern der Sozialen Arbeit gibt es eine deutliche Tendenz, hart durchzugreifen. Die aktivierende Sozialarbeit aktiviert nicht im Sinne einer Vitalisierung (vgl. Hinte/Karas 1989) sondern gängelt. Methodisch wird oft nicht mehr ergebnisoffen gearbeitet, sondern Ziele und Wege werden festgelegt.
So informiert z.B. der 14. Jugendbericht der Bundesregierung über die Tatsache, dass gerade die ambulanten Hilfen zur Erziehung dazu genutzt werden, Kontrollaufträge auszuführen. In vielen Fällen werden ambulante Hilfen heute ganz selbstverständlich mit Kontroll-, Spionage- und Prüfaufgaben belastet (vgl. 14. KJB 2013, 336). Auch die im KJHG festgelegte Hilfeplanung als ein Prozess, der die Betroffenenbeteiligung in der Erziehungshilfe sichern soll, wird zunehmend zu einem vorgefertigten Vertrag, der den Klienten quasi vorgesetzt wird und der damit zu einem Kontrollinstrument mutiert. „Hilfepläne geraten tendenziell zu Kontrollinstrumenten, mit denen überprüft werden kann, ob die KlientIn den vereinbarten Aufgaben und Handlungsschritten nachgekommen ist“ (Seithe 2012, 307).
Thiersch kommentiert die Situation folgendermaßen: “Das Paradigma des Helfens verliert sich in dem der Kontrolle“ (Thiersch 2013, a.a.O.).
Wie sieht die aktuelle Tendenz in der Politik aus?
Diese Entwicklung währt schon einige Zeit, sie hat vor der Wende begonnen und ungefähr um 2005 an Fahrt zugelegt.
„Der Schaden, der durch die bereits seit gut 20 Jahren herrschende Neoliberalisierung der Sozialen Arbeit … angerichtet wurde“ so stellen Otto und Ziegler (2012) fest, „wird in der offiziellen Fachwelt und ebenso von den politischen Verantwortlichen schlicht negiert. Vielmehr herrscht die Meinung vor, dass noch mehr Steuerung erforderlich sei“.
Und so ist es.
Auf offenkundige Skandale und Problemlagen in dem Bereich der Sozialen Hilfen (z.B. bei Kindstötungen) reagieren die Politik und ihre Verwaltung mit noch mehr Kontrolle, noch mehr Druck und noch mehr Sanktionen. Sie scheinen davon auszugehen, dass es noch nicht genug sei mit der Steuerung und der Neoliberalisierung. Ganz offensichtlich hat die Politik nicht aus den alten Fehlern gelernt – ganz im Gegenteil!
Ihr geht es offenbar darum, „alle Faktoren einer markt- und betriebswirtschaftlich denkenden Sozialen Arbeit noch weiter zu treiben
Die Lage ist mehr als ernst.
Es geht dabei um eine grundsätzliche Schieflage. Sie kann nicht mit kleinen Reformen und neuen Projekten geheilt werden, sie erfordert grundsätzliche Veränderungen.
Was können wir tun?
Ich gehe davon aus, dass die Neoliberalisierung des Sozialen und der Gesellschaft eine politische Entscheidung derjenigen war und ist, die von dieser Entwicklung profitieren und die nun alles tun, diese Entscheidung als unumstößlich, zwingend und selbstverständlich darzustellen. So formuliert z.B. auch Thiersch: „Es wird suggeriert, es sei, wie es sei, es könne nicht anders sein, dies sei das Gesetz der Geschichte. Die globalisierte Ökonomie ließe keine Wahl, es sei ein Naturgesetz, dem man sich nicht verwehren könne“ (Thiersch 2013).
Grundsätzliche Gedanken
Die Aufgabe einer „kritischen Sozialen Arbeit“ zeigt sich im Bemühen um die Formulierung und Realisierung von Perspektiven einer anderen, veränderten Sozialen Arbeit.
