(entnommen MSN 14.11.25
blau: meine Kommenare
Knallharte Verschärfungen für Grundsicherungsempfänger vorgesehen
Das Arbeitsministerium von Ministerin Bärbel Bas (SPD) arbeitet im Auftrag der Regierungskoalition gerade an einer Reform des Bürgergelds. Für die zukünftigen Grundsicherungsempfänger wird es wohl ungemütlich.
Die Bundesregierung macht Ernst mit der angekündigten Bürgergeldreform. Ein Referentenentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium liegt vor – und sieht deutlich härtere Regeln vor als bisher kommuniziert.
Das Bürgergeld hat ausgedient. Die Bundesregierung treibt ihre geplante Sozialreform voran und hat einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des umstrittenen Systems – das künftig Grundsicherung heißen soll – fertiggestellt. Der „Zeit“ liegt der 94-seitige Referentenentwurf aus dem SPD-geführten Bundesarbeitsministerium vor welcher bereits zur Ressortabstimmung weitergeleitet wurde.
Die geplanten Verschärfungen gehen dabei weiter, als von den Koalitionsspitzen bisher öffentlich kommuniziert wurde. Generell soll die Grundsicherung künftig fordernder werden, Sanktionen schneller greifen und vorhandenes Vermögen sofort geprüft werden. An die zukünftigen Grundsicherungsempfänger sollen Maßstäbe angelegt werden, die schon in der normalen Bevölkerung kaum umgesetzt werden.
Mietpreisbremse wird zur Pflicht
Besonders brisant sind die neuen Regelungen für Wohnkosten. Grundsicherungsbezieher müssen künftig ihre Vermieter wegen Verstößen gegen die Mietpreisbremse rügen und dies dem Jobcenter nachweisen. Wer dem nicht nachkommt, kann die üblichen Übergangsregeln zur Anerkennung unangemessener Kosten nicht mehr in Anspruch nehmen. Im schlimmsten Fall droht die Streichung der Mietkostenübernahme und der Verlust der Wohnung.
perfekte neoliberale Inszenierung: Statt dass der Staat diejenigen in die Schranken weist, die die Mietpreisbremse nicht einhalten, wird dem Einzelnen Mieter die Last aufgebürdet, den Vermieter zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn er der Aufgabe nicht nachkommt, ist er dann eben selbst schuld, wenn bei ihm die Mietkostenübernahme gestrichen wird. Er hätte sich ja kümmern können…….
Wie die „Zeit“ weiter schreibt, nutzen laut Mietervereinen schon jetzt weniger als fünf Prozent der Mieter in Deutschland die Möglichkeit zur Rüge bei überzogenen Mietpreisen. Für viele sind die formalen Voraussetzungen zu hoch oder die Angst, die Wohnung zu verlieren, zu groß. Von Grundsicherungsbeziehern soll dies allerdings zukünftig verlangt werden.
Das Jobcenter kann nach einer formellen Rüge dann unmittelbar eine Kostensenkung verlangen – bis hin zum Umzug. Liegt die vereinbarte Miete über der zulässigen Höhe, droht der Verlust der staatlichen Unterstützung. Sozialpolitikforscher und Sozialverbände warnen bereits vor mehr Wohnungslosigkeit durch diese Verschärfung.
Kontrollen für psychisch Erkrankte
Menschen mit psychischen Erkrankungen sollen künftig strenger kontrolliert werden. Sie müssen persönlich beim Jobcenter vorsprechen, damit geprüft werden kann, ob sie wirklich psychisch krank sind. Diese Regelung könnte problematisch werden: Mehr als ein Drittel der Leistungsberechtigten erhält im Laufe eines Jahres eine psychiatrische Diagnose, wie die „Zeit“ unter Verweis auf Studien schreibt.
Hier stellt die Regierung die Diagnose „psychisch krank“ einfach unter Generalverdacht. Und ist das wirklich ernst gemeint, dass ein Verwaltungsbeamter die Frage klären kann und darüber auch noch entscheiden darf, ob eine psychische Diagnose stimmt? Oder glaubt man, dass man mit diesen Leuten auch wenn sie psychisch krank sind so umgehen kann? Ich möchte den Aufstand sehen, den Patienten aus der Mittel – und Oberschicht der Gesellschaft hervorrufen, wenn sie offenlegen würden, dass Verwaltungsbeamte es gewagt hätte, ihre psychiatrische Diagnose infrage zu stellen.
