zurück daheim

Demo in Brest gegen die Rentenreform, damals am 24.9. noch kleine Anfänge….

Mein Urlaub war sehr schön. Wir haben drei Wochen lang keine Zeitung gelesen und kein Radio gehört. Und ganz im Gegensatz zu den Warnungen meiner Studentin haben wir in Frankreich nicht viel von dem mitbekommen, was die Menschen in ihrem Alltag bewegt.
In unserem Hafenort allerdings stand ein Museum, das die erste Ölpest in Europa dokumentiert, als nämlich 1978 genau hier der Tanker Amococadiz  zerbrach und die nordwestliche bretonische Küste vollständig verseuchte. Heute ist der Strand wieder sauber und wunderschön.

Die Bretagne hier im tiefsten und weitesten Westen ist ein sympatisches Land, nicht so sehr vom Tourismus als viel mehr von Gemüsebau und mediterranem Klima geprägt. Das Land scheint zu funktionieren. Touristen sind gerne gesehen, aber spielen keine Hauptrolle.

Wir haben weder Menschen gesehen, die perspektivlos oder verzweifelt schienen, noch haben wir z.B. irgendwas mitbekommen von der Roma-Problematik. Wir haben auch nicht gesucht. Wir haben uns vielmehr uns mit Menhiren und der Steinzeitkultur,

mit Calvaires und der volkstümlich-christlichen Bilder- und Medienwelt des Spätmittelalters beschäftigt, mit  Küstenformationen und Algen,

mit christlichen  und weniger christlichen Darstellungen des menschlichen Antlitzes in und an Kirchen, in Höhlen und auf öffentlichen Plätzen.

Wir haben einen sonnigen Spätsommer genossen, eine unglaublich strotzende, gesunde Vegetation erlebt und viele, viele Fotos geschossen….

Das war mal sehr gut so. Denn zurück in Deutschland ist alles wieder da und getan hat sich inzwischen auch nicht viel. Der Stress geht weiter, die Menschen werden überall gehetzt und angehalten, sich zu beeilen, sich anzustrengen, dran zu bleiben…. Nach einer Woche Semester bin ich wieder voll im Trab.

In Brest sahen wir einmal eine Demonstrationgegen die Rentenreform. Das war alles, was nach Politik aussah. Sozialarbeit kam überhaupt nicht in meinem Urlaub vor. Was uns auffiel, dass die Franzosen, wenigstens hier in der Bretagne, weit weniger dem Stress und dem „schneller, höher, weiter“ verfallen sind als wir alle hier in Deutschland. So fiel mir wiederholt die erstaunliche Geduld und Toleranz auf, mit der Kassiererinnen in großen Supermarchés auf ihre Kunden warteten, wenn die etwas vergessenhatten, ihr Geld nicht fanden, erst noch was  mit der Nachbarin klären mussten. Und alle, die an den Kassen standen, warteten ebenso geduldig mit.

Zurück in Deutschland ist das Tempo höher und die Toleranz geringer. Jeder kämpft für sich allein sozusagen.

Also weiter geht`s.

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“Wieso macht eigentlich keiner unserer Profs einen Blog zu diesen Fragen……?”, hörte ich plötzlich eine Stimme auf der CD fragen, auf der wir die Arbeitsgruppen-Diskussionen unserer “Zukunftswerkstatt Soziale Arbeit” mit geschnitten hatten.

Ein Blog wurde also gewünscht, wo man sich informieren und diskutieren könne, wo man Kontakt bekäme mit anderen Studierenden aus anderen Städten, mit PraktikerInnen, die über ihre Probleme in der Praxis berichteten.

O.K., ich liebe Bogs und habe mit diesem Gedanken seit Monaten gespielt: Parallel zur Entstehung meines Buches “Schwarzbuch Soziale Arbeit – Der Staat verkauft seine Kinder” nämlich könnte ich so eine Diskussions- und Informationsplattform leicht ins Netz stellen.

Und genau das werde ich hier jetzt tun.


Meine Absicht ist es, hier nicht alleine meine Gedanken  niederzulegen, und nur die Kommentare meiner Leser entgegen zu nehmen. Ich stelle mir vor, dass ich weitere KollegInnen unserer Fachgruppe Soziale Arbeit zur Mitarbeit  gewinnen kann und  auch Studierende als Autoren mitmachen könnten.

 

Wie kann das laufen?
Es gibt zwei Möglichkeiten:

Zum einen könnte ich diese Idee nun mit allen möglichen Interessenten ausdiskutieren, die Zusammenarbeit und den ganzen Ablauf organisieren und dabei vielleicht eine große Bürokratieblase erzeugen. Der Blog würde vielleicht Ostern erscheinen können.
Die Alternative ist: Ich fange einfach mal an. Und zwar gleich.

 

Ich habe erst einmal alte Beiträge aus meinem Blog “meinglashaus” übernommen, die schon zum Thema Soziale Arbeit existieren.

Ansonsten werde ich hier Gedanken, Fragen, Meinungen, Infos reinstellen, die für alle Leute interessant sein könnten, die  über die gegenwärtige und zukünftige Situation der Sozialen Arbeit in Deutschland diskutieren und nachdenken möchten. Auch für die, die daran vielleicht etwas ändern wollen.

Ich denke dabei natürlich zu allererst an unseren Fachbereich und z.B. die 30 Leute, die mit mir und K.A. die Zukunftswerkstatt gemacht haben.

 

Aber wie kommt ihr ins Geschäft, wie könnte eure Mitarbeit aussehen?

Über die Blogrollfunktion, die Kommentare und die Verlinkungen  könnte  allmählich ein brauchbares Diskussionsmedium entstehen.

