Zur Diskussion!

Reicht es wirklich, die Mitarbeiter der Wirtschaftlichen Jugendhilfe über die Anliegen der Sozialen Arbeit zu informieren und ihr Verständnis für die Probleme der Klienten zu wecken, damit das Geld wieder fließt?

Immer wieder gingen die Überlegungen der Zukunftswerkstatt in die Richtung, man müsse die Nicht-SozialpädagogInnen (die leider über die Geldfrage entscheiden) so zu sagen ins sozialpädagogische Boot holen, sie mit sozialpädagogischem Denken vertraut machen, ihnen erklären und anschaulich machen, was wir tun und und welche wichtigen Fragen für die uns anvertrauten Menschen daran hängen.

Ich bin der Meinung, es wird heute nicht  mehr ausreichen, die Nichtfachleute von der Sinnhaftigkeit und sozialpädagogischen Logik zu überzeugen – der Krebsschaden ist nicht deren Unwissenheit und Gleichgültigkeit. Der Webfehler liegt im System: Effizienz ist gewollt, auch in der Sozialen Arbeit, und wichtiger als Fachlichkeit. Kollateralschäden sind eingeplant und werden toleriert. Das Menschenbild hat sich verändert.

Vor 30, 20 Jahren hätte das tatsächlich gereicht. Auch da hatten Sozialarbeiter es nötig, die nicht-sozialpädagogischen Mitarbeiter vom Sinn und von den Kosten ihrer Arbeit zu überzeugen.  Und nicht immer ist ihnen das gelungen.
Die Ökonomisierung aber macht dieses Problem zu einem strukturellen Problem, das nicht allein durch mehr Selbstbewußtsein der SozialarbeiterInnen und durch mehr Kommunikation zu lösen ist.

Selbstbewusst über die eigene Arbeit und ihre notwendigen Bedingungen zu sprechen ist sicher eine ganz wichtige Voraussetzung für jeden Versuch, in dieser Sache etwas zu unternehmen. Solange aber in der Sozialen Arbeit der Effizienzgedanke genau so angewandt wird wie in jeder anderen marktwirtschaftlichen Angelegenheit, wird auch die mögliche Einsicht des einzelnen Mitarbeiters der Verwaltung in die fachliche Notwendigkeit nichts ändern. Sicher wäre die Überzeugungsarbeit gegenüber den einzelnen Kollegen der Verwaltung ein Schritt in diese Richtung. Aber erst wenn es uns gelingt, generell, öffentlich und politisch klar zu machen, dass Soziale Arbeit nicht einfach mit dem Effizienzargument platt gestrichen werden kann, weil ihre Aufgabe oft eben gar nicht in diesem Sinne „effizient“ zu bewältigen ist, erst dann kann sich in der konkreten Praxis wieder etwas ändern.

Geschichtliche Anmerkung dazu:

Als ich 1974 im Jugendamt Wiesbaden anfing, stöhnten die MitarbeiterInnen des ASD, weil sie bei jeder geplanten Hilfe zur Erziehung erst beim Abteilungsleiter der Wirtschaftlichen Jugendhilfe aufkreuzen und ihn oder seine Mitarbeiter mit Engelszungen überzeugen mussten, dass diese Hilfe pädagogisch unabdingbar notwendig war.

Weil die Wirtschaftliche Jugendhilfe aber gar nicht die Konpetenz hat, dies zu entscheiden, nahm unser Jugendamtsleiter (Sozialpädagoge) eine kleine organisatorische Systemänderung vor und der Stadtrat bestätigte sie: Die Wirtschaftliche Jugendhilfe blieb nicht länger eigene, der Abteilung ASD (Allgemeiner Sozialer Dienst) gegenüber gleichberechtigte Abteilung, sondern wurde zum Sachgebiet innerhalb der Abteilung ASD. Von Stund an wurden die Entscheidungen über Hilfen zur Erziehung von sozialpädagogischen Fachkräften getroffen und im Konfliktfall vom sozialpädagogischen Abteilungsleiter (der jetzt auch Vorgesetzer der Wirtschaftlichen Jugendhilfe war)  in diesem Sinne durchgesetzt.