- Aus meiner Sicht ist der entscheidende Punkt, dass man sich nicht arrangiert, sich nicht auf subversiven Widerstand beschränkt und nicht versucht, das Ganze auszusitzen (wie es leider z.B. schon der 11. Jugendbericht vormachte). Vielmehr müssen wir die grundlegenden Unvereinbarkeiten eines Marktes des Sozialen mit den Zielen und Aufgaben der Profession Soziale Arbeit unmissverständlich klar machen und genau an dieser Stelle „den Finger in die Wunde legen“. Es geht also auch darum, Konflikte eben nicht zu vermeiden.
- So gesehen liegt die aktuelle Entwicklung durchaus auch in der Verantwortung der Sozialen Arbeit und damit auch in der Mitverantwortung der konkreten Sozialarbeitenden (WissenschaftlerInnen, Leitungen, Fachkräfte).
Auch wenn es gerade für Sozialarbeitende in der Praxis z.B. sehr schwierig scheint, sich zu wehren, die Stirn zu bieten, auf anderen Bedingungen zu bestehen und mit dem Finger auf Missstände und Ungerechtigkeiten, ja auch auf Gesetzesverletzungen zu zeigen – wir können uns nicht hinter diesen Schwierigkeiten verstecken.
- Die Geschichte der Sozialen Arbeit, also der Fürsorge lehrt, dass Soziale Arbeit – wenn sie sich nicht wehrt – u.U. vollständig in gesellschaftliche Verbrechen hineingezogen werden kann. Auch die KollegInnen im Faschismus haben sich mehrheitlich angepasst, haben sich damit beruhigt, dass sie ja nicht wirklich entscheiden können, dass sie ja schließlich ihre Familie ernähren müssen, dass alles vielleicht ja doch gar nicht so schlimm ist, wie es aussieht usw.
Wie aber könnte unsere Gegenwehr aussehen?
Hierzu zunächst einige Thesen:
- All das ist nur sinnvoll und auf die Dauer machbar, wenn man es gemeinsam tut: mit den tatsächlichen KollegInnen oder mit den GewerkschaftskollegInnen oder mit einer kritischen Gruppe, bei der man mitmacht. Nur gemeinsam ist dieser Kampf zu führen und ganz sicher auch nur gemeinsam zu gewinnen.
Es gilt, gemeinsam zu handeln, keinen sinnlosen Einzelkampf zu führen, sich abzusichern, Partner zu suchen, teil zunehmen an einer aktiven, qualifizierten Gruppe von SozialarbeiterInnen, die gemeinsame Strategien entwickeln.
- Gearbeitet werden muss sowohl an konkreten Strategien der Gegenwehr als auch an der Stärkung des eigenen Selbstbewusstseins und der eigenen Kraft und Widerstandsfähigkeit.
Es gilt z.B., als Person und als Gruppe eine andere, eine aktive Haltung zu entwickeln gegenüber den Zumutungen des Neoliberalen in unserer Profession:- Keine Akzeptanz für die Dominanz der Verwaltung und des BWL Denkens, sie nicht schlucken oder für richtig halten.
- Sich nicht als angeblicher „Jammerlappen“ abspeisen lassen
- Sensibilität für die Frage entwickeln: Geht es hier um Soziale Arbeit im Sinne der ethisch und wissenschaftlich begründeten Profession oder bestimmt hier jemand ganz anderer, was Soziale Arbeit ist.
- Begriffe auf ihre wirkliche Bedeutung prüfen: Viele sozialpädagogische Begriffe sind quasi neoliberal besetzt und bedeuten nur zum Schein das, was sie vorgeben
- Aktivierung
- Empowerment
- Prävention
- Partizipation
- Diese Sensibilität und Widerstandsfähigkeit kann man – auch gemeinsam – in der Reflexion der eigenen Praxis entwickeln, die dann also über die Frage des konkreten Falls und auch der persönlichen Eingebundenheit hinausgeht und die Praxis auf den Prüfstand stellt.