Aber ich stelle mir mehr vor:

Wenn ihr Autoren des Blogs werdet, könnt ihr selbständig eigene Beiträge, Fotos etc. reinstellen und damit eure ganz eigenen Themen zur Sache lostreten und dann natürlich die entsprechenden Kommentare selber verwalten.

Der oder die (Mit)-Herausgeber könnten außerdem außer Beiträgen noch „Seiten“ schreiben. Das sind die Seiten links oben im Seitenmenü, die stehen bleiben und nicht chronologisch fortgeschrieben werden. Außerdem können Herausgeber die „Blogroll“ anreichern, also das Blog mit anderen Blogs oder Internetseiten verlinken.

 

Das Blog könnte so  neben seiner Funktion als Diskussions- und Austauschmedium gleichzeitig Öffentlichkeitsarbeit und Netzwerkarbeit sein – wenn ihr mitmacht. Also: Was is???

 

Wenn nicht, bleibt es eben mein eigener, kleiner Blog, der meine Arbeit begleitet. Schade, aber auch nicht übel.

 

 

Das Angebot steht

übernommen aus dem laufenden Blog (Beitrag vom 27.11.2008)

Nun steht mein Blog seit vorgestern im Netz und die Reaktionen  ist ziemlich verhalten. Deshalb noch ein paar Infos, die offenbar bisher nicht so recht rüber kamen.

  • Ich, Mechthild Seithe, habe das Blog (man darf auch den Blog sagen) in die Welt gesetzt. Das dazu, weil mich gestern eine mail mit dem Hinweis erreichte, es gäbe doch schon ein Blog mit der URL: www.zukunftswerkstatt-soziale-arbeit.de. Das also ist genau diese hier.
  • Wer kommentieren möchte, klicke am Ende des zu kommentierenden Berichtes den Link “kein Kommentar” an. Später steht dann da vielleicht „8 Kommentare“).Es geht eine Maske auf, in die ihr euren (Nick)-Namen, eure FH mail-Adresse (bzw. sonstige email-Adresse; eine eigene URL muss man nicht haben und nicht angeben, es sei denn man möchte es tun) eintragen  könnt und dann eine hochkarätige Matheaufgabe im Sinne 1+1 lösen müsst. Das will mein SPAM-Filter so. Dann kommt der Kommentar in das entsprechende Feld, dann abschicken. Der Kommentar kommt zu mir und ich schalte ihn schleunigst frei.
  • Dies ist ein privates Blog, kein offizielles Blog der FH oder so etwas. Ich möchte mir und möglichen Mitautoren die Freiheit erhalten, uns unabhängig von unserem “Verein” äußern zu dürfen und zu können.

Sollte sich perspektivisch jemand finden, der als Autor oder gar Herausgeber mitmachen will, dann kann der auch eigene Beiträge reinstellen und wiederum die Kommentierungen seiner Beiträge selber verwalten.

Das Angebot steht.

 

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man kann nicht davon laufen …

Ich steht kurz vor meinem Urlaubsstart. Wir haben uns den einsamsten, fernsten Ort in der Bretagne ausgesucht und von Menhiren und Calvarienbergen geträumt, von smaragdgrünem Meer und von Hortensienbüschen…

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.

Aber meine Studentin Andrea war eben genau dort und schrieb mir Folgendes:

„Ansonsten hat man die übliche Wahl zwischen kommerziellem Tourismus inclusive Vermarktung bretonischer Sanges- und Tanzkünste, die inzwischen auch in die verborgensten Winkel von Finistere vorgedrungen ist und karg-schmuddligen (Armuts-) Ecken, deren Einöde sich in den Gesichtern der verbliebenen Restjugend abzuzeichnen beginnt  oder in den Gesichtern zahnloser Individuen am Nachbartisch mit alkoholverhangenen Augen. In den von mir so geliebten Supermarches kann man depremierende Sozial- und Familienstudien betreiben.“

Außerdem haben wir inzwischen mit Staunen festgestellt, dass wir just da das Meer genießen wollen, in den 70er der Frachter Amoco Cadiz sank und für die Bretagne eine Ölkatastrophe brachte.
Also, so ist das:
Man kann weder den sozialen noch den ökologischen Problemen dieser Welt entkommen.
In diesem Sinne liebe Grüße an alle daheim gebleibenden LeserInnen meines Blogs.


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Professionalität ohne politisches Mandat?

Anmerkungen  zu einem interessanten Buch:
Maja Heiner: Professionalität in der Sozialen Arbeit, Stuttgart 2004

Für ein Seminar im kommenden Semester habe ich mir heute Maja Heiners: Professionalität  in der Sozialen Arbeit (von 2004) genauer angesehen.

Das Buch ist erst einmal deshalb erfreulich,

  • weil es lesbar ist und z.B. einen guten Überblick über die Geschichte der Professionalitäts-diskussion innerhalb der Sozialen Arbeit gibt.
  • Es ist ferner sehr hilfreich, weil es die  Kritierien für professionelles Verhalten versucht zu operationalisieren und am konkretem Handeln festzumachen.
  • Die Analyse konkreter Praxisbeispiele ist sehr aufschlussreich und bildet die Vielfalt von Praxis hinsichtlich ihrer mehr oder weniger gelungenen Umsetzung von Professionalität anschaulich ab.