Das KJHG hat übrigens 1990 diese Praxis doppelt bestätigt: mit dem Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung und mit der Aussage, dass die Entscheidung von sozialpädagogischen Fachkräften zu treffen ist (§27 KJHG).
Damit war ein Jahrzehnte lang angestrebtes Ziel der Sozialen Arbeit durchgesetzt:
die Trennung von Innen- und Außendienst war abgeschafft. Es entschieden nicht mehr Verwaltungsbeamte an ihren Schreibtischen über das Schicksal der Betroffenen, deren konkrete Lebenslage aber nur die Fürsorgerinnen im Außendienst wirklich kannten und beurteilen konnten.

Der Prozess der Ökonomisierung hat das Rad zurückgedreht. Heute  wird das sozialpädagogische Anliegen erneut unter Verwaltungs- und fiskalischen Aspekten entschieden und die AmtsleiterInnen denken in d. R. selber nur in verkürzten in Effizienzzusammenhängen und nicht im Kontext sozialpädagogischer Fachlichkeit.

Hier müsste die Lösung des Problems  liegen!

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Tagung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit e. V.

Letzte Woche hat die Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit e. V. in Jena getagt. Ich konnte nicht dabei sein, weil ich zur Zeit im Forschungssemester bin.
Mich würde sehr interessieren, was die Studierenden und die Profs zum Verlauf und den Inhalten dieser Tagung sagen!

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Nachbesprechung der Zukunftswerkstatt

Es kamen etwa die Hälfte der ursprünglichen TeilnehmerInnen zu einer Nachbesprechung.
Es wurden noch einmal die Ergebnisse referiert, per Powerpoint Präsentation oder Protokoll.

Länger diskutiert wurde über die Ideen zur Lehre, die von den meisten Studierenden mit viel Interesse und Engagement  eingefordert wurden:

  • Seminar über Lobbyarbeit in der Sozialen Arbeit;
  • Ort, an dem über Organisationsformen für SozialarbeiterInnen informiert und diskutiert werden soll,
  • mehr Methodenübungen, in denen eine Methode wirklich praktisch durchgeführt und erarbeitet werden kann (Idee des „Sozialarbeiter-Labors“, wo konkrete Sozialarbeit geleistet wird von einem „Labor-Sozialarbeiter“ und wo Studierende Praxis miterleben, selber versuchen, begleiten können. Herr Chassé regte an, dass im Rahmen dieses Labors auch Forschungsmethoden  praktiziert werden könnten, die für die sozialarbeiterische Praxis Relevanz haben wie z.B. Fallverstehen, biografische Arbeit.
  • Methodische Hilfe und Anleitung aus der Hochschule, nicht nur aus der Praxis, die oft gar  nicht über Anleitungskapazität verfügt und in der Regel heute auch gar nicht die Bedingungen hat, Methoden so anzuwenden, wie „es fachlich sein sollte“.
  • Seminar, in dem man lernt, sich als SozialarbeiterIn selbstbewußt und klar zur eigenen Aufgabe zu äußern, in Fachdiskussionen zu bestehen und die sozialarbeiterische Berufsethik hochzuhalten.
  • Mehr und spätere Informationen  (nicht schon und nur im 1. Semester) zu Mitbestimmungsmöglichkeiten an der FH (z.B. Gremien, Stimmrechte), damit die Studierenden diese Möglichkeiten kennenlernen  und wahrnehmen können, um ihre eigenen Interessen und Vorstellungen einzubringen und auch demokratisch durchzusetzen.

Ansonsten wurde auf konkrete Projekte der Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung eingegangen:

Die AG Öffentlichkeitsarbeit, die sich zum Ziel setzt, eine Art sozialarbeiterische Gegenöffentlichkeit zu schaffen und  z.B. in der Presse zu Sozialarbeiterischen Themen, Events, Problemen und Ergebnissen äußern will und Stellung beziehen möchte.
Diese Idee, die gleichzeitig auch Vernetzungsarbeit bedeuteten würde und über das Studium hinaus ins Berufsleben mitgenommen werden könnte, soll in den nächsten Wochen in die Tat umgesetzt werden, mit den kleinen Schritten, die man in der Prüfungszeit leisten kann….
Die Gruppe könnte hier im Blog über ihre Ergebnisse berichten.

Diskutiert wurde auch über das Blog „Zukunftswerkstatt Soziale Arbeit“. Das Blog steht offen für die Mitarbeit aller. Technische Probleme beim Kommentieren sollten mir per mail gemeldet werden, damit ich aufklären kann, woran das liegt.
Ich habe übrigens eine eigene Seite „zum Blog“ (Link links oben ) angelegt, wo ihr Informationen über Ziel, Nutzbarkeit und Mitarbeitsmöglichkeiten zu diesem Blog nachlesen könnt.

