Billigprodukt Soziale Arbeit …

aus meinem Schwarzbuch (Persönliche Erfahrungen):

Als ich 1982 in Wiesbaden in meiner Abteilung im Jugendamt die Schulsozialarbeit übernahm, war sie gerade dabei, sich von einer gut ausgestatteten Modelleinrichtung in eine Regeleinrichtung zu verwandeln. Von den bisher 8 wurden nur 6 Stellen als unbefristete Stellen weiter übernommen, das separate Stadtteilbüro wurde geschlossen aber immerhin, die Beteiligung der Grundschule und der Gesamtschule im Stadtteil Klarenthal blieb bestehen. Die Bundesmittel wurden eingestellt, die Kommune und das Land teilten sich die verbliebenen Kosten.

Dies war meine erste berufliche Erfahrung mit Mittelkürzungen in der Sozialen Arbeit.
Immerhin blieb genug von der Modellausstattung übrig, um den Stadtteil auch weiterhin gut und ganzheitlich mit Schulsozialarbeit und Stadtteilbezogener Sozialarbeit zu versorgen und eine kontinuierliche und nachhaltige Arbeit zu leisten, die auch für Außenstehende deutliche Ergebnisse zeigte: Die Rolle der jugendlichen Neonazis im Stadtteil z.B. wurde innerhalb weniger Jahre total zurückgedrängt. Von den Absolventen des Hauptschulzweiges der Gesamtschule erhielten 80% einen Ausbildungsplatz oder machten eine schulische Weiterqualifizierung mit.

Schon ganz anders sahen meine Erfahrungen im Jahre 1998 aus, als ich das „Landesprogramm Jugendarbeit an Thüringer Schulen“ wissenschaftlich betreute. Die ohnehin eher schmalbrüstige Ausstattung von 2 mal 30 Mitarbeiter-Stunden pro Modellschule wurde entgegen der fachlich begründeten Notwendigkeit nach Ablauf des Modellzeitraumes weiter reduziert auf etwa 10 Stellen insgesamt für 10 Schulen. Mehr wollte man nicht investieren. Das geschah zu einer Zeit, als im Osten die eigentliche Sparwelle noch gar nicht angefangen hatte.

2001, wenige Jahre später traf ich auf ein Jugendamt in Thüringen, das sich mit einem finanziell hervorragend ausgestatteten Modellprojekt „Stationäre Familienhilfe“ schmücken wollte, seine etwa 30 regulären Maßnahmen der „Sozialpädagogischen Familienhilfe (spFH) nach Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) aber Stunden mäßig so knapp ausstattete, dass angesichts der zum Teil dramatischen und hochschwierigen Familienkonstellationen diese Hilfe nur in Ansätzen greifen konnte und in den meisten Fällen nichts gebracht hat. Viele dieser Fälle endeten mit Heimerziehung, die man eigentlich hatte vermeiden wollen. Mein Versuch, statt des luxurieusen Modells erst einmal die normalen Hilfen der spFH angemessen mit Zeitressourcen (z.B. statt wöchentlich 3 Stunden die erforderlichen 13 Stunden) zu versehen, scheiterte am Konzept des Amtes, das im Übrigen einen neuen Amtsleiter hatte, der ursprünglich aus der Finanzverwaltung einer Jugendbehörde stammte und kein Sozialarbeiter war. (Noch 1978 hatten wir zufrieden konstatiert, dass die letzen Jugendamtsleiter, die diese Aufgabe als Juristen übernommen hatten, der Profession Sozialarbeit gewichen waren, wie es das Kinder- und Jugendhilfegesetz fordert. Inzwischen finden sich auf den Jugendamtsleiterstellen fast ausschließlich Betriebswirte oder Verwaltungsfachkräfte.)

Und geschockt war ich auch, als mir um das Jahr 2003 herum zum ersten Mal bewusst wurde, mit welchen Arbeitsbedingungen unsere Absolventen inzwischen zu recht kommen sollten: von tariflicher Bezahlung war nur noch selten die Rede. Befristete, auf 30 und weniger Stunden gekürzte Stellen wurden die Normalität. Unbezahlte freiwillige Überstunden wurden von den Arbeitgebern eingeplant. Und dennoch mussten sie all diese Bedingungen akzeptieren und dankbar sein, wenn sie überhaupt eine Anstellung fanden.

Soziale Arbeit, so schien es, kostete den Politikern und den Verwaltungen zu viel, war ihnen einfach zu teuer, war ihnen das Geld nicht wert, was sie dafür bereitstellen sollten. Das Geld sei nicht da, hieß es immer einfach. Eine Diskussion auf Länder- oder Bundesebene oder in einem kommunalen Haushalt über die Gewichtung von Jugendhilfe gegenüber dem Straßenbau oder anderen Ausgabeposten wurde nie geführt. Dem Ressort Soziales gehörte nie eine Priorität. Das Jugendamt z. B. wurde immer behandelt wie jedes andere Amt, das öffentliche Ausgaben provoziert. Und am liebsten wäre es vielen gewesen, sie hätten die lästigen Kosten z.B. der Jugendhilfe einfach wegschieben können. Unser Land ist und war eine der reichsten Industrienationen der Welt und es gab Geld für vieles, auch in den Zeiten so genannter knapper Kassen, für die Bundeswehr, für Unternehmer, für Banken die sich verzockt hatten… Die leeren Kassen waren ein Phantom, ein hausgemachtes Unglück aber ein gewolltes Unglück. 

Über m.s.

Ich war 18 Jahre Professorin für Soziale Arbeit an der FH Jena (Methoden, Hilfen zur Erziehung, Schulsozialarbeit). Davor war ich 18 Jahre in der Praxis. Studiert habe ich Psychologie in Münster und Soziale Arbeit in Frankfurt a.M. Bücher: Schwarzbuch Soziale Arbeit Engaging Hilfe zur Erziehung zwischen Professionalität und Kindeswohl Das kann ich nicht mehr verantworten Ambulante Hilfe zur Erziehung und Sozialraumorientierung
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