Die Kriterien von Professionalität, die Maja Heiner entwickelt und begründet sind nachvollziehbar und entsprechen auch meinen Vorstellungen einer professionellen Sozialen Arbeit. Also sehr wohl lesenswert…
Dennoch möchte ich zu einigen Aussagen von Maja Heiner hier kritische Anmerkungen machen.
Bei der Geschichte der Professionsdiskussion und auch bei ihren Aussagen zur Wirklichkeit der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen heutiger Sozialer Arbeit bin ich über einige Merkwürdigkeiten gestolpert, über die es m. E. lohnt,  zu diskutieren:
Maja Heiner nimmt  die Position ein, dass – ganz im Unterschied zu den marxistisch beeinflussten Ansätzen der 70er und noch der 80er Jahre – heute endlich eingesehen würde, dass es in der Sozialen Arbeit nicht um einen unauflösbaren Widerspruch zwischen gesellschaftlichen Interessen und den Interessen der Menschen gehe,  dass es also keine echte Paradoxie im Verhältnis zwischen Hilfe und Kontrolle, zwischen den Mandaten der Klientel und des Systems gäbe, und dass sich heute die Einschätzung der Natur der polaren Beziehugnen geändert habe. Der Sozialen Arbeit sei damit eine intermediäre Funktion zuzuordnen, „die der Vermittlung zwischen den Ansprüchen der Gesellschaft und den Bedürfnissen der Individuen dient“ (Heiner, 2004, S. 30). Ein politisches Mandat der Sozialen Arbeit im Sinne einer Positionierung gegen den Staat, das System etc.  hält sie für illusionär (S. 36) und für die Profession unangemessen.
Was ist davon zu  halten?
Natürlich gibt es nicht nur  grundlegende Widersprüche zwischen den Interessen des Systems und denen der Menschen. Es besteht nicht in jedem Fall und in jeder Situation  notwendig ein unauflösbarer Widerspruch zwischen den beiden Polen.  So ist z.B. das Kindeswohl gleichermaßen für das System wie für die Betroffenen elementar wichtig, ebenfalls der Schutz vor Selbstgefährdung. Andere gesellschaftliche Erwartungen und Normen sind aus professioneller Sicht zu akzeptieren, weil sie das zwischenmenschliche Zusammenleben und die Intergration Einzelner in die Gesellschaft sichern können, z.B. der Schutz vor Fremdgefährdung, usf. All diese Anforderungen gesellschaftlicher Art beschreiben aber Widersprüche, die sich vielleicht für die Klienten subjektiv so anfühlen mögen, die aber nicht tatsächlich gegen  sie gerichtet sind bzw. die für sie und ihr Verhalten Grenzen makieren, die das Zusammenleben der Menschen sichern.
Maja Heiner leitet aus der erforderlichen Aufgabe und Kompetenz zur Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft bzw. Sozialität ein wesentliches Professionsmerkmal Sozialer Arbeit ab. Sie stellt fest, dass Soziale Arbeit die „Widersprüche, die aus den Konflikten zwischen Individuum und Gesellschaft resultieren, ausbalancieren muss, um mehr soziale Gerechtigkeit zu erreichen“ (S. 32). Sie sieht hier die Chance einer „Versöhnung von Individuum und Gesellschaft“. Als Beleg dafür, dass der angeblich unversöhnliche Widerspruch zwischen den Erwartungen des Systems und der Menschen aufgelöst wurde oder werden kann, führt Heiner die in der heutigen Sozialen Arbeit vorherrschende Vorstellung  der Koproduktion an, bei der die Klientel aktiver Partner im Hilfeprozess ist und sie bemüht die Erkenntis der Systemtheorie, nach der Systeme nur selber, und nicht von außen induziert, in der Lage sind zu lernen. Tatsächlich ist die Soziale Arbeit in den letzten 30 Jahren einem handlungsorientierten Professionsverständnis näher gekommen, das ihr ermöglicht, sowohl etwas für die Klientel zu tun, als auch ihre Lebensbedingungen zu verbessern, indem sie die Klientel zur Koproduktion bewegt und sie als Akteurin und Expertin ihres eigenen Lebens respektiert und stärkt.
Zu Heiner’s Professionalitätsverständnis gehören folglich unabdingbar eine Haltung zum Klienten, die ihn respektiert, die von seiner Entwicklungsfähigkeit überzeugt ist, die seine Partizipation und Koproduktion am Hilfeprozess als notwenig erachtet und die deshalb seine Motivierung nicht nur für nötig hält, sondern diese als eine zentrale Aufgabe der Sozialen Arbeit erkennt.  Dies ist der Professionalitätstyp der „Passung“, den sie den unprofessionellen bzw. semiprofessionellen Typen insbesondere des „Dominanz“- und des „Service-Modells“ gegenüberstellt. Damit distanziert sie sich z.B. von einer autoritären, patriarchialischen Sozialen Arbeit ebenso wie von einem reinen Managementmodell, das den Beziehungsaspekt und damit jene Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft nicht leistet oder zu leisten bereit ist.

So weit kann ich Maja Heiner problemlos folgen und denke, dass ihre Argumentation geradezu hervorragend geeignet ist, gegen neuere Sozialarbeiterische Konzepte Front zu machen, die mit dem aktivierenden Staat und der Ökonomisierung ins Haus stehen.

Dennoch scheint Maja Heiner von den Bedrohungen und Beinträchtigungen der Professionalität Sozialer Arbeit, die durch die Ökonomisierung und den aktivierenden Staat ins Haus stehen,  (noch?) scheinbar völlig unberührt. Die Frage der Professionalität ist für sie zunächst und zu allererst eine Frage der Haltung der Sozial Arbeitenden. Sie sind in erster Linie aufgerufen, an ihrer Professionalität zu arbeiten.

