Roman: Das war gestern, Ackermann!
Liebeskummer
Suse lebte also wieder in ihrer eigenen Wohnung. Seit dem letzten Mal, dass sie hier gewohnt hatte, war mehr als ein gutes halbes Jahr vergangen. Dieses Mal fiel ihr die Umstellung schwerer. Wie viel lieber wäre sie bei Dieter gewesen – allerdings nur bei einem Dieter, der sie nicht wie ein Stück Dreck behandelte. Sie wusste ja nun ganz genau, dass er sie nicht wirklich liebte. Tatsächlich hätte sie das auch jetzt immer noch in Kauf genommen, wenn er wenigstens freundlich zu ihr wäre. Aber so, wie Dieter jetzt drauf war, konnte sie nicht dortbleiben. Sie schadete sich nur selbst. Das spürte sie jetzt ganz deutlich. Alle hatten ihr geraten, bei Dieter auszuziehen: Gabriele, Werner und Mira, Annerose sowieso. Sie hatten recht gehabt. Es war besser so. Auch wenn es ihr noch immer furchtbar weh tat.
Suse nahm sich vor, ihre Wohnung wieder hübsch einzurichten, erneut in den Park zu gehen und sich sogar irgendein Hobby zu suchen, das sie unter Leute brächte. Vielleicht würde sie ja auch Linda wiedersehen.
Tagsüber auf ihrer Arbeit und auch in ihrer Wohnung konnte sie ihren Kummer einigermaßen verdrängen. Die Kollegen stellten irgendwann fest, dass sie endlich wieder die alte Suse war. Sie war fröhlicher und lachte häufiger. Wenn sie einkaufen ging, fühlte sie sich plötzlich sehr viel selbstständiger und erwachsener als in der Zeit, wo sie losgezogen war, um für Dieter und mit seinem Geld einzukaufen. Und als der Postbote sie mit Frau Horstkamp ansprach, wäre sie beinah vor Begeisterung in die Luft gesprungen und hätte den ahnungslosen Mann abgeküsst. Frau Horstkamp! Ja, sie war Frau Horstkamp und nicht nur die Freundin von Herrn Ackermann!
Solche Erlebnisse trösteten sie tagsüber und sogar noch in den Abendstunden über die Einsamkeit hinweg. Doch wenn sie dann im Bett lag, überfiel sie regelmäßig ein schrecklicher Katzenjammer. Entweder weinte sie bis zum Einschlafen vor sich hin oder der Schmerz packte sie und riss sie aus dem Bett. Sie schaute dann aus dem Fenster und alle schönen und traurigen Erinnerungen mit Dieter zogen an ihr vorbei, von Anfang bis Ende. Erst wenn die Bilder in ihrem Kopf nur noch die düstere und trostlose Farbe der letzten Monate angenommen hatten, legte sie sich wieder hin und konnte endlich doch einschlafen.
Suse besuchte ihre Schwester in dieser Zeit regelmäßig. Auch die war froh, dass Suse sich aus der Rolle der ungeliebten Geliebten befreit hatte und unterstützte Suse bei ihrem neuen, selbständigen Leben, wo sie nur konnte.
Annerose ging es prächtig. Die Hochzeit war für Oktober geplant. So sehr Suse ihrer Schwester das neue Glück gönnte, ging es ihr, wenn sie bei Annerose gewesen war, ein paar Tage lang wieder ein bisschen schlechter als sonst.
Mit Gabriele telefonierte Suse weiterhin regelmäßig. Gabriele hatte Suse zu ihrem Entschluss, bei Dieter auszuziehen, gratuliert und unterstützte sie mit Ratschlägen für ihr neues, eigenständiges Leben. Sie sprach auch oft von sich, erwähnte, dass sie laut ärztlichem Befund Arthrose in beiden Knien habe und ihr in letzter Zeit das Treppensteigen schwerfiel. Das Vorträge-Halten ginge noch immer ganz gut.
„Aber früher konnte ich locker mehrere Sachen gleichzeitig erledigen. Das geht nicht mehr. Suse, ich werde alt.“ Gabriele lachte bei diesen Worten.
