Neues als der neoliberalisierten Sozialen Arbeit
Teil 2
Die professionelle Soziale Arbeit möchte, ihrer humanistischen Konzeption entsprechend, Menschen bei der Bewältigung ihres Lebens und damit bei der Lösung der Probleme unterstützen, die sie daran hindern. Das schließt bei den meisten Klienten auch die Notwendigkeit ein, auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen einzuwirken.
Ziel ist es, dass es den Betroffenen gelingt, die vorhandenen Probleme in einer Weise zu bewältigen, die ihre Lebenssituation subjektiv und objektiv verbessert. Dabei ist die „Hilfe zur Selbsthilfe“ das zweite zentrale Ziel der professionellen Sozialen Arbeit. Ziel ist es, dass die Betroffenen durch die Unterstützung in die Lage versetzt werden, zukünftig ihr Leben eigenständig und in einer ihrem Wohl angemessenen Weise zu bewältigen.
Strafe, Druck sind keine sozialpädagogischen Mittel. Sie setzten den anderen unter Druck, dem er pragmatisch wahrscheinlich irgendwann nachgeben wird. Soziale Arbeit will keine Erfolge und Veränderungen erzwingen, sondern den Menschen eine Chance geben, sich zu entwickeln und dabei auch mögliche und für ihn hilfreiche Veränderungen selbst zu vollziehen. Ihr geht es um das Wohl und die Emanzipation der Betroffenen.
Dem neoliberalen Staat dagegen geht es um die Anpassung der Menschen an die Normen, wobei die Bereitschaft, – zu welchen Bedingungen auch immer – Erwerbsarbeit zu übernehmen als entscheidender Schritt zur Normanpassung gesehen wird.
Diese neoliberale „Modernisierung“ hat zu problematischen Verschiebungen im Aufgabenbereich der Sozialen Arbeit geführt, die aber von den Trägern der Sozialen Arbeit (z.B. Caritas, Arbeiterwohlfahrt, kleinere freie Träger) hingenommen werden, weil der Staat diese Aufgabenfelder gut finanziert und eine Ablehnung dieser Aufgaben finanzielle Probleme für die betriebswirtschaftliche Bilanz, wenn nicht die Insolvenz bedeuteten würde.
Immer öfter werden professionelle SozialarbeiterInnen mit Aufgaben belastet, die sie in die Nähe der staatlichen Ordnungspolitik bringen.
MitarbeiterInnen insbesondere aus Drogeneinrichtungen und aus der Betreuungsarbeit von Flüchtlingen berichten:
- In unserem Stadtteil sollen wir sozusagen „Kontrolle laufen“, und registrieren, ob Drogensüchtige anzutreffen sind. Die Berichte gehen regelmäßig an die Senatsverwaltung und werden somit der Öffentlichkeit einschließlich der Strafverfolgungsbehörden zugänglich gemacht. Wir Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter werden so unversehens zu Hilfspolizisten, die dem Bezirk regelmäßig Konsumorte melden und damit berichten sollen, wo genau sich Drogen Konsumierende aufhielten.
- Obwohl eine anonyme Beratung für Drogensüchtige auf unserer Webseite angeboten wird, lehnt die Behörde die anonyme Beratung Süchtiger ab, da diese Fälle nicht dokumentiert werden können. Beratung gibt es sozusagen nur im Austausch gegen die persönlichen Daten.
- Die Polizei möchte gerne die Pässe minderjähriger Flüchtlinge kassieren, um deren wahres Alter herauszufinden und erwartet von den SozialarbeiterInnen in den Unterkünften bei diesem Ansinnen Unterstützung.
- Von unserem arabisch sprechenden Kollegen erwartet die Polizei, dass er mitgehörte arabische Gespräche heimlich festhält und dann übersetzt. Diese Spitzelaufgaben gegenüber unserer Klientel lehnen wir ab.
- Weil ein Kollege von uns in der Flüchtlingsarbeit nicht aussagt, droht man ihm mit dem Vorwurf der unterlassenen Straftatsvereitelung. Aber wenn KlientInnen sich uns nicht mehr anvertrauen können, dann können wir auch gleich aufhören.
- Es gibt inzwischen etliche Träger, die von uns erwarten, mit der Polizei zusammen zu arbeiten. Insgesamt besteht die Tendenz, das Auftreten der Polizei im Falle von Krisen für nützlich und für eine Art Erziehungsmaßnahme zu halten.
Ein weiteres wichtiges Anliegen unseres neoliberalen „Sozialstaates“ ist es, dass diejenigen Menschen möglichst frühzeitig erkannt werden, von denen vielleicht – aus Sicht des Staates – einmal eine Gefahr für die Gesellschaft oder für ihn selbst ausgehen könnte. Das nennt der neoliberale Staat Prävention. Und hierfür kann er die Kompetenzen der SozialarbeiterInnen gut gebrauchen.
Im Verständnis der professionellen Sozialen Arbeit ist Prävention etwas ganz anderes: Präventive Ansätze professioneller Sozialer Arbeit versuchen Lebenslagen zu verbessern, damit eine Gefährdung oder Problematik gar nicht erst entstehen kann.