Und hier fangen meine Probleme mit ihrem Standpunkt an:
Es gibt gerade in der heutigen Zeit Erwartungen des Systems, die den Interessen der Menschen subjektiv und objektiv widersprechen, z.B. die schnelle Widereingliederung in den Arbeitsprozess, koste es was es wolle. Die Vermittlung des flexiblen und unternehmerischen Habitus ist z.B. zumindest dort, wo die Ressourcen für eine solche Lebensweise nicht reichen, gegen die Lebens- und Überlebensinteressen der Betroffenen gerichtet. Es gibt systemische Erwartungen  und Interpretationen gesellschaftlicher Normen, die politisch vorgegeben werden und keineswegs akzeptabel sind, wenn es der Sozialen Arbeit z.B. um die Selbstbestimmung und die Menschenwürde ihrer Klientel, um deren  Selbstverantwortung und Eigenveränderung und die Ganzheitlichkeit ihrer Lebenswelt geht.
Maja Heiner geht auf solche Aspekte in ihren Überlegungen aber gar nicht ein. Sie betont immer wieder und belegt es mit den Aussagen der von ihr interviewten SozialpädagogInnen, dass nicht die Gesellschaft oder das System den Sozialarbeitenden Beschränkungen hinsichtlich Methodenwahl, Zielstellung und Prozess ihrer Arbeit vorgeben. Das mag der Tatsache geschuldet sein, dass Maja Heiner dieses Buch 2004 geschrieben hat, in einer Zeit, wo die Wirklichkeit der Ökonomisierung noch nicht überall in der Praxis und schon gar nicht in den Köpfen angekommen war. Solche Widersprüche waren  in den 80er und 90er Jahren tatsächlich nicht so deutlich erfahrbar. Für diese Zeit kann ich bestätigen, was Heiner 2004 noch behauptet: dass man als SozialarbeiterIn im Wesentlichen frei und unbehelligt das tun konnte, was man fachlich für notwendig erachtete.
Die heutigen, sehr deutlichen Widersprüche zwischen System und Lebenswelt aber werden von Heiner offenbar ausgeblendet.  Für sie bedeutet die Erkenntis der Notwendigkeit einer „freiwilligen Selbstveränderung“ der Klientel gleichzeitig die Infragestellung des doppelten Mandates und der angeblichen Paradoxie von Hilfe und Kontrolle. Heute, so Heiner, verfolge die Soziale Arbeit einen dritten Weg „zwischen vollständiger Selbstaufgabe und Anpassung einerseits und der Durchsetzung eigener Interessen in frontaler Konfrontation zur Gesellschaft andererseits“ (s. 31). Aus meiner Sicht verwechselt Heiner hier die Begriffe Gesellschaft und System. Und sie unterstellt, dass Widersprüche dann keine mehr sind, wenn sie angenähert und aufgeweicht und in ihren direkten Auswirkungen abgeschwächt werden können, wenn man sich sozusagen entgegenkommen kann. Es ist schon richtig: Soziale Arbeit kann und will die grundlegenden gesellschaftlichen Strukturen nicht verändern, insofern ist sie ein Kind und ein „Agent“ der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie trägt durch ihre „Versöhnungsarbeit“ tatsächlich auch zur Befriedung bei. Die angestrebte  „Versöhnung“ von sozial benachteiligten der Menschen mit den sie benachteiligenden Folgen der gesellschaftlicher Verhältnisse, so wie sie die Soziale Arbeit durch Beratung, Hilfe zur Selbsthilfe, durch „Sekundäre Integration“usw. mit dem Betroffenen zusammen vollbringen kann,  bedeutet keine wirkliche Aufhebung dieser Widersprüche. Es handelt sich hier nur um Abmilderungen, Annäherungen, um die Suche nach Verträglichkeiten, um Kompromisse, um Konzepte des Arrangierens – im besten Fall ohne gebrochenes Rückgrad. Die konkreten behindernden oder benachteiligenden gesellschaftlichen Probleme und ihre Folgen aber bleiben bestehen, daran kann Soziale Arbeit bekanntlich nichts ändern.
Das aber bedeutet durchaus nicht, dass Soziale Arbeit nur Anpassung  vermitteln kann. Sie ist gleichzeitig eine gesellschaftliche Kraft, die zur „Emanzipation“, zum Empowerment ihrer Klientel beitragen kann und will. Indem sie  nämlich versucht, die Folgen der gesellschaftlichen Strukturen für ihre Klientel abzumildern, ihrer Klientel ein Überleben und Leben in Würde und Teilhabe in der kapitalistischen Gesellschaft zu ermöglichen, stellt sie ein Überlebenskonzept dar, ohne das diese scheitern würden. Und sie leistet damit für und mit diesen Menschen gleichzeitig Widerstand, indem sie die Menschen befähigt, sich zu den sie beeinträchtigenden Verhältnissen aktiv zu verhalten.
Aber es hängt dann jeweils von den konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen und Ideologien ab, ob und wieweit diese „Emanzipation“ der gesellschaftlich Benachteiligten gewünscht, zugelassen und akzeptiert wird.

Die Position von Maja Heiner zur Frage der Professionalität ist durchweg optimistisch. Eine Bedrohung der Professionalität aus der Ecke Politk, Ökonomie und Staat scheint sie nicht wirklich erst zu nehmen. Für sie ist die Professionalität zunehmend gesichert in dem Maße, wie die alten dichotomen Vorstellungen zwischen den Interessen der Menschen und denen des kapitalistischen Systems aufgegeben wurden und einer pragmnatischen, komplexen und fallspezifisch angemessenen Handhabung gewichen sind. Sie beschreibt eine Art Triumpfzug der Profession für die letzten 20, 30 Jahre. Maja Heiner hebt zum Beispiel hervor, dass die Leitungspositionen in der Sozialen Arbeit zunehmend nicht mehr berufsfremd von Juristen, Verwaltungsfachleuten oder Theologen besetzt werden. Stimmt, ich weiß noch genau, wie stolz auch wir 1980, 1990 darauf waren, dass unser Jugendamtsleiter ein echter Sozialarbeiter war!
Aber schon wenige Jahre danach drangen mit noch viel größerer Selbstverständlichkeit und Anmassung die Betriebswirte und Sozialmanager in die Leistungspositionen der Sozialen Arbeit ein. Hat Maja Heiner davon nichts gewußt, als sie das Buch schrieb? Im Jahre 2004 sollte man doch vielleicht schon mitbekommen haben, dass sich für die Soziale Arbeit  ganz neue,  tiefgreifende Interessengegensätze aufgetan hatten im Zusammenhang mit der Ökonomisierung und den ideologischen Formen, die die Sozialpolitik inzwischen prägen!
Doch,  Maja Heiner geht in ihren Ausführungen schließlich auch auf die Verharmlosung und unangemessene Harmonsierung der bestehenden – aber für sie nicht unversöhnlichen – Widersprüche zwischen System und Lebenswelt ein. Der heute zunehmend verwendete Begriff der Dienstleistung z.B. scheint ihr zurecht ungeeignet, weil er einen Kunden voraussetzt, der so in der Sozialen Arbeit nicht gegeben ist. Soziale Arbeit verliere auf diesem Weg ihre Aufgabe, für all die Menschen tätig zu sein, die nicht in der Lage sind, eine Dienstleistung bewußt und freiwillig für sich in Anspruch zu nehmen. Und die Zumutungen der Ökonomisierung erklärt sie sogar zu den aktuellen zentralen Herausforderungen an die Profession. Heiner beschreibt  die großen Gefahren der Ökonomisierung für die Soziale Arbeit und ihre professionelle Ausübung, die heute längst Realität geworden sind.