Gabriele, die immerhin noch ab und an ihren Bruder an die Strippe bekam, wusste in dieser Zeit mehr als Suse, die keinerlei Kontakt mehr mit ihm hatte. Die hörte mit Grauen zu, wenn Gabriele ihr schilderte, dass Dieter sich inzwischen völlig verkroch, mit niemandem mehr sprach, selbst Werner nicht sehen wollte und auch ihr gegenüber einsilbig blieb. Nur einmal sei es aus ihm herausgebrochen und er hätte sie angeschrien: ‚Lasst mich doch alle in Ruhe! Bitte! Lasst mich allein! Ihr könnt mir nicht helfen. Und ihr könnt mich auch nicht retten. Da gibt es nichts zu retten.“
Zu gerne hätte sie von Gabriele gehört, dass sich Dieter nach ihr erkundigt hätte. Gabriele sagte jedoch nichts dergleichen und Suse war einerseits zu stolz und andererseits zu ängstlich, um Gabriele direkt danach zu fragen. Sie konnte sich die Antwort denken. Nach den Telefonaten mit Gabriele konnte Suse tagelang nicht schlafen.
Ab und an luden Werner und Mira Suse zum Essen ein, was für Suse jedes Mal ein Fest war. Die beiden hatten sie ins Herz geschlossen und versuchten, ihr ein wenig von der Zuwendung zu geben, die sie bei Dieter schon lange nicht mehr bekommen hatte, die sie aber so dringend brauchte.
Alter Knacker in rosa Wolken
Hannes war nach einem seiner wöchentlichen Besuche bei Annerose spät abends in seine Wohnung zurückgekommen. Er legte sich auf sein Bett. Sie hatten beschlossen, nur an den Wochenenden die Nächte gemeinsam zu verbringen, da Annerose werktags früh zur Arbeit musste. Sie waren damit zufrieden. So konnten sie sich die ganze Woche auf die zärtlichen und aufregenden Stunden freuen.
Sie kannten sich jetzt ein gutes halbes Jahr. Und vor ein paar Wochen hatten sie wahrhaftig beschlossen, zu heiraten! Er musste lachen. Was für ein Einfall! Ausgerechnet er und dann auch noch in seinem fortgeschrittenen Alter! Er war nie zuvor verheiratet gewesen. Seine Beziehungen zu Frauen hielten in der Regel nicht lange. Den meisten war er zu verbohrt, zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Wahrscheinlich hatten sie recht. Aber er war auch noch nie einer Frau begegnet, die ihn so völlig und ohne jede Vorwarnung übermannt hatte. Überfraut hat, dachte er amüsiert.
Wobei Annerose auf ihn bei ihrem ersten Kontakt zunächst nicht besonders anziehend gewirkt hatte. Sie kam ihm damals vor wie eine dornige, hartlaubige Pflanze. Sie war ihm burschikos erschienen, ein wenig derb und sogar ein wenig rücksichtslos, wenn sie ihre Meinung kundtat.
Aber schon im Verlauf ihres ersten Gespräches sah er, wie sie diese Maske ablegte und darunter eine verletzliche und sehr verletzte Frau hervorkam, die er in ihrer Art rührend fand. Später begriff er zudem, dass unter der derben Hülle nicht nur eine sensible Frau steckte, sondern auch ein ausgesprochen kluger Kopf. Annerose verblüffte ihn immer wieder mit ihren scharfen Einschätzungen und tiefgreifenden Gedanken. Und auch ihr Galgenhumor, der ihm gleich aufgefallen war und den er erst für Bitterkeit gehalten hatte, nahm für ihn immer mehr die Gestalt eines freundlichen Humors an, der niemanden verletzen wollte. Stattdessen brachte er nur ihre Lebensfreude zum Ausdruck, die sie hinter Härte und Abgebrühtheit versteckte.
Noch nie hatte er die Verwandlung – oder besser Entpuppung – eines Menschen so deutlich und so nah miterlebt. In dem Maße, wie er sie spüren ließ, dass er von ihr beeindruckt war, verwandelte sich die dornige Pflanze vor seinen Augen zu einer imposanten Rose von herber, aber einnehmender Schönheit. So absurd ihm ihr Vorname im ersten Moment erschienen war, so passend fand er ihn inzwischen. Eigentlich konnte er nicht begreifen, warum diese Frau nicht früher schon einen Mann so beeindruckt hatte wie ihn.