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Was machen eigentlich Sozialarbeiter?

Am Wochenende traf ich bei einem Beerdigungstermin einen Psychiater. „Was machen eigentlich deine Studenten, wenn sie fertig sind?“ „Na, die werden Sozialarbeiter, Sozialpädagogen.“ „Und was tun die so? Ich meine, irgendwie soziale Aufgaben übernehmen, oder wie?“ Er hat keine Ahnung. „Kennst du keine Sozialarbeiter in der Psychiatrie? Die arbeiten dort, ebenso in der Behindertenarbeit, viele in der Jugendhilfe.“ „So, so“, kommt es, schon nicht mehr sehr interessiert und ich merke mal wieder, wie verdammt schwer es ist, anderen zu erklären, was Soziale Arbeit bedeutet. Und während ich darüber nachdenke, fällt mir etwas auf, was ich bisher so noch nicht bemerkt hatte:
Es ist auch deshalb schwer, zu erklären, was Soziale Arbeit für Aufgaben hat, weil viele Menschen sich die Problemlagen  unserer Klientel gar nicht vorstellen können. Mein Bekannter dürfte für die Bewältigung seines Lebens keine fremde Hilfe brauchen. Er hat genügend Ressourcen. Er kennt  nur die Probleme bei Menschen, die seine psychiatrische Kunst brauchen. Jemandem zu erklären, was Hilfe bei der Lebensbewältigung ist, läuft oft ins Leere, weil der möglicherweise keinerlei Vorstellung davon hat, was im Leben von Menschen mit weniger Ressourcen alles schief gehen und nicht bewältigt werden kann.

Das aber würde bedeuten: Wir können andere über unsere Profession nur aufklären, wenn wir sie über die Problemlagen der Bevölkerungsteile aufklären, die Soziale Arbeit brauchen.

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Das Angebot steht

Nun steht mein Blog seit vorgestern im Netz und die Reaktionen  ist ziemlich verhalten. Deshalb noch ein paar Infos, die offenbar bisher nicht so recht rüber kamen.

  • Ich, Mechthild Seithe, habe das Blog (man darf auch den Blog sagen) in die Welt gesetzt. Das dazu, weil mich gestern eine mail mit dem Hinweis erreichte, es gäbe doch schon ein Blog mit der URL: www.zukunftswerkstatt-soziale-arbeit.de. Das also ist genau diese hier.
  • Wer kommentieren möchte, klicke am Ende des zu kommentierenden Berichtes den Link „kein Kommentar“ an. Später steht dann da vielleicht 8 Kommentare).Es tut sich eine Maske auf, in die ihr euren Nicknamen, eure FH mail-Adresse (bzw. sonstige email-Adresse) eintragen  könnt und dann eine hochkarätige Matheaufgabe im Sinne 1+1 lösen müsst. Das will mein SPAM-Filter so.Der Kommentar kommt zu mir und ich schalte ihn schleunigst frei.
  • Dies ist ein privates Blog, kein offizielles Blog der FH oder so etwas. Ich möchte mir und möglichen Mitautoren die Freiheit erhalten, uns unabhängig von unserem „Verein“ äußern zu dürfen und zu können.

Sollte sich perspektivisch jemand finden, der als Autor oder gar Herausgeber mitmachen will, dann kann der auch eigene Beiträge reinstellen und wiederum die Kommentierungen seiner Beiträge selber verwalten.

Das Angebot steht.

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Start eines neuen kritischen Blogs zur Sozialen Arbeit

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“Wieso macht eigentlich keiner unserer Profs einen Blog zu diesen Fragen……?”, hörte ich plötzlich eine Stimme auf der CD fragen, auf der wir die Arbeitsgruppen-Diskussionen unserer “Zukunftswerkstatt Soziale Arbeit” mit geschnitten hatten.

Ein Blog wurde also gewünscht, wo man sich informieren und diskutieren könne, wo man Kontakt bekäme mit anderen Studierenden aus anderen Städten, mit PraktikerInnen, die über ihre Probleme in der Praxis berichteten.