- Tatsächlich sind die erforderlichen Veränderungen nicht ohne Kampf zu haben, nicht ohne Druck durchzusetzen und nicht ohne massive und offene Konflikte auf die Tagesordnung zu bekommen.
Wer davor zurückscheut, wird sich mit kleinen Reformen zufrieden geben und dazu beitragen, dass letztlich alles so weiter geht bzw. noch fester verankert wird, weil der Widerstand ausbleibt und der Knoten der Herrschaft sich immer weiter zuzieht.
Will man Druck erzeugen, so braucht man die Bereitschaft und den Mut, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass es sich hier um tatsächliche Interessenkonflikte handelt:
– die anderen – und das ist nicht der ASD Mitarbeiter , der Jugendamtsleiter und auch nicht der Sozialdezernent: die bekommen ihre Weisungen ebenfalls „von oben“. Die anderen, mit ist die gezielte Politik auf allen Ebenen – die anderen wollen am Sozialen Kosten sparen und ein Menschenbild durchsetzen, das durch Entwertung und Exklusion die Ausbeutung der Menschen weiter erleichtert. Und wenn sie es nicht explizit und bewusst wollen, so dulden sie es.
– wir wollen die Lebensbedingungen der Menschen verbessern und etwas tun gegen die massiven Kollateralschäden eines entfesselten Kapitalismus.
- Widerstand gelingt nur dann, wenn man ihn als persönliches und existentiell wichtiges Anliegen für sich akzeptiert und erlebt.
Ebenen politischen Widerstandes und politischer Wirksamkeit für KollegInnen in der Praxis
Natürlich gibt es sehr unterschiedliche Ebenen und Wege, politisch zu handeln. Für WissenschaftlerInnen sehen die zum Teil anders aus, als z.B. für PraktikerInnen.
Letztere können nämlich direkt in ihrem Berufsalltag und in der realen Praxis politisch handeln und sich hier einsetzen.
Politisches Handeln am Arbeitsplatz
- Für bessere Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse in der Sozialen Arbeit kämpfen
Hier braucht man eine starke Interessenvertretung, einen Betriebsrat z.B. und Gewerkschaften bzw. einen Berufsverband. Und man muss sie stark machen!
- Auf Parteilichkeit für unsere Klientel bestehen!
Es liegt z.T. auch an uns, ob wir die KlientInnen nur anpassen an die Erwartungen des Systems. Die Information über ihre Rechte, die Stärkung ihres Selbstwertgefühls, die Anregung zu Widerstand und Zivilcourage am besten zusammen mit gleichfalls Betroffenen, die Aufklärung über die gesellschaftlichen Hintergründe ihrer Problematik, die Dethematisierung der Schuldfrage der Klientel selbst – all das sind Möglichkeiten, wie man auch heute in der Zusammenarbeit mit der Klientel parteilich handeln und Menschen aus einer Anpassungssituation herausholen kann.
- Am Arbeitsplatz auf Fachlichkeit beharren
Hier geht es vor allem darum, fachlich nicht zumutbare Zustände und Herausforderungen auf der einen und menschenverachtende Praktiken auf der anderen Seite offen aufzudecken und sich zu weigern, aktiv daran mitzuwirken.
Es gilt, Störrisches Beharren auf Fachlichkeit und ihren notwendigen Bedingungen gegenüber Leitungen, GeschäftsführerInnen, Ausschüssen und politischen Gremien zeigen.
Welchen Zumutungen müssen wir (z.B. in der ambulanten HzE) begegnen?
- Es fehlt Zeit (FH)
- Es fehlt Kontinuität ( jährlicher Rhythmus bei den Leistungsvereinbarungen)
- Kontrolle statt Sozialpädagogik
- Sanktionen und Zwang statt Entwicklungsförderung
- Vorgaben statt Ergebnisoffenheit
- Verlogenheit (Potjemkische Dörfer, HP mit edlen Zielen aber ohne die notwendigen Zeitkontingente)
Wie kann man ihnen begegnen, wie können wir uns wehren?