Unter dem Label „Prävention“ im Rahmen der neoliberalen Transformation werden Ansätze entwickelt, die letztlich nichts sind als Versuche, verdächtigte Personen oder Gruppen, von denen man spätere Probleme für die Gesellschaft erwartet, durch rechtzeitige Kontrolle im Griff zu behalten.
In die heute übliche Praxis, die man mit dem Begriff „Gewaltprävention“ umschreibt, wird nun die Soziale Arbeit intensiv einbezogen.
Die Übertragung von Aufgaben der „Gewaltprävention“ ist ein Versuch, Soziale Arbeit in ihren Aufgaben umzudefinieren und auf den Kopf zu stellen, denn Kriminalprävention bedeutet für die Soziale Arbeit einen grundlegenden Perspektivenwechsel: Weg von der solidarischen Unterstützung hin zur Stärkung ordnungspolitischer Gesichtspunkte. Das aber fügt der Sozialen Arbeit einen großen Schaden zu, denn eine enge Zusammenarbeit mit der Polizei ist immer mit einem Vertrauensverlust gegenüber den KlientInnen verbunden.
Mitteilung einer Sozialarbeiterin, 29 Jahre alt, seit 5 Jahren in der Suchthilfe tätig:
„Vor einigen Jahren startete ein neues Projekt bei unserem Träger der Suchthilfe. Die hohe Zahl der neu in Berlin ankommenden Geflüchteten und die spezifischen Herausforderungen in den Berliner Bezirken erforderten eine Erweiterung und Öffnung der Angebote. Den Gefahren des Alkohol- und Drogenmissbrauchs mit seinen Begleit- und Folgeproblemen wie schweren Infektionen und Gesundheitsschäden, Sucht, Gewalt und Kriminalität unter den Flüchtlingen und im öffentlichen Raum in Berlin sollte entgegengewirkt werden. Generell wird davon ausgegangen, dass das Drogenkonsum- und Suchtrisiko bei Geflüchteten erhöht ist, da sie die Flucht, das schwierige Ankommen und Leben in Deutschland sowie traumatische Erlebnisse bewältigen müssen und Drogenkonsum teilweise bereits im Herkunftsland praktiziert wurde. Durch frühzeitige Intervention soll dem Integrationshemmnis „Sucht“ und der Einbindung in kriminelle Milieus bzw. der Verfestigung kriminellen Verhaltens entgegengewirkt werden.
Erstmals wurde vor einigen Jahren dann in der Satzung des Trägers neben dem Begriff „Gesundheitsförderung“ auch der Begriff „Kriminalprävention“ eingeführt. Hintergrund ist, dass das BAMF Gesundheitsförderung grundsätzlich nicht fördert, anders als Kriminalprävention (also: ein trojanisches Pferd).
Die Übernahme dieses Projektes hatte weitreichende Konsequenzen: Der Träger muss zukünftig in allen Arbeitsbereichen darauf hinweisen, dass er nicht nur Gesundheitsförderung, sondern auch Kriminalprävention betreibt. Die Begriffe „Gesundheitsförderung“ und „Kriminalprävention“ werden gleichgesetzt.
Die Kolleg*innen lehnten den Begriff „Kriminalitätsprävention“ damals mehrheitlich aus guten Gründen ab. Er steht für die Versicherheitlichung der Sozialen Arbeit. Wenn überhaupt, muss aus Sicht der Sozialarbeitenden Integrationshilfe und nicht Kriminalitätsprävention im Vordergrund stehen. Kriminalitätsprävention ist stigmatisierend, zudem diskriminierend und verharmlosend. Viele Drogengebraucher*innen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem. Die Illegalisierung von Drogen zwingt Drogengebraucher*innen in die Kriminalität und die damit verbundenen (gesundheitlichen) Risiken. Entkriminalisierung ist daher eine zentrale Forderung der Sozialen Arbeit im Bereich der Suchthilfe und sollte es auch bleiben.
Nach dreimonatiger Diskussion über den Begriff und der einstimmigen Aufforderung der Belegschaft an die Geschäftsführung, den Begriff von der Website und aus den Statuten zu entfernen, wurde lediglich mitgeteilt, dass dies nicht möglich sei. Der Begriff bleibe, andernfalls könne der Träger zukünftig nicht bestehen, weil der Staat die Finanzierung dann aussetzen würde.“
Was hier geschieht, ist quasi eine Vereinnahmung Sozialer Arbeit durch Kriminalpolitik, ihr Missbrauch als Ordnungswächter.
Ein Sozialarbeiter kommentiert:
„Wir SozialarbeiterInnen sollen zu den Jugendlichen Vertrauen aufbauen, für ihre Nöte und Sorgen offen sein. Und dann wird verlangt, dass wir sie als potentielle Gefährder melden? Sollen wir dies tun, weil niemand sonst diese Jugendlichen erreicht und wir durch Vertrauensaufbau Kontakt zu ihnen bekommen? Da dreht sich mir der Magen um.“