Es ist noch viel schlimmer, … Beispiel 1 Arbeit in der Drogenszene

Mein Buch wird nun erst am 18. 8. erscheinen. In der Zwischenzeit habe ich immer wieder Kontakte mit praktizierenden SozialarbeiterInnen, die mir aus Ihrer Praxis erzählen.
Das ist für mich wichtig, denn je länger ich warte, eh mein Buch da ist und ich an den Reaktionen sehen kann, ob ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe, frage ich mich immer wieder mal, ob ich die Lage nicht doch zu düster sehe, ob ich der Gegenwart nicht Unrecht getan habe und ob ich vielleicht doch die falsche Brille aufhatte beim Schreiben.

Aber was mir erzählt wird von Leuten aus der Praxis, die um das Anliegen meines Buches wissen, das zieht mir mitunter die Schuhe aus und macht mir immer wieder deutlich, dass es bitter nötig ist, endlich klar zu sagen, was in der Sozialen Arbeit heute passiert, bzw. was nicht mehr passiert. Und es stärkt meinen Eindruck, dass es ungemein wichtig ist, dass jemand dem Ganzen den Spiegel vorhält und die Potemkinschen Dörfer mal kurz zur Seite schiebt. Wir sind es unserer Profession Soziale Arbeit schuldig, sie nicht im neoliberalen Sparklüngel und in der Vermarktlichung verkommen zu lassen, wo einzig zählt, dass möglichst wenig Geld ausgegeben wird und nicht mehr ernsthaft reflektiert wird, wofür dieses Geld ausgegeben wird und warum es erforderlich ist – und wo aus einer Unterstützung von Menschen immer mehr eine reine „Sachbearbeitung“ geworden ist.

Aus diesem Grund werde ich vor ab einige der Praxisbeispiele hier veröffentlichen, die ich auch in meinem Buch zur Veranschaulichung verwendet habe. Zum Teil wurden die Beispiele im Rahmen der Befragung angeführt (über die hier in diesem Blog berichtet wurde). Zum Teil sind es Beispiele, die mir im Kontakt mit PraktikerInnen berichtet wurden.

Ich denke, dass diese konkreten Erfahrungen und erlebten Widersprüche schon einmal deutlich machen können, worum es in meinem Buch gehen wird.

Um die berichtenden SozialarbeiterInnen zu schützen, werde ich auch in den Fällen, wo ich die Namen kenne, diese nicht preisgeben und die Beispiele weitgehend anonymisiert weitergeben.

Beispiel 1: Spezialisierung statt Allzuständigkeit

Wie die neoliberalisierte Soziale Arbeit die Lebenswelt ihrer Klientel zerstückelt und damit ihre eigentliche Chance und ihr Alleinstellungsmerkmal verrät

Ein Streetworker und Drogenberater (34, männlich) viele Jahre Berufserfahrung, erzählt:
Das Angebot an unsere KlientInnen auf dem Kotti müsste eigentlich lauten„Hey du, ich bin Sozialarbeiter. Kann man dich unterstützen, brauchst du einen Sozialarbeiter? Mein Schwerpunkt liegt auf ***, aber als Sozialarbeiter stehe ich zur Verfügung, um dir zu helfen, egal was los ist. Wenn du also irgendwelche Sorgen hast, lass es mich wissen, und wir können gemeinsam schauen, wie wir deine Situation verbessern können.“
In der Praxis muss es inzwischen aber heißen:
„Wenn du aufenthaltsrechtliche Probleme hast, geh zu den Kollegen der AWO oder nach Kreuzberg zur KUB .“
„Hast du keine Unterkunft? Die Soziale Wohnhilfe hier in Mitte kann leider nichts für dich tun. Weil du im Oktober geboren bist, müsstest du nach Mahrzahn.„Wenn du suchtspezifische Hilfen wie Therapie, Entzug oder psychosoziale Betreuung erhalten möchtest, wende dich an die Drogenberatung usw.“


1 Kottbusser Tor ist die Bezeichnung für eine platzartige Straßenkreuzung und einen U-Bahnhof im Berliner Ortsteil Kreuzberg (Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg). Der Kiez rund um das Kottbusser Tor in Kreuzberg entwickelt sich immer mehr zum Drogen-Hotspot.

2 Kontakt- u. Beratungsstelle

Über m.s.

Ich war 18 Jahre Professorin für Soziale Arbeit an der FH Jena (Methoden, Hilfen zur Erziehung, Schulsozialarbeit). Davor war ich 18 Jahre in der Praxis. Studiert habe ich Psychologie in Münster und Soziale Arbeit in Frankfurt a.M. Bücher: Schwarzbuch Soziale Arbeit Engaging Hilfe zur Erziehung zwischen Professionalität und Kindeswohl Das kann ich nicht mehr verantworten Ambulante Hilfe zur Erziehung und Sozialraumorientierung
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