Aber trotz dieser Erkenntnisse bleibt Maja Heiner  ihren vorigen optimistischen Thesen und ihrem schon dargelegtes Verständnis auch im weiteren Verlauf des Textes treu. Sie glaubt an die positiven Versöhnungs- und Verständigungsmöglichkeiten Sozialer Arbeit und sie glaubt, dass damit alle Widersprüche aufzulösen und zumindest zu händeln sind.
Tatsächlich aber bewirken die Erfahrungen mit Ökonomisierung und aktivierendem Staat nahe, dass uns heute die von Maja Heiner als überholt und gestrig abgetane These von der Sozialen Arbeit als Agentin des Kapitalismus  mehr als deutlich einholt: Der Staat diktiert der Sozialen Arbeit neue Rahmenbedingungen, neue Ziele, er greift in die Methodenwahl ein, setzt die bisherigen ethischen Grundhaltungen frei  und zwingt durch seine ökonomische Steuerung zur Selektion der Klientel. Land auf Land ab haben wir eine Soziale Arbeit, die sich im Rahmen von Unternehmen vollzieht, deren Ziel vorrangig Effizienz und Wirtschaftlichkeit sind, die  möglichst preisgünstig, möglichst rationell und möglichst schnell Waren produzieren wollen und müssen.
Es stellt sich zunehmend die Frage, ob die herrschende (Sozial)Politik eine Soziale Arbeit überhaupt brauchen kann, die sich sozialer Gerechtigkeit und der Integration aller Menschen verpflichtet fühlt. Wenn dem aber nicht so ist – und vieles spricht dafür -,  hat die professionelle Soziale Arbeit zu ihrer Rettung nichts zu erwarten von der Seite des Systems.

Für Maja Heiner haben im Jahr 2004 Begriffe wie Parteilichkeit oder Politisierung weiterhin und offenbar trotz der Erfahrungen mit der Ökonomisierung keine Bedeutung. Sie geiselt  den Begriff der Parteilichkeit, weil sie ihn mit einem kritiklosen Sich-von-Klienten-in-den-Dienst-Nehmen-Lassen und einer naiven Idealisierung von Klienten  gleichsetzt. Sie distanziert sich vom politischen Mandat der Sozialen Arbeit, weil sie meint, dass Soziale Arbeit nicht Politik, sondern eben Soziale Arbeit zu leisten habe.
Die Tatsache aber, dass für die Soziale Arbeit die konkrete  Bestimmung der Inhalte, Ziele, Formen und Grundhaltungen durch die aktuelle Politik  von elemantarer und existentieller Bedeutung ist, da sie ja, wie Maja Heiner selber bestätigt, von der Politik direkt abhängig ist, wird von ihr nicht weiter verfolgt. Doch genau hier stellt sich die Frage des poltischen Mandates unserer Profession:
Die Geister scheiden sich an der Frage, ob  die Soziale Arbeit – als Erfüllungssgehilfin des Systems –  alles schlucken muss, was ihr auf der politischen Bühne vorgegeben wird oder aber, ob es  die Soziale Arbeit – trotz ihrer Abhängigkeit und Eingebundenheit – etwas angeht und etwas angehen darf, wie die Politik, wie das  Menschenbild dieser Politik, wie ihre politische Praxis im Umgang mit Menschen aussehen.

Ich bin nicht der Meinung, dass unserer Profession nur Resignation und Anpassung bleiben, weil sie ja in finanziellen, rechtlichen und institutionellen Abhängigkeiten gebunden ist. Ich gehe davon aus, dass sie sich gegen solche Erwartungen und Vorgaben wehren muss und zwar deutlich und ohne Konfliktscheu.
Mit ihrer Berufung auf (sozial)wissenschaftliche Wissensbestände, auf die sozialpädagogische Ethik, ihre Kompetenz, bei den Klienten durch Ressourcenorientierung, Ganzheitlichkeit und der respektvollen Beachtung ihres „Eigensinns“ (wirkliche) „freiwillige Selbstveränderung“ zu ermöglichen, durch die Autonomie ihrer fachlichen Entscheidungen im Umgang mit dem konkreten Fall in der konkreten, je einmaligen Situation, stellt sie eine Profession  dar, die  mit ihren fachlichen Mitteln sehr wohl  autonom und verantwortlich gesellschaftliche Aufgaben zu lösen im Stande ist. Ihre faktische gesellschaftliche Abhängigkeit sollte sie nicht daran hindern, die Bedingungen für die Ausübung ihrer Profession von der Gesellschaft zu fordern  und einzuklagen.