Und an Menschenverachtung und Demütigung ist diese Idee ohnehin kaum zu überbieten: Was es für einen psychisch Kranken bedeutet, wenn er bei einer Behörde, die über seinen Lebensunterhalt entscheiden wird, nachweisen soll, dass er psychisch krank ist, kann sich jeder vorstellen, der auch nur ansatzweise Ahnung davon hat, wie es diesen Menschen geht und unter welchen Lebensbewältigungs-Schwierigkeiten sie leiden. Das ist als würde man von einem Menschen im Rollstuhl verlangen, im Amt vorzumachen und zu beweisen, dass er wirklich nicht laufen kann.
Jobcenter-Angestellte gehen nach ihren Praxiserfahrungen sogar davon aus, dass rund die Hälfte bis sogar zwei Drittel der Mittelempfänger eine psychische Diagnose haben. Damit könnte eine persönliche Anhörung einen enormen verwaltungstechnischen Aufwand bedeuten und von den Jobcenter-Mitarbeiten kaum zu stemmen zu sein – ganz abgesehen von der Belastung für die psychisch Erkrankten selbst.
An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ.
Härtere Strafen bei Terminversäumnissen
Auch bei den Sanktionsregeln zieht die Bundesregierung die Daumenschrauben an. Wer mehr als einen Termin mit dem Jobcenter versäumt, soll den Anspruch auf Leistungen verlieren und wird per Verwaltungsakt als „nicht erreichbar“ eingestuft. Das Jobcenter kann dann ohne Rücksprache handeln und Leistungen ganz streichen. Den Anspruch erhält der Betroffene erst zurück, wenn er innerhalb der gesetzten Frist persönlich erscheint. Dies soll auch gelten, wenn der Grundsicherungsempfänger eine zumutbare Arbeit ablehnt. Auch hier soll kein Geld mehr überwiesen werden.
Hier toppt die neue Regierung die alten Hartz IV Regelungen, zieht die Daumenschrauben noch weiter an. Hier macht sich niemand Gedanken darüber, was dieses Vorgehen für Menschen bedeutet, die die deutschen Tugenden der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit nicht mit der Muttermilch eingetrichtert bekamen, was es für Jugendliche bedeutet, die Schwierigkeiten haben, sich dem entwürdigenden Umgangsstil vieler Jobcenter zu stellen, für alleinerziehende Mütter, die auch noch andere Pflichten haben, als Termine im Jobcenter wahrzunehmen. Es wird einfach auch hier unterstellt, dass alle EmpfängerInnen von dem, was bisher scheinheilig als „Bürgergeld“ tituliert wurde, potentielle Faulenzer, Arbeitsscheue und Betrüger sind. Die, die sich nicht als „souveräne Kunden“ des Jobcenters erweisen, werden mit der autoritären Seite des Neoliberalismus konfrontiert: Erziehung durch Strafe.
Zahlungen für die Wohnung und die Heizkosten gehen dann direkt an den Vermieter. Der Sanktionierte selbst soll aber weiterhin einen symbolischen Euro im Monat ausbezahlt bekommen. Das hat den Hintergrund, dass bestimmte Zahlungen später weiterlaufen können.
Und sie werden schlicht gleich auch noch entmündigt,
Auch bei anderen Pflichtverletzungen wird das System unerbittlicher: Wer eine Weiterbildung abbricht oder Bewerbungen nicht versendet, kann künftig direkt mit einer 30-prozentigen Kürzung bestraft werden. Die bisher übliche Staffelung von erst zehn, dann 20 und schließlich 30 Prozent entfällt.
Ob eine Weiterbildung passt, ob sie für denjenigen machbar und hilfereich ist, ob die Bewerbungen, die zu tätigen sind, für den Betroffenen akzeptabel und mit seiner Würde vereinbar sind- das spielt hier eben so wenig eine Rolle. Wer Geld vom Staat will, weil er alleine nicht für sich sorgen kann, besser: weil er nicht für sich sorgt – , der muss die Pflichten erfüllen, die der Staat ihm aufoktroyiert. Andersfalls bekommt er nichts.
Hier werden Menschen nicht wieder ans Arbeitsleben herangeführt, hier werden sie gezwungen, sich stante pedes wieder einzugliedern, egal wo und egal wie und unter welchen Bedingungen.
Vermögen wird sofort kontrolliert und Vollzeitarbeit wird zur Pflicht
Bei der Vermögensprüfung plant die Regierung ebenfalls Verschärfungen. Die bisherige Karenzzeit wird komplett abgeschafft – vorhandenes Vermögen muss sofort geprüft und bis auf geringe Beträge verwertet werden, ehe der Sozialstaat einspringt.
Das sogenannte Schonvermögen wird dabei nach Altersgruppen gestaffelt. Während bisher ein Vermögen bis 15.000 Euro bei Bürgergeld-Empfängern unangetastet blieb, soll die Grenze künftig bei unter 20-Jährigen bei 5.000 Euro liegen, bei über 20-Jährigen bei 10.000 Euro, ab 40 Jahren bei 12.500 Euro und ab 50 Jahren bei 15.000 Euro.