O.K., ich liebe Bogs und habe mit diesem Gedanken seit Monaten gespielt: Parallel zur Entstehung meines Buches “Schwarzbuch Soziale Arbeit – Der Staat verkauft seine Kinder” nämlich könnte ich so eine Diskussions- und Informationsplattform leicht ins Netz stellen.

Und genau das werde ich hier jetzt tun.


Meine Absicht ist es, hier nicht alleine meine Gedanken  niederzulegen, und nur die Kommentare meiner Leser entgegen zu nehmen. Ich stelle mir vor, dass ich weitere KollegInnen unserer Fachgruppe Soziale Arbeit zur Mitarbeit  gewinnen kann und  auch Studierende als Autoren mitmachen könnten.

Wie kann das laufen?
Es gibt zwei Möglichkeiten:

Zum einen könnte ich diese Idee nun mit allen möglichen Interessenten ausdiskutieren, die Zusammenarbeit und den ganzen Ablauf organisieren und dabei vielleicht eine große Bürokratieblase erzeugen. Der Blog würde vielleicht Ostern erscheinen können.
Die Alternative ist: Ich fange einfach mal an. Und zwar gleich.

 

Ich habe erst einmal alte Beiträge aus meinem Blog „meinglashaus“ übernommen, die schon zum Thema Soziale Arbeit existieren.

Ansonsten werde ich hier Gedanken, Fragen, Meinungen, Infos reinstellen, die für alle Leute interessant sein könnten, die  über die gegenwärtige und zukünftige Situation der Sozialen Arbeit in Deutschland diskutieren und nachdenken möchten. Auch für die, die daran vielleicht etwas ändern wollen.

Ich denke dabei natürlich zu allererst an unseren Fachbereich und z.B. die 30 Leute, die mit mir und K.A. die Zukunftswerkstatt gemacht haben.

 

Aber wie kommt ihr ins Geschäft, wie könnte eure Mitarbeit aussehen?

Über die Blogrollfunktion, die Kommentare und die Verlinkungen  könnte  allmählich ein brauchbares Diskussionsmedium entstehen.

Aber ich stelle mir mehr vor:

Wenn ihr Autoren des Blogs werdet, könnt ihr selbständig eigene Beiträge reinstellen und eure ganz eigenen Themen zur Sache lostreten.

Das Blog könnte neben seiner Funktion als Diskussions- und Austauschmedium gleichzeitig Öffentlichkeitsarbeit und Netzwerkarbeit sein – wenn ihr mitmacht. Also: Was is???

 

Wenn nicht, bleibt es eben mein eigener, kleiner Blog, der meine Arbeit begleitet. Schade, aber auch nicht übel.

 

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Bachelor gescheitert

 

In der FAZ, der man nun wirklich nicht gerade Anti-Neoliberalismus vorwerfen kann, stand am 9.  September ein Artikel mit dem Titel “Bologna-Prozess gescheitert”, auf den ich erst jetzt gestoßen bin.
Es wird berichtet, dass der Deutsche Hochschulverband zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Ziele, die mit der Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge angestrebt wurden, nicht nur nicht erreicht worden sind, sondern dass die “Reform” genau das Gegenteil bewirkt hat!
z.B.

  • Die erwünschte größere Mobilität der Studierenden wurde nicht erreicht, im Gegenteil . Der angestrebte “europäische Hochschulraum” wurde verfehlt.
  • Die Zahl der Studienabbrecher hat sich nicht verringert, sondern erhöht. 22% der Universitätsstudenten und 22% der Fachhochschulstudenten brechen inzwischen ihr Studium vorzeitig ab.
  • Da inzwischen an den Universitäten nur maximal nur 30% den Masterabschluss machen, der dem alten Diplomabschluss entspricht, bleibt die wissenschaftliche Ausbildung auf der Strecke. Hochschulen und Arbeitgeber erwarten den bewährten Ausbildungsgrad. Es müssten nicht 30 sondern bis zu 80% den Master machen. Bafög wird aber z.B. nur bis zum Bachelor bezahlt.

Der Hochschulverband fordert den Stop des Reformprozesses, soweit er noch zu stoppen ist.