- Erkennen der Zumutung
- Offen legen (Team, Vorgesetzter, im Zweifel Öffentlichkeit)
- solidarisieren
- Fachlich argumentieren
- Verantwortung ablehnen, zurückgeben,
- verweigern
Öffentlichkeitsarbeit, Schweigen brechen
Was wirklich bei uns los ist, wollen die Träger, die Verwaltungen, die Politikerinnen gar nicht wissen. Wir müssen es ihnen sagen und wenn das nicht reicht, müssen wir es der Öffentlichkeit sagen.
z.B. ist schon die Diskussion und Aufklärung im Kollegenkreis ein Schritt, um das Schweigen zu brechen!
Jeder Versuch, gegen konkrete Bedingungen vor Ort anzugehen, ist erst dann sinnvoll, wenn z.B. ein Träger sieht, dass man mit seiner Kritik nicht alleine ist. Aber es gibt oft KollegInnen, die vielleicht das Gleiche denken, aber zu Ruhe und Anpassung mahnen, ja die sogar versuchen, uns aktiv von einer offenen Widerstandhaltung abzubringen, weil sie sich davon bedroht fühlen.
Von daher kommt dem Versuch, die KollegInnen zu ermutigen und für ein konkretes gemeinsames Gegenhalten zu gewinnen, eine hohe Priorität zu.
Wir sollten uns deshalb viel mehr damit befassen, wie es gelingen kann, die eigenen KollegInnen anzusprechen und zu mobilisieren.
Einmischen in den gesellschaftlichen Diskurs
durch Stellungnahmen, Kommentare, Leserbriefe
Eigentlich müssten Sozialarbeitende zu allen Ereignissen, die ihre Profession berühren (und das sind sehr viele!), Stellung beziehen. So etwas geht gut über die eigene Organisation, über Bündnisse und Ähnliches. Wir müssten uns viel mehr zu Worte melden als Fachleute für Soziales und als VertreterInnen einer Profession, die für soziale Gerechtigkeit einsteht.
Dafür müssen wir noch nicht einmal Medien bemühen. Wie wäre es, wenn wir auf der nächsten Geburtstagsparty mal eine Diskussion über die Frage der Entstehung und der Folgen von Armut vom Zaun brechen?
Soziale Arbeit ist eine gesellschaftliche Kraft – sie muss sich einmischen in den politischen Diskurs!
Fazit zur Widerstandsfrage
Es geht nicht nur darum, uns gegen die konkrete oft prekäre und professionsfeindliche Lage an unseren Arbeitsplätzen zu wehren, es geht um mehr: Soziale Arbeit als Profession darf nicht bei ihren berufsständigen Interessen stehen bleiben. Darauf habe ich schon am Beginn meines Vortrages hingewiesen.
Es sollten Bündnisse all derer entstehen und angeregt werden, die unter den gleichen Zumutungen leiden und ebenfalls daran gehindert werden, ihre Berufe im Interesse der Menschen auszuüben. Wir sollten verhindern, dass man uns gegeneinander ausspielen kann.
Die KollegInnen sind angesichts der beschriebenen Entwicklungen und Tendenzen aufgerufen, sich gemeinsam zu einer aktiven und systemkritischen gesellschaftlichen Kraft zu entwickeln.
Butterwegge (2015) z.B. verlangt von ihnen nicht weniger als das. Ich zitiere:
„Eine systemkritische Sozialarbeit muss den falschen Behauptungen und irreführenden Standardargumenten der Neoliberalen entgegentreten, vor allem jedoch die Kardinalfrage aufwerfen, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. …
SozialarbeiterInnen müssen sich ihrer sich vielfach verschlechternden Handlungsbedingungen in politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse vor Ort eingreifen. Um wirtschaftliche und wohlfahrtsstaatliche Weichenstellungen beeinflussen zu können, darf sich Soziale Arbeit nicht scheuen, engagiert Partei für die Opfer neoliberaler Modernisierung zu ergreifen, auch wenn ihr das von interessierter Seite den Vorwurf mangelnder Objektivität, Sachlichkeit und Professionalität einträgt.
