Politikabstinenz an unserer Hochschule?

An unserer FH findet alljährlich im Sommersemester eine studentische Tagung zu aktuellen sozialpolitischen Themen  statt, bei der auch Experten und Vertreter politischer Gruppierungen und Parteien eingeladen werden, um auf dem Podium zu den Fragen der Studierenden Stellung zu nehmen. Eine gute und wichtige Tradition in einem Studiengang für Soziale Arbeit, finde ich.
Dieses Jahr heißt das Thema: „Armutsfreies Europa – eine Utopie“?  Zu dieser Veranstaltung wurden von unserer Hausverwaltung Einladungen an alle Professoren der FH geschickt, so wie es üblich ist, wenn einer der Fachbereich eine öffentliche Veranstaltung plant.

In meiner Post finde ich eine empörte Stellungnahme eines Kollegen aus den technischen Fachbereichen:
„Ich habe Zweifel bezüglich der Zulässigkeit einer Lehrveranstaltung, die unmittelbar vor der Europawahl mit einer Wahlkampfveranstaltung der Kandidaten verwechselt werden könnte. Dies außerdem in den Rang einerHausmitteilung an alle zu heben, empfinde ich als unpassend und ärgerlich.“

Ich staune. Wenn ich den Kollegen richtig verstehe, ist es sein Anliegen, Lehre und Politik fein säuberlich zu trennen und die Inhalte unserer wissenschaftlichen Kontexte nicht mit so etwas wie dem Wahlkampf zu beschmutzen?
Vielleicht ist ihm nicht bewusst, dass in unserer FH der Fachbereich Sozialwesen – übrigens einer der größten unserer Fachbereiche – Menschen ausbildet, die vor allem und täglich mit den aktuellen sozialen Fragen und deren möglichen Lösungen konfrontiert sind. Soll denn für diese Studierenden eine Trennlinie zwischen Lehre und realen gesellschaftlichen Problemen und Aufgaben gezogen werden? Das ist so, als würden wir hier Ingenieure ausbilden, die sich einen Dreck darum kümmern sollen, welche technischen Fragen heute die Produktion bewegen. Soziale Arbeit hat nun mal vor allem mit diesen sozialpolitischen Fragen zu tun und eine Diskussion dieser Probleme gerade auch durch die Politik gehört für sie sozusagen zum tägliche Brot ihrer Profession.
Und sicher würde es dem einen oder anderen Kollegen oder auch Studenten aus den technischen und betriebswirtschaftlichen Fachbereichen nicht direkt schaden, sich mit solchen Fragen auch einmal auseinander zu setzen. Für unsere Studierenden jedenfalls ist es gerade angesichts der aktuellen Entwicklungen absolut notwendig!

Über m.s.

Ich war 18 Jahre Professorin für Soziale Arbeit an der FH Jena (Methoden, Hilfen zur Erziehung, Schulsozialarbeit). Davor war ich 18 Jahre in der Praxis. Studiert habe ich Psychologie in Münster und Soziale Arbeit in Frankfurt a.M. Bücher: Schwarzbuch Soziale Arbeit Engaging Hilfe zur Erziehung zwischen Professionalität und Kindeswohl Das kann ich nicht mehr verantworten Ambulante Hilfe zur Erziehung und Sozialraumorientierung
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