Die Punkte oben lassen sich noch ergänzen:

  • Die neuen Hochschulabschlüsse pressen Studieninhalte in engere Zeitrahmen und verlangen gleichzeitig ein hohes Maß an Eigenstudium, sodass für die Studenten eine 40 bis 60 Stunden Woche dabei heraus kommt. Ein Großteil der heutigen Studenten muss aber Geld verdienen, um überleben zu können.
    Das heißt also für alle, die nicht hinreichend von ihren Eltern unterstützt werden oder wenigstens Bafög bekommen: entweder hoch verschulden oder nicht studieren.
  • Studieren und Geld verdienen läßt sich nicht mehr vereinbaren. Studieren ist immer weniger Bildungsprozess als Stress und kurzfristige Paukerei von Wissen, das in ständigen Prüfungsverfahren abgefragt und dann vom Studenten innerlich abgelegt wird.
  • Die zeitliche und notgedrungen auch inhaltliche Verkürzung des Bachelor-Studiums führt zur Zeit offenbar 80% der Universitätsstudenten zu einer enormen Qualifikationssenkung und einer Entwissenschaftlichung der Hochschulausbildung. Das gilt extrem für die Fachhochschulen:  95% unserer Fachhochschulstudenten (Fachbereich Sozialwesen) machen nur den Bachelor. Das bedeutet i.d.R. 1 Jahr weniger Studium für den normalen Sozialarbeiter.
  • Dies geschieht offenbar nach dem Motto: Sozialarbeiter sollen nicht denken und fragen, warum und wie sie etwas tun. Sie sollen das tun, was in den Qualitätshandbüchern der jeweiligen Träger drin steht: effiziente Arbeit durch effiziente – und bequeme – Ausgebildete.

Zu der Zeit, als ich am  17.10.2006    hier im Blog von der Umsetzung des Bologna-Prozess in unserem Fachbereich berichtete, galt man als Ewiggestriger und Reformunfreudiger, wenn man die neue “Studienreform” auch nur kritisch sah. Auf den Vorzügen des alten Diploms zu bestehen galt als unerwünscht, beinah als Kapitalverbrechen.

Aber “menschliche Irrtümer” der Politik und der Wirtschaft scheinen ja zur Zeit in Mode zu kommen. Und keiner schlägt sich an die Brust und geht in sich. Sondern das Geld der Steuerzahler wird hergenommen, um die durch Fehlplanung, ungeprüfte Schnellschüsse und Gier nach  großen Einsparungen oder großen Profiten entstandenen Folgeschäden, aufzufangen.

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Erziehungscamp

Die landesweiten Reaktionen auf den Überfall, der auf den Münchner Rentner verübt wurde, sind nur die Spitze eines Eisberges. Es geht nicht nur um Wahlkampf dabei oder vielmehr: zum Wahlkampfthema eignet sich diese Geschichte, weil sie Volkes Seele an- und ausspricht: Man ist empört, dass junge Gewalttäter deutsche Menschen überfallen. Dass sollten wir uns nicht bieten lassen, was haben die überhaupt hier zu suchen? Raus mit ihnen oder aber hart bestraft und weggesperrt!

Die zunehmende Tendenz, auf soziale Abweichung mit Sanktionen und hartem Durchgreifen zu reagieren, ist in der Politik und ebenso in der Bevölkerung nicht zu übersehen.
Die Strategien einer wissenschaftlich orientierten Resozialisierung, die den Erziehungsprozess vor die Strafe stellt und die z.B. Hilfe zur Erziehung anstelle von U-Haft fordert, erscheint nicht mehr akzeptabel, wird als weich und der Realität nicht angemessen angesehen. Die Bereitschaft, sich mit Menschen abzugeben und sie zu “alimentieren” , die nicht bereit sind, sich unseren Sitten und Normen anzupassen, ist ohnehin dünn geworden. Wenn es sich auch noch um Straftäter handelt ist die Toleranz endgültig vorbei und ein Gedanke an die Würde und den Anspruch dieser jungen Menschen auf eine ihrem Wohl entsprechende Entwicklung ist einfach nicht mehr drin.

SozialarbeiterInnen wird Kuschelpädagogik vorgeworfen und Erfolglosigkeit. Man setzt jetzt (wieder) auf Strafe, Umerziehen, Einsperren und Abschieben. Und das ganze nennt man liebevoll “Camp”. Der Barras hat ja bekanntlich noch nie jemandem geschadet und ein bisschen Pfadfinderei wird hier sicher was Gutes bewirken….
Warum aber junge Migranten möglicherweise besonders leicht aggressiv sind, wird dabei nicht hinterfragt. Geht man davon aus, dass Ausländer von Natur aus brutaler sind als wir oder dass ihre Kultur Brutalität eher zulässt? Fast sieht es so aus. Schmeckt das nicht ein bisschen nach Rassismus?
An die gesellschaftlichen Ursachen, die in unserem Land, in unserer Gesellschaft liegen, an die Bedingungen und die Perspektiven, unter denen hier Migranten aufwachsen, scheint niemand zu denken. Keiner fühlt sich schuldig oder auch nur zuständig – am besten abschieben, einsperren!