Das aber wird sich nicht allein mit dem umsetzen lassen, was die Fachliteratur als „störrisches Beharren auf fachlichen Positionen“ bezeichnet. Die Möglichkeiten, auf die Herausforderungen des neoliberalen, aktivierenden Staates mit bewußter Professionshaltung zu reagieren, sind begrenzt. Sicher kann durch fachliche Klarheit und fachliche Selbstsicherheit so einiges abgefedert und auch gemildert werden. Es muss auch darum gehen, die problematischen politischen Vorstellungen und  Positionen offenzulegen, ihre Folgen und ihre Absichten zu enttarnen und damit als Soziale Arbeit offen und offensiv in eine  politische Auseinandersetzung einzutreten.
Als von der Gesellschaft abhängige Profession ist sie zwar sehr wohl als Anpassungsinstrument zu missbrauchen. Als „geborene Kritikerin  des Kapitatlismus“  aber hat sie auch das Zeug zu einem politschen Mandat: Sie hat die Informationen über gesellschaftlich induzierte Notlagen und Einblicke in die Lebenslagen der Menschen, und sie kennt die Visionen und Hoffnungen der Klienten auf ein menschenwürdiges Leben. Darüber hinaus verfügt sie über die Fähikgeit, komplexe Zusammenhänge konkret und nachvollziehbar zu verdeutlichen.

Das doppelte Mandat, das Maja Heiner 2004 als überholte Vorstellung abtut, ist heute sehr wohl mit vielen auch unversöhnlichen Widersprüche belastet. Die jüngste Zeit bringt dafür täglich neue Beispiele hervor. Es ist aus meiner Sicht die Aufgabe der professionellen Sozialen Arbeit, sich in diesen Konflikten mit ihren Mitteln und im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf die Seite derer zu stellen, die tatsächlich die Schwächeren in diesem asymetrischen Verhältnis sind.  Auch darin vollzieht sich Professionalität. Und in diesem Sinn verstanden gehört Parteilichkeit zu ihren Grundmerkmalen.

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Entdeckung: HOCHWASSER-KINDERSCHUTZ – – es gibt mehr Widerstand, als wir denken!

Hallo Klaus  Wörsdörfer-Kaiser ,

jemand machte mich darauf  aufmerksam, dass in ihren Internetseiten „Hochwasser-Kinderschutz“ (Tipp: Klauswk@aol.com anschreiben, um in den Verteiler aufgenommen zu werden) die Rezension meines Schwarzbuches abgedruckt ist. Ich danke dafür und auch dafür, dass sie das Buch als „Pflichtlektüre“ gekennzeichnet haben :).

Ich muss gestehen, dass ich ihre wöchentlichen Texte, die ich schon lange bekomme,  bisher nur mehr oder weniger intensiv angesehen habe. Jetzt habe ich einmal genauer nachgelesen und bin sehr beeindruckt. Zum einem von der unglaublichen Fülle der Fakten, Themen und Stellungnahmen, die sie da jedesmal verarbeiten.  Vor allem aber, weil ich damit auf jemanden gestoßen bin, der die Praxis durch und durch kennt,  sie angesichts der derzeitigen Veränderungen und Zumutungen bewußt erträgt, aber eben nicht resigniert, ganz im Gegenteil. Super! Ich kann nur hoffen, dass immer mehr KollegInnen in der Praxis und an den Hochschulen in ihre Texte reinschauen!

Nach einer kleinen Stöberei im Internet habe ich das Video ihres Vortrags auf dem Studentenkongress in Köln  2008 gefunden.  Ich musste zunächst über die Parallele schmunzeln, dass sie, wie ich, der Ökonomie den Rücken zu wenden wollten (sie ihrer Bankerkarriere und ich einer Perspektive in einem Jugendamt, das  schleichend immer mehr von der Ökonomisierung besetzt wurde), um dann in den neuen Arbeitsbedingungen ein wenig später (sie im Jugendamt und ich an der Hochschule)  davon wieder eingeholt zu werden. Ansonsten finde ich ihren Vortrag so klar, authetisch und überzeugend, dass ich ihn nur weiterempfehlen kann. Es ist so dringend notwendig, dass Praktiker laut und deutlich sagen, was sie tagtäglich erleben und aushalten müssen und dass sie nicht bereit sind, das einfach hinzunehmen! Und es macht Mut.

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Kulturchipkarte oder Kulturschock?

   Kultur ist, wie der Mensch lebt…..

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12 Meter langes Wandbild in einem 13stöckigen Haus in einem sozialen Brennpunkt in Wiesbaden – hergestellt von 25 Kindern und einem Künstler in den Herbstferein 1990. Das Thema: „Wie wir leben möchten“ war vorgegeben, die Kinder konnten Entwürfe einreichen. Das Ergebnis ist eine Mischung als Traum und Wirklichkeit. Zum Kunstwerk entstand bei  Kindern und erwachsenen Hausbewohnern eine hohe Identifikation. Das Bild hängt bis heute unangetastet im Foyer des Hochhauses. 

Den armen Kindern soll nun geholfen werden, das BVG hat es ja befohlen und unsere Familienhelferin vom Dienst, Frau von der Leyen hat die Lösung bei der Hand:
Ganz im Sinne des aktivierenden Staates sollen diese Kinder und Jugendlichen  eine Chance bekommen , die sie dann nur noch ergreifen müssen: die Bildungschipkarte. Wer das nicht will, wer das nicht kann oder z.B. im Rahmen von familiärer Loyalität nicht darf, hat dann eben Pech gehabt.