Auch er ging schließlich auf die 60 zu und als Adonis konnte man ihn wahrhaftig nicht bezeichnen. Aber junge, gutaussehende Frauen interessierten ihn nicht. Was er brauchte, war eine Partnerin, die ihm das Wasser reichen, ihn bremsen, aber auch beflügeln und ermutigen würde, und mit der er gemeinsam das harte Geschäft in Angriff nehmen könnte, das man Leben nannte.
Aufs Heiraten wäre er trotzdem nicht gekommen, wenn er nicht gespürt hätte, was das für sie bedeuten würde. Es wäre für sie der Strich unter ihre Vergangenheit, ein Leben, das schwer gewesen war, dem sie aber immer getrotzt hatte.
„Annerose Dorn“, hatte sie gesagt und dabei gelächelt wie ein junges Mädchen. „Wäre dieser Name nicht der Knaller, Hannes?“
Das Beste war für ihn, wie perfekt sie miteinander arbeiten konnten. Annerose begriff schnell die Absichten und Gedankengänge seines Textes und arbeitete sich in wenigen Tagen ein. Ihre Veränderungs- und Ergänzungsvorschläge beeindruckten ihn. Es war eine Freude gewesen, so an dem Text weiterzuarbeiten. Vorher hatte ihn nur der Wunsch getrieben, die Wahrheit ans Licht zu zwingen. Jetzt war daraus ein gemeinsames Unternehmen geworden, das sogar Spaß machte und sie miteinander verband. Dass das Buch jetzt so gut wie fertig vorlag und er den Mut hatte, einen Verlag dafür zu suchen, hatte er nur ihr und ihrem ungestümen Optimismus zu verdanken.
Hannes schloss die Augen, und während er versuchte, sein neues unerwartetes Glück zu fassen, drängte sich ihm die Erinnerung an etwas auf, das Annerose heute erzählt hatte: Dieter Ackermann ging es dreckig. Dieter, sein alter Kollege und Beinah-Freund … Schon seit einer Weile hatte er nicht mehr an ihn gedacht. Und nun saß Dieter laut Anneroses Aussage allein mit einem dicken Burnout in seiner Wohnung und ließ niemanden mehr zu sich. Suse hatte ihn verlassen, was Annerose als überfällig bezeichnet hatte. Doch nun gab es wohl niemanden mehr, der Dieter hätte irgendwie beistehen können.
Hannes hatte das Schicksal von Dieter nicht weiter verfolgt. Auf seine Bitte damals in der Kur, seinen Entwurf zu lesen, war nie eine Reaktion gefolgt. Dieter war ein Feigling, das war ja nun mal so, aber den Text wenigstens mal zu lesen, das hätte ihm wirklich nicht die Finger verbrannt! Eigentlich war Hannes inzwischen ziemlich sauer auf Dieter. Doch als Annerose erzählte, was Dieter bei der EWV passiert war, beunruhigte Hannes das doch. Sein eigener Rauswurf war keine Überraschung gewesen. Man konnte schließlich genau sagen, warum sie ihn hatten loswerden wollen. Aber Dieter? Was hatte der angepasste, harmlose und immer freundliche Dieter denn Schlimmes getan, dass die Leute in der Chefetage derart nervös geworden waren? Aber es ist ungerecht, so über Dieter zu reden, merkte Hannes. Ihm war klar, dass Dieter eigentlich ein fortschrittlich denkender Kollege war, einer, der nicht dem modernen neoliberalen Hype aufsaß, der einen klaren Blick behielt für das, was in dieser Welt mit den Menschen gemacht wurde. Und Dieter war ein begabter Therapeut. Seine Klienten liebten ihn, das war ja bekannt. Er war einer von der alten Schule und blieb stur bei seinen Vorstellungen, wie man zu beraten hatte. Er ließ sich nicht hetzen von den Unkenrufen, alles müsse jetzt schneller und effizienter vonstattengehen. Dieter stand zu seinen Klienten und ließ sie nicht im Stich, auch wenn das Problem der Leute nicht mehr in das Fach eines Psychotherapeuten gehörte. Eigentlich steckte offenbar sogar auch ein Sozialarbeiter in ihm. Hannes gegenüber hatte er jedenfalls nie den Psychologen raushängen lassen, so wie die meisten Psychologen, die er im Laufe seines Arbeitslebens kennengelernt hatte.