Nicht nur Frau Merkel liebäugelt vermutlich mit amerikanischen Verhältnissen, wenn sie vom Erziehungs-Camp spricht. Schließlich ist der Strafvollzufg in den USA in den letzten Jahrzehnten wesentlich drastischer gewachsen und ausgebaut worden als bei uns.
Der Spiegel stellt ein Video zur Verfügung, das den, wie es dort heißt, “Kinder-Gulag” von Texas vorstellt, eine supermoderne Erziehungsanstalt, die offenbar gleichzeitig Gefängnis und gnadenlose Umerziehungsanstalt ist.

Bei Anschauen dieses Videos ist mir – trotz einiger kritischer Andeutungen des Reporters – nicht wirklich klar, ob es sich nicht doch um einen Propagandafilm für dieses Modell des Jugendstrafvollzuges handelt. Alles ist clean, die aggressiven Täter sind zu bezähmten, beherrschten, zu ungefährlichen Gestalten geworden.
Man kann also aufatmen: Sie sind sicher weggesteckt und sie werden kaum rückfällig werden; Denen wird ihr Wille so weit ausgetrieben, dass sie das gar nicht mehr können.
In dieser Anstalt findet tatsächlich ein ungeheuerer Umerziehungsprozess. Mit Sprechverbot und Berührungsverbot, mit Drill und Denkverbot, dem Zwangsabsingen von Kirchenchorälen und mit der Zwangsverabreichung nicht benannter Medikamente übertrifft dieses “Camp” alles, was je von Goffmann seinerzeit (1961) als “Totale Institution” gegeiselt wurde. Ich werde an die Geschichte bei Aitmatow (Der Tag zieht den Jahrhundertweg) erinnert, wo ein kirgisischer Stamm bei den jungen Gefangenen eines anderen Stammes mit einer nassen, sich dann beim Trocknen zusammenziehenden Rinderhaut das Weiterwachsen des Gehirns verhinderte und sich so hilflose, bereitwillige Idioten für die schwere Feldarbeit heranzog.
Wofür werden die 11 – 17 jährigen Menschen benutzbar sein, wenn sie diese Mischung aus Isolationsfolter und militärischem Drill lebend überstehen?

Vor vielen Jahren hat René Spitz (1976) die Ursachen für das aufgedeckt, was wir als “Hospitalismus” bezeichnen: die für Kinder tödlichen oder psychisch vernichtenden Folgen von Kommunikations- und Beziehungslosigkeit in damaligen Heimeinrichtungen.
Hier werden diese Methoden nun produktiv und gezielt eingesetzt, um die Gesellschaft von Tätern zu befreien, für deren Entwicklung zu Tätern sie zumindest mitschuldig ist.

Natürlich haben wir ausreichende Gesetze. Und wir haben auch die sozialpädagogische Professionalität, die – wenn sie angemessen ausgestattet und konsequent angewendet wird – solchen jungen Straftätern die Chance für eine andere Entwicklung geben kann.
Aber soviel Mühe und Kosten scheut man für Leute, die man als gefährliche Schmarotzer unserer Gesellschaft sieht.
Dann lieber solche Camps! Die kosten zwar vermutlich mehr, aber das ist dann doch eher eine Investition, die lohnt und an die man glauben kann. Stimmt’s!?

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Wachmänner in Berliner Schulen

Dieser Schritt hat mich nicht überrascht. Unsere Gesellschaft reagiert auf die Gewalt, die sie selber ständig produziert schlicht mit Gegengewalt oder drohender Gegengewalt.
Von der Effektivität her ist dieser Ansatz mit einem medizinischen Konzept vergleichbar, das bei einer ausgebrochenen Volksseuche den Abtransport der Leichen gut organisiert und vielleicht auch noch die Betroffenen effektiv isoliert, aber nichts investiert, um die Ursachen der Seuche zu ergründen und zu beseitigen.
Die Ursachen für die Gewalt in unseren Schulen sind vielfältig, sie haben mit dem Schulsystem und mit der Verrohung unserer Gesellschaft zu tun, mit der Unfähigkeit vieler Jugendlicher, Konflikt anders beizulegen und zu lösen als mit verbaler oder nonverbaler Gewalt. Hier könnten z.B. Sozialarbeiter wesentlich tiefer greifen und präventiv wirken.