Wer arm ist muss es bleiben. Eine Chance, sich persönlich abzusichern und etwas zurückzulegen, um sich ein Leben aufzubauen – das steht ihm nicht zu, solange er dem Staat aufs Säckl fällt.
Alleinstehende müssen sich auf weiteren Druck einstellen. Der Gesetzentwurf betont die Pflicht, die eigene Arbeitskraft maximal einzusetzen – Menschen ohne kleine Kinder sollen künftig möglichst in Vollzeit arbeiten. Arbeiten wird dabei wichtiger als Qualifizierung.
Auch hier wird deutlich, dass es mitnichten darum geht, Menschen zu unterstützen, so zu arbeiten und eine solche Arbeit zu finden, wo sie sich gut einbringen können, wo sie wachsen und sich entwickeln können. Das ist das Privileg, derer, die ohnehin über Ressourcen verfügen.
Auch Eltern spüren mehr Druck: Bisher konnten sie bis zum dritten Geburtstag ihres Kindes mit der Betreuung gegen sofortige Arbeitsvermittlung argumentieren. Künftig gelten Arbeit, Maßnahmen und Sprachkurse bereits ab dem zwölften Lebensmonat als zumutbar, wenn eine Betreuung verfügbar ist.
Dieser Beschluss ist angesichts der bestehenden Kindergarte-Misere in diesem Land ein Hohn. Und angesichts der Bemühungen, das immer mehr gefährdete Kindeswohl in diesem Land abzusichern, indem versucht wird, gerade alleinerziehende Mütter und Väter in ihrer Erziehungsverantwortung und Bindungsfähigkeit den Kindern gegenüber zu stärken und zu unterstützen, ist diese Verfügung ein Schlag gegen die kindliche Gesundheit in vielen Familien.
Dass man oder frau mit gerade mal einjährigen Kindern in hohem Maße gefordert sind und nicht selten in einer kritischen Überforderungssituation feststecken, die durch den Zwang, auch noch gleichzeitig wieder eine Arbeit oder Weiterbildung aufzunehmen, zum Zusammenbruch führen kann, scheint den Damen und Herren der Bundesregierung auch nicht bekannt zu sein. Hier müssten die Jugendämter Sturm laufen. Aber tun sie das?
Einsparungen fallen geringer aus
Die Spareffekte durch diese Maßnahmen dürften die Erwartungen jedoch enttäuschen. Während CDU-Chef Friedrich Merz eine mögliche Einsparsumme von etwa fünf Milliarden Euro genannt hatte, fallen die tatsächlichen Schätzungen deutlich bescheidener aus.
„Allein aufgrund der Maßnahmen des Gesetzentwurfes ergeben sich keine nennenswerten Einsparungen“, heißt es aus SPD-Kreisen. Die Regelverschärfungen bringen laut Schätzungen höchstens höhere zweistellige Millionenbeträge ein – bei Gesamtkosten von rund 50 Milliarden Euro pro Jahr für das Bürgergeld wäre das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Tatsächlich geht es auch gar nicht wirklich um das Geld. Es geht darum, das Menschenbild des Neoliberalismus durchzusetzen und dien Staat grundsätzlich davon zu entlasten, sich für die Probleme benachteiligter, armer, wohnungsloser, psychisch kranker verantwortlich fühlen zu müssen nach dem Motto: . „Menschen sind selbst schuld für ihr Schicksal, also los, strengt euch an!“
Konkrete Zahlen nennt der Entwurf dennoch: Wenn die Zahl der Leistungsbeziehenden um 100.000 sinkt, reduzieren sich die Ausgaben um rund 850 Millionen Euro pro Jahr. Davon entfallen etwa 100 Millionen Euro auf die Kommunen, der Rest auf den Bund.
Reform soll noch dieses Jahr kommen
Nach der regierungsinternen Abstimmung, Anhörungen von Verbänden und weiteren Verfahrensschritten soll die Reform noch dieses Jahr vom Kabinett beschlossen werden. Anschließend geht sie ins parlamentarische Verfahren, wo sich im Detail noch einiges ändern kann.
Welche Verbände machen sich da mitschuldig an einer menschenerachtenden Sozialpolitik?
SPD-Chef Lars Klingbeil betonte, am meisten könne bei den Ausgaben gespart werden, wenn mehr Menschen in Arbeit gebracht würden. „Das muss auch der Weg der Bundesregierung sein und dafür müssen wir alles tun.“ (the)
Auch von der SPD kann man wohl nicht mehr erwarten, das sie sich in die Lage derer versetzt, über deren Leben bestimmen kann.
Verwendete Quellen
- Material von der Deutschen Presse-Agentur (dpa)
Bravo!