Dass hier einmal wieder die „Erziehung der Armen“ betrieben werden soll, der Versuch, diese oder wenigstens ihre Kinder auf dem kürzesten Wege hinzuführen  zu den Kulturgütern, die in unserer Gesellschaft als die wichtigen, richtigen, wertvollen erachtet werden, um sie zu den Bildungsanstrengungen zu bewegen, die für die Leistungsträger dieser Gesellschaft obligatorisch sind, ist das eine. Seit PISA beginnen einige Verantwortliche in dieser Gesellschaft zu ahnen, dass sie es sich nicht leisten können, die gesamte Nachkommenschaft der „Unterschicht“  links oder rechts liegen zu lassen. Die Intelligenteren von ihnen stellen doch immerhin ein Humankaital da, das man nutzen müsste. Sie sollen jetzt eine Chance bekommen für den kulturellen und sozialen Aufstieg. Was aber ist mit denen, die diesen Zugang nicht finden? Was ist mit denen, die lieber mit der Clique an den Haltestellen herumstehen, anstatt Violine zu lernen? Pech gehabt. Sie hatten ihre Chance.

Die Kritik an dieser Idee ist  vielfältig und kritische Bemerkungen kommen von allen Seiten:

  • Z.B. sind Mittagessen und Nachhilfe  erst einmal lebensnotwendige Güter, die – wenn diese Gesellschaft es ernst meint mit der Förderung von Bildungschancen – nicht gegen Gutschein, sondern kostenlos zu liefern sind für diejenigen, die das Geld dafür nicht haben.
  • Richtig ist auch, dass solche pauschalen Lösungen unsinnig sind. Was Kinder brauchen, ist individuell festzustellen und nicht dadurch zu lösen, dass man allen ein wenig aber keinem genug gibt.  Wie gestern im Radio ein Reporter zu Recht bemerkte: Für 4,75 Euro im Monat kann niemand Nachhilfeunterricht bezahlen. Und wer keinen braucht, der braucht auch diese 4,75 Euro nicht dafür.
  • Sport und Kulturangebote müssten zudem, soll der Bildungsgutschein einen Sinn machen, auch überall vorhanden sein. Statt dessen wird seit Jahren gerade in der Jugendarbeit gespart, gekürzt, werden ganze Einrichtungen geschlossen. Ein ungedeckter Gutschein aber ist wertlos. Es wäre also erst einmal notwendig,  Angebote flächendeckend und hinreichend auszubauen, wieder einzurichten und außerdem personell entsprechend auszustatten.
  • Dass hier pauschal allen Hartz IV Familien unterstellt wird, dass sie das Geld, wenn es denn Bargeld wäre, verprassen, verrauchen, vertrinken würden und man deshalb die elterliche Verantwortung und Entscheidung für die Bildung ihrer Kinder per Staat an sich reißt, ist ein weiterer massiver und berechtigter Kritikpunkt.

Natürlich gibt es auch solche Eltern und ganz sicher wird es die Kinder geben, die ihren Gutschein verfallen lassen oder ihn an andere, kulturinteressierte Kinder der ärmeren Mittelschichten verhökern. Ebenso wird es bestimmt auch den Fall des Kindes aus armen Verhältnissen geben, das sich auf diese Weise seinen alten, von der eigenen Familie vielleicht nie verstandenen Traum erfüllen kann, Posaune oder Klavier zu lernen.

Selbstverständlich kann es nicht darum gehen, die Kultur- und Bildungsgüter unserer Gesellschaft denen vorzuenthalten, die dazu keinen eigenen, intrinsischen Zugang haben. So würde man die  längst bestehende Zweiklassen-Kultur zementieren.
Ihnen aber die Kultur- und Bildungsgüter unserer Gesellschaft   einfach aufzudrücken, wäre manipulativ und patriarchialisch, abgesehen davon, dass es nicht gelingen würde. Und es ist ebenso absurd, das Problem dadurch lösen zu wollen, dass man ihnen nun  den kostenlosen Zugang zu solchen Bildungs- und Kulturgütern ermöglicht, obwohl man doch genau weiß, dass für viele von ihnen z.B. der Besuch einer Musilkschule eher als Kulturschock erlebt, denn als Kulturchance begrüßt und wahrgenommen würde.

Der Plan von Frau von der Leyen investiert mal wieder nur in diejenigen, die mit der größten Wahrscheinlichkeit in der Lage sind, die Chance zu nutzen. Und er rührt keinen Finger für den Rest, der dieses Angebot nicht für sich nutzen kann und wird. Damit grenzt dieser Plan an Betrug und Selbstbetrug, so als würde man jemandem einen schlichten, geschliffenen Edelstein hinzuhalten, obwohl man genau weiß, er steht auf glitzernden, leuchtenden Glasperlen (zumal die Gesellschaft alles tut, um ihnen weiterhin Glas- und Plastikperlen anzudrehen) und dann, wenn er den Stein uninteressiert liegen lässt, zu sagen: selber schuld!
Der Vorschlag macht sich die Lösung des Problems viel zu leicht, er ist vor allem viel zu kurz gegriffen. Denn abgesehen von der dringenden Notwendigkeit einer Sozial-, Jugend- und Familienpolitik, die den (Wieder)auf- und Ausbau von kulturellen und außerschulischen Bildungsangeboten massiv betreibt, ginge es vor allem darum, Kultur und Bildung auch denen zugänglich zu machen, die dazu eine große Distanz haben und die sich nicht im Entferntesten damit identifizieren.
Das freilich ist nicht mit einem hingehaltenen Bildungsgutschein zu erledigen. Das hieße vor allem, ihnen eigene, authetische Erfahrungen zu ermöglichen, also Erfahrungen, die für sie anschließbar und in ihr Bewußtsein und Selbstbild integrierbar sind und die für sie einen erlebbaren Nutzen bringen. Erst so würden bei der großen Masse der „armen Kinder aus bildungsfernen Schichten“ die kulturellen und die Bildungsbedürfnisse entstehen, die die von der Leyen-Chipkarte  unsinnigerweise bei allen Kindern und Jugendlichen bereits voraussetzt.

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Der flächendeckende Ausbau von klassischen Musikschulen wäre deshalb z.B. nicht der geeignete Weg.
Es gab vor vielen Jahren, in den 80ern, in NRW zu dieser Frage das interessante Bildungsmodell „Jugendkunstschule“ (als sozial- und bildungspolitische Alternative zur klassischen Musikschule), bei dem Kinder aller Schichten, und insbesondere Kinder aus den Familien, die wir heute so schön „bildungsfern“ nennen, mit großem Erfolg angesprochen und gefördert wurden. Die Jugendkunstschulen arbeiteten sozialpädagogisch und setzten dabei die künstlerischen Formen und Medien ein, ohne sie aber zu reinen Aufhängern für ihre Pädagogik zu machen. Es ging sehr wohl um Kunst, um Theater, um Malen, um Musikmachen, um Filmen, um handwerkliche und ästhetische Gruppenprojekte. Und außer SozialpädagogInnen waren etwa zur Hälfte KünsterInnen als MitarbeiterInnen in diesen Modelleinrichtungen beschäftigt. Schließlich gab es durchaus auch die Möglichkeit, sich künstlerisch gezielt auszubilden und – ähnlich wie an klassischen Kunst- und Musikschulen – in der gewünschten Kunstform künstlerische und musikalische Leistungen zu erzielen. Das aber war nur eine Variante der Ziele und Angebote. Vor allem ging es um ästhetisches Lernen in Verbindung mit sozialem Lernen und mit der Chance, sich durch die künstlerischen Angebote und Aktivitäten mit dem eigenen Leben und mit der Gesellschaft und ihren Problemlagen auseinanderzusetzen. Kinder aus „bildungsfernen Milieus“ fühlten sich hier zu Hause und erwünscht und hatten hier ihre ersten und oft sehr nachhaltigen Erlebnisse im Umgang mit Kunst und Bildung. Die Eltern waren erst einmal nur froh, dass ihre Kinder sich mit etwas Sinnvollem beschäftigten. Den Wert der Jugendkunstschulen für ihren Nachwuchs haben auch sie erst nach und nach erkannt und dann z.B. mit Staunen verfolgt, wie  mutig und schier verwandet ihr Kind auf der Theaterbühne stand oder wie es mit Ernst und  ungewohnter Selbstsicherheit die riesige Gruppencollage präsentierte, bei der es mitgewirkt hatte.

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Der Modellversuch ging ins Land, es erschien darüber ein Buch, er wurde wohlwollend aufgenommen und dann aber mehr oder weniger gezielt vergessen: Eine Regel-Übernahme dieses Konzeptes wäre natürlich zu teuer geworden und die Lobby der klassischen Kunst- und Musikschulen wäre auf die Barrikaden gegangen. Und so bleibt die Jugendkunstschule – bis auf einige wenige Beispiele, die das alte Konzept auch heute noch umzusetzen versuchen und für sozial benachteiligte Kinder z.B. nur 50% der sonst geforderten Beiträge erwarten – eine Erinnerung, eine leider verpasste große Chance. Solche Angebote – natürlich kostenfrei für Kinder aus den benachteiligten Familien und überall erreichbar -, liebe Frau von der Leyen, die würden schon eher greifen und für die „Kinder der Armen“ im Sinne des BVG eine Verbesserung ihrer kulturellen Bildungslage und ihrer Bildungschancen bedeuten.
Sie aber erfordern nicht nur, dass die Regierung für ihre Kinder und besonders die Minderjährigen aus den Hartz-IV Familien endlich „mehr Geld in die Hand nimmt“, sie erfordern vor allem, dass die Kinder der „bildungsfernen Schichten“ in ihren Bildungs- und kulturellen Bedürfnissen politisch und sozialpolitisch wirklich ernst genommen würden und ihre Förderung auf eine Weise geschähe, die sie tatsächlich erreicht, ohne sie zu diskriminieren, zu beschämen und ohne ihnen ihre Identität zu nehmen.

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Gefährliche Lösungen in Sicht…

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Eine Gesellschaft aber, die meint, Menschen wie Abfallprodukte wegwerfen zu können, darf sich schließlich nicht wundern, wenn am Ende rechte Ideologien bei denen greifen, die auf diesem Abfallhaufen landen.

Als ich den oben beschriebenen jungen Männern an der Kasse gegenüberstand, ging mir durch den Kopf: ‚Die warten förmlich nur darauf, dass einer kommt und ihnen sagt, wo es lang geht, der ihrem Leben wieder oder erstmals einen Sinn, der ihnen eine Perspektive gibt und der ihnen sagt, dass sie mehr wert sind als die, gegen die es gilt loszuschlagen und zu Felde zu ziehen.

Und machen wir uns nichts vor, nicht nur von der Seite der derzeit hoffnungslosen Jugend droht unserer Gesellschaft ein Rechtsruck, sondern auch und erst recht von denen, die heute gut damit zurecht kommen, andere auszugrenzen.
Denn das macht eine rechte Gesellschaft aus, die Ausgrenzung und die Abwertung anderer Menschen.
Eine rechte Gesellschaft nähme die „mißratene prollige Jugend“ und auch viele Subjekte am Rande der Gesellschaft in ihre Volksgemeinschaft wieder auf – denn sie vereint bekanntlich das ganze Volk gegen Feinde und Bedrohungen, die „außen kommen“. Der Antiislamismus wird derzeit ja schon geprobt und lässt sich mindestens so gut für rechte Propaganda nutzen wie ehedem der Antisemitismus.

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Wie man Gesellschaften spaltet…

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„Meine Güte, sind die prollig!“, stöhnt meine Tochter. Und wahrhaftig, die gemeinten jungen Leute, die am Freitag Nachmittag mit 4 Kästen Bier im Einkaufswagen und mit