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Vor allem aber hat diese Gewalt damit zu tun, dass diese Gesellschaft für viele auch und gerade junge Menschen, allen voran für Migrantenkinder, keine Perspektiven mehr zu bieten hat und es auch nicht versucht, sie zu bieten, gleichzeitig aber Konsum, Geld und absolute Selbstverwirklichung als Kriterien für Erfüllung und Glück bestimmt hat und dann behauptet, jeder könne in dieser Gesellschaft ganz nach oben kommen, wenn er nur flexibel genug ist und sich selber ausreichend bemüht.

Auch der Hinweis in der Presse, Wachmänner seien viel billiger als SozialarbeiterInnen, hat mich nicht überrascht. Auf diese Weise werden Aufgaben der Sozialen Arbeit immer mehr von unausgebildeten Kräften übernommen und damit werden ihre Fachlichkeit, ihr professioneller Ansatz und ihr Menschenbild einfach ausgekippt und als überflüssig erklärt. An die Stelle einer sekundären Integration, die versucht Menschen so in die Gesellschaft zu integrieren, dass sie dabei als Personen und als Menschen mit Rückgrad nicht auf der Strecke bleiben, wird einfach mit Sanktionen, Drohungen und Zuckerbrot und Peitsche gearbeitet.

Überrascht hat mich höchstens, wieso Wachmänner so viel weniger verdienen sollen als SozialarbeiterInnen. Wenn das so ist, dann fallen die Wachmänner ganz klar in den Bereich, wo dringend ein Mindestlohn ansteht. Denn SozialarbeiterInnen verdienen selber so wenig, dass mancher Mann sich dieses Studium verkneift, weil er von den Einkünften keine Familie ernähren kann. Das war eigentlich nie anders, hat sich aber in den letzten 10,15 Jahren dramatisiert. So etwas wie Tariflohn, unbefristete Stellen, nur soviel Arbeit, wie auch bezahlt wird…. als das gehört der Vergangenheit an. Auch deshalb ist es ein fast reiner Frauenberuf geblieben. Unter unseren Studierenden sind knapp 10% Männer!

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Kinderrechte ins Grundgesetz…

Alle sind sich so schön einig, sozusagen von links bis rechts….

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Natürlich ist dieser Schritt mehr als überfällig. Eine Orientierung des Grundgesetzes an den Kinderrechten der UNESCO steht seit langem in Deutschland aus.

Die Frage allerdings ist, wie wird dann in der real existierenden Gesellschaft mit Kinderrechten umgegangen? Es ist ja nicht so, als gäbe es nicht längst gesetzlich verbriefte Rechtsansprüche.
Zum Beispiel im Kinder- und Jugendhilfgesetz. Dort stehen sehr interessante Sachen:

  • dass die Jugendhilfe (im Auftrage der Gesellschaft) das politische Mandat hat, für eine Verbesserungen der Lebenswelten von Minderjährigen mitzusorgen (aber wer will sie hören???); das steht im § 1.4,
  • dass Eltern dann, wenn für ihre Kinder die Bedingungen für eine gesunde Entwicklung nicht gegeben sind, weil im Elternhaus oder sonst die Voraussetzungen dafür fehlen, einen Rechtsanspruch auf Hilfe haben und zwar auf eine Hilfe, die pass genau auf ihre besondere Lebenssituation abgestellt ist; das steht in den §§ 27 ff

Fakt ist, dass heute dieser Rechtsanspruch sehr häufig äußerst defensiv und restriktiv gehandhabt wird.

  • Die Hilfen zur Erziehung, als Dienstleistungen für Eltern und ihre Kinder gedacht, werden oft erst gewährt, wenn es so weit ist, dass eine Kindeswohlgefährdung ins Haus steht.
  • Eltern, die Hilfe haben wollen, werden abgewiesen, weil ihr Problem nicht schlimm genug scheint und es schlimmere Fälle gibt.
  • Hilfen werden als notwendig anerkannt, können aber nicht oder nicht im notwendigen Umfang geleistet werden, weil das Geld nicht da ist, weil z.B. im September das für einen bestimmten Wohnbezirk zur Verfügung stehende Geld ausgeschöpft ist.

Wohlgemerkt, es handelt sich hier um einen einklagbaren Rechtsanspruch, der zunehmend ausgehöhlt, unterlaufen wird. Wird daran die Grundgesetzänderung etwas ändern?
Der Geist des KJHG, rechtzeitig Hilfe zur Verfügung zu stellen und sie nicht als Druckmittel zu verwenden oder so, dass sie für Eltern als Eingriffe und Zwangsmaßnahmen erlebt werden, wird zunehmend negiert – mit Blick auf die “leeren Kassen” der Sozialverwaltungen aber auch im Rahmen einer neuen Ideologie, die wieder, wie schon in den alten Zeiten der Fürsorge, auf Kontrolle, Druck und Sanktionen setzt.

Die Skandale von Kindesvernachlässigung, die wir zur Zeit fast täglich in den Medien präsentiert bekommen, lösen in der Politik und in der Öffentlichkeit den Ruf nach Strafe und Vergeltung aus. Man glaubt, mit wasserdichter Kontrolle und mit härterem Durchgreifen, diese Problematik in den Griff zu bekommen. Dazu ist Folgendes zu sagen:

  • Eine Gesellschaft, die nicht nach den Ursachen fragt, warum so etwas wie diese drastischen Fälle von Kindesvernachlässigung möglich ist, die ganze Teile der Gesellschaft aus ihrer Normalität ausklammert, ist sie überhaupt noch berechtigt, über diese Menschen in dieser Weise zu urteilen?
  • Kontroll- und Strafmaßnahmen sind im konkreten Fall für die betroffenen Kinder natürlich unabdingbar notwendig, aber was ist im Vorfeld passiert? Eine Jugendhilfe, die sich auf Kontrolle und Eingriffe beschränkt, ist diesen Namen nicht mehr wert.
  • Das, was wirklich geschieht und versucht wird z.B. von den MitarbeiterInnen der Jugendämter, ist in keinem Pressebericht enthalten. Soziale Arbeit, auch die Jugendhilfe, ist keine Außenstelle der Polizei sondern eine Sozialisationsagentur. Ihre Möglichkeiten sind zunächst pädagogischer Natur. Für Pädagogik aber braucht man bekannt lich Zeit. Der Nürnberger Trichter tuts eben nicht.
  • Die Gesellschaft findet bei den genannten Skandalen in der Jugendhilfe immer ganz schnell den Schuldigen.
    Sind die MitarbeiterInnen der Jugendämter wirklich zu naiv, zu feige, zu dumm, zu weich?
  • MitarbeiterInnen der Jugendämter starren heute wie die gebannten Kaninchen auf ihre “Fälle” und sind – nicht zuletzt wegen der oben dargestellten öffentlichen Vorverurteilung der Jugendhilfe – vor allem damit beschäftigt, bloß keinen Fehler zu machen, der ihnen zur Last gelegt werden könnte. Sie geraten damit immer mehr in den Sog eines Arbeitsverständnisses, das in erster Linie Kontrolle bedeutet.
  • Die Verwaltungsarbeit, die Aktenführung, die Dokumentation nehmen deshalb einen sehr großen Raum in ihrer Arbeit ein, der der pädagogischen Arbeit abgeht. Sie haben oft weder die Zeit noch die innere Kraft und Freiheit, kreativ, produktiv und im Sinne einer Entwicklung der betroffenen Familien zu handeln.
  • Warum wird von den Verantwortlichen in der öffentlichen Jugendhilfe, z.B. von Jugendamtsleitern, nicht laut und deutlich gesagt, dass die Jugendhilfe im Rahmen der heutigen restriktiven Rahmenbedingungen für ihre Arbeit zu wenig Zeit und zu wenig Kapazitäten hat. Es reicht gerade mal dazu, bei den dramatischsten Fällen das Schlimmste zu verhindern.

Es hat Versuche dieser Art gegeben. Die mutigen Jugendamtsleiter haben ihre Posten verloren. MitarbeiterInnen, die es nicht mehr ertragen können, ihren sozialpädagogischen Beruf eingezwängt zwischen Kontrollaufgaben und Sparmaßnahmen auszuüben, schweigen, weil sie um ihren Arbeitsplatz fürchten.

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