Die EWV muss mit dem Klammerbeutel gepudert worden sein, dass sie ihn von seiner Beraterstelle heruntergeholt und nun irgendwo in der Verwaltung verheizt hat, dachte er zornig. Dieter hätte ein guter Kampfgefährte sein können, wenn er sich nur getraut hätte. Dass er sich bei der Aufdeckung von Naziverbrechen so rigoros ablehnend verhielt, das war für Hannes unbegreiflich gewesen. Aber deswegen gab es keinen Grund, den alten Freund jetzt allein zu lassen. Vielleicht ist es eine gute Idee, wenn gerade ich, der selbst durch diesen miesen Träger geschädigt wurde, und der Dieters Lage verdammt gut verstehen kann, einmal bei ihm vorbeischaue und ihm ein wenig auf die Beine helfe? Er beschloss, Dieter aufzusuchen.
Der Versuch
Hannes besorgte sich über Annerose Dieters Adresse und ging an einem Nachmittag zu dessen Wohnung. Die Haustür stand auf, er stieg in den 2. Stock und klingelte. Es rührte sich nichts, aber Hannes war sich sicher, dass Dieter da drin irgendwo im Dunklen hockte, aber nicht bereit war, jemanden einzulassen. Er pochte an die Tür, immer wieder, in der Hoffnung, Dieter würde nachgeben, aber es geschah nichts.
Schließlich ging er unverrichteter Dinge wieder heim.
Er erzählte Annerose von seinen vergeblichen Bemühungen. Die hatte von Suse gehört, dass Dieter nur noch zu Einkaufen aus seiner Wohnung ging. Das war die Idee! Hannes sah nicht ein, so schnell aufzugeben. Dass Dieter nicht am hellen Tage einkaufen gehen würde, konnte er sich denken. An einem der nächsten Abende erfüllte sich seine Hoffnung. Er sah, wie Dieter aus dem Haus trat und in Richtung des nächsten Supermarktes lief. Als Dieter zu seinem Haus zurückkam, trat Hannes vor und packte ihn am Arm.
„Ich will mit dir sprechen, Dieter. Keine Angst, ich will nichts von dir. Ich habe nur gehört, was sie mit dir gemacht haben, und möchte versuchen, dir zu helfen.“
Dieter schüttelte den Kopf und versuchte, an Hannes vorbeizukommen, doch der versperrte ihm den Weg.
„Bitte Dieter, lass uns reden! Ich verspreche dir, ich gehe nach einer Viertelstunde wieder, wenn du das willst.“
Dieter nickte müde, dann stieg er widerstandslos die Treppen zu seiner Wohnung hinauf. Er ließ Hannes ein.
Dieter machte Licht und setzte sich auf seinen Sessel. Man konnte sehen, dass er dort schon tagelang gesessen hatte. Ringsherum lagen Reste von Lebensmittel-Verpackungen, standen halb volle Flaschen, benutzte Tassen und verschmierte Teller. Die Luft kam Hannes stickig vor. Er musste sich zusammenreißen, um nicht zum Fenster zu laufen und es zu öffnen. Er zog sich einen der Stühle heran und setzte sich zu Dieter.
„Ich weiß, was sie dir mit der Versetzung angetan haben, Dieter. Du hast für diese Arbeit gelebt und genau da haben sie dich treffen wollen. Dass sie mich rauswerfen würden, das wusste ich und habe es einkalkuliert. Aber was wollen die von dir? Warum du?“
Dieter blickte Hannes erschöpft ins Gesicht. Dann sagte er leise: „Zuerst habe ich gedacht, ihnen würde meine Art zu beraten nicht passen, dass sie Platz für junge, auf Effizienz versessene Leute schaffen wollen. Dann glaubte ich, sie würden mich wegen einer Sache, die vor sechs Jahren passiert ist, rankriegen wollen. Aber schließlich hat mir jemand verraten, worum es ihnen wirklich ging.“
„Wer?“
„Das sage ich nicht, Hannes.“
„Und was hat die Person verraten?“
„Sie glauben, dass ich mit dir unter einer Decke stecke.“
„Das kann doch nicht wahr sein!“ Hannes war aufgesprungen. „Wie kommen die denn darauf?
„Wir haben uns immer gut verstanden. Das war bekannt.“
„Aber du hast doch abgelehnt, mit mir zusammenzuarbeiten.“
„Das wissen die ja nicht.“
Hannes ließ den Kopf hängen.
„Wenn man es genau nimmt, wäre es das Gleiche gewesen, hätte ich wirklich die Sache mit dir zusammen aufgedeckt“, sagte Dieter mit müder Stimme.
„Es tut mir so leid, Dieter“, stammelte Hannes.
„Ach, scheiß drauf, Hannes! Spar dir dein Mitleid. Ich bin fertig. Sie haben mich regelrecht kastriert, indem sie mich versetzt und mir die Möglichkeit genommen haben, das zu tun, was ich kann. Das Einzige, was ich wirklich gut kann, übrigens.“
„Aber hast du nicht gekämpft? Hast du dich gewehrt?“
„Ich kann eure klugen Ratschläge nicht mehr hören!“, schrie Dieter auf einmal.
Hannes schwieg betroffen.
„Ja, ich bin ein erbärmlicher Feigling, das weiß ich, und du weißt es genauso. Mir ist nicht mehr zu helfen.“
„Doch, Dieter!“
„Wie denn?“
„Wir könnten zusammen überlegen, wie du aus deinem Loch wieder rauskommen kannst.“
„Hör auf! Hört alle auf! Ich will nicht mehr! Lass mich in Frieden! Außerdem ist deine Viertelstunde um.“
Hannes sah Dieter bestürzt an. „Dieter, ich wollte …“
„Raus!“ Dieters Lippen zitterten. Er hievte sich aus dem Sessel, ging zur Wohnungstür, öffnete sie und wartete, bis Hannes hinausgegangen war. Er schloss die Tür und setzte sich wieder.
Hinter der Tür war Hannes stehen geblieben und lauschte. Es hörte sich an, als würde Dieter weinen.
Wie ein gestrafter Köter ging Hannes die Treppe wieder hinunter und fuhr heim.
***
„Hast du Dieter gesprochen?“, fragte Annerose am nächsten Tag.
Hannes blickte missmutig zu Boden. „Ich habe nichts erreicht. Er will nicht. Er hat mich rausgeworfen.“
„So ein Mist“ Annerose seufzte.
„Ich weiß nicht, Annerose, irgendwas habe ich falsch gemacht.“
„Komm, Hannes, du hast es versucht. Wenn Dieter nicht will, dann können wir nichts machen.“
Sie nahm ihn in die Arme: „Freu dich erst mal, dass ich da bin?“
Suse beginnt ein neues Leben
Tage später meldete sich Suse bei Annerose. Sie erzählte ihr von einem Tanz-Kurs, bei dem sie sich angemeldet hatte, zusammen mit ihrer neuen Freundin Linda übrigens. Die hatte eine Babysitterin für die kleine Tochter gefunden und damit war der Weg für die gemeinsame Unternehmung frei geworden.
Annerose gratulierte der Schwester. Sie freute sich, dass Suse endlich anfing, die Verzweiflung über ihre verlorene Liebe zu überwinden. Sie hörte mit Vergnügen, wie Suse begeistert von dem Kurs und ihren Erfahrungen dort schwärmte. Suse kam ihr wie befreit vor.
„An manchen Tagen passe ich auch auf Lindas Tochter auf. Das mache ich gerne. Linda hat mich auch zu ihrem Geburtstag eingeladen. Die Leute dort haben mir gut gefallen, lauter fröhliche und lebenslustige Menschen, finde ich!
„Ich glaube, das ist genau das, was du brauchst, Schwesterherz, nach dem was du in der letzten Zeit hast mit dir machen lassen.“
Suse schwieg. Annerose konnte hören, wie sie heftig einatmete.
„Hast du ne Ahnung, wie es Dieter inzwischen geht? Gabriele sagt, auch sie könnte ihn nicht mehr erreichen. Weißt du mehr?“
Annerose zögerte. Lieber hätte sie dieses Thema unter den Teppich fallen lassen. Suse sollte sich da raushalten, fand sie. Aber als Suse schweigend auf eine Antwort zu warten schien, meinte sie etwas kühl:
Hannes war neulich bei ihm und hat versucht, ihn zur Vernunft zu bringen. Aber Dieter hat seine Hilfe abgelehnt.“
„Das kann ich mir vorstellen“, kam es von Suse. Ihre Stimme klang jetzt traurig. „Von mir hat er ja auch schon lange keine Hilfe mehr angenommen.“
„Suse, du darfst dir das nicht persönlich anziehen. Diesem Mann ist nicht zu helfen. Und du kannst absolut nichts dafür, verstehst du!?“ Anneroses Stimme klang beschwörend.
„Ich weiß doch, Annerose. Seit ich gesehen habe, wie die Beziehung zwischen dir und Hannes aussieht, weiß ich, dass ich mir das nicht länger antun will, was ich bei Dieter erlebt habe. Keine Sorge. Aber traurig macht mich der Gedanke schon, dass er da allein herumsitzt und verzweifelt ist.“
„Er wird schon wieder aus seinem Loch herauskommen, Suse. Aber bis dahin solltest du über alle Berge sein!“, verstehst du?“
Suse lachte auf. „Ich glaube, da musst du dir keine Sorgen machen. Weißt du, bei den Freunden von Linda, die ich auf ihrem Geburtstag kennen gelernt habe, da waren Leute, mit denen ich mich ganz gut unterhalten konnte. Ein netter Mann war auch dabei. Ich hatte das Gefühl, dass er mich ernst nahm. Da habe ich gedacht:
‚Siehst du Suse, so kann es also auch sein zwischen Menschen. Ich will mich nie mehr jemand andienen, der letztlich meint, ich sei nicht so viel wert wie er selbst.“
„Verdammt Suse, dass du das so krass sagen kannst!“, staunte Annerose und musste sich vor Überraschung hinsetzen. „Ich finde das richtig gut! Wir haben das mit dir und Dieter im letzten Jahr alle mit Sorge beobachtet. Aber so, wie du das jetzt sagst, Schwesterchen, da kann ich wirklich nur über dich staunen. Alle Achtung! Mach so weiter Suse!“
Suse lachte. „Was ich noch fragen wollte, Annerose, es geht um eure Hochzeit im Oktober. Habt ihr da schon genauere Vorstellungen, wie das ablaufen soll?“
„Ach eigentlich will Hannes das nur im kleinen Kreis feiern, genauer gesagt nur wir beide. Aber ich bin auch der Meinung, das gehört an die große Glocke. Also zumindest unsere Freunde und du, die sollten kommen.“
„Prima, Annerose. Sollten wir nicht auch Gabriele einladen und Werner und Mira. Du weißt, das sind ja meine besten Freunde inzwischen, und ihr kennt sie ja auch?“ Sie machte eine kleine Pause.
„Und vielleicht komme ich dann auch nicht allein, wäre dir das recht.“
„Na klar Schwesterchen. Nur zu!“ Sie lachte.
Suse möchte auch, dass wir unsere Hochzeit richtig feiern, Hannes. Ihr würde das sicher auch richtig guttun“, teilte Annerose ihrem Liebsten am nächsten Tag mit. Sie saßen bei Annerose und studierten zusammen einen Artikel über Nazi-Heime, den er im Internet gefunden hatte.
Hannes schaute von dem Textblatt auf, das er gerade las. „Na gut, Frau Annerose Dorn, dem will ich nicht im Wege stehen. Hauptsache Suse kann unser Glück verkraften und verfällt nicht wieder in Depressionen!“
„Ach, Hannes, ich glaube, da müssen wir uns nicht mehr so große Sorgen machen.“ Und sie erzählte ihm von ihrem Telefongespräch.