Danke für eure Aufmerksamkeit
Literaturhinweise:
wird ergänzt
Dahme, H.-J./Wohlfahrt, N. (2005): Sozialinvestitionen. Zur Selektivität der neuen Sozialpolitik und den Folgen für die Soziale Arbeit. In: Dahme, H.-J./Wohlfahrt, N. (Hrsg.): Aktivierende Sozialarbeit. Theorie – Handlungsfelder – Praxis. Hohengehren. S. 6ff
Butterwegge, M. (2015): Sozialstaatsentwicklung, Armut und Soziale Arbeit. In: Sozial Extra, 2/15, S. 38-41.
Otto, H.-U./Ziegler, H. (2012): Impulse in eine falsche Richtung – Ein Essay zur neuen „Neuen Steuerung“ der Kinder- und Jugendhilfe. In: Forum Jugendhilfe 1/2012, S. 15-25.
Thiersch, H. (2012): Zur Autonomie der Fachlichkeit Sozialer Arbeit. In: Forum Sozial 1/2012, S. 38ff.
Hydra e.V.
Treffpunkt und Beratung
für Prostituierte
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Sehr geehrte Frau Professorin Seithe,
ich, Joanna Lesniak, bin Mitarbeiterin der Beratungsstelle
Hydra e.V. Treffpunkt und Beratung für Prostituierte in Berlin.
Ich habe vor kurzem Ihren Blog gefunden und bin darüber sehr erfreut.
Meine Kolleginnen und ich haben sehr oft diesen kritischen Blick bezogen auf die Soziale Arbeit, den wir bei Ihnen sehen.
Es tut gut zu wissen, dass es Andere gibt, die das teilen.
Wie Sie sich vorstellen können, Sozialarbeit mit einer so stark stigmatisierten Gruppe ist für uns, für die Mitarbeiterinnen ständige Herausforderung.
Jetzt komme ich zum unseren Anliegen:
– wir Beratungsstelle Hydra e.V.,
– Cafe Olga-Drogennotdienst, Beschaffung Prostitution,
– und subway -Hilfe für Jungs, Mann -männliche Prostitution,
planen eine Veranstaltungsreihe:
Zwischen Respekt und Schutz. Vielfalt der Sexarbeit in Berlin.
http://www.vielfalt-sexarbeit.de
Unser Wunsch ist, Sie nach der Sommerpause nach Berlin einzuladen und zwar zum Thema Politisierung der Sozialarbeit.
Termin: September oder Dezember 2016.
Meine Frage ist ob Sie sich das vorstellen könnten?
Wir werden die Kosten für Ihren Aufenthalt in Berlin und das Honorar selbstverständlich übernehmen.
Wenn es für Sie nicht in Frage kommt, habe ich eine andere Bitte:
dürfen wir ein Interview mit Ihnen zeigen?
Ich erlaube mir die fertige Ankündigung der Veranstaltungsreihe
an Sie zu schicken.
Ich werde mich freuen von Ihnen zu hören und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Joanna Lesniak
Sozialarbeiterin
E-Mail:
j.lesniak@hydra-berlin.de
PS
Bin am 30 Mai zurück aus dem Urlaub.
Wenn mir klar gewesen wäre wie kalt das zwischenmenschliche Verhältnis von Sozialarbeitern und Bewohnern in den letzten 15 Jahren in der Sozialpsychiatrie geworden ist, hätte ich das Sozialarbeitsstudium kaum wieder aufgenommen. Das kann ich mir auch nur mit dieser kopflosen Ökonomisierungsideologie erklären. Der Zwang zum Siezen und das Verbot von freundschaftlichen Gefühlen sind meiner jüngsten Erfahrung nach in der Sozialpsychiatrie Standard. Soziale Arbeit scheint mir heute nur ein Geschäft wie jedes andere auch zu sein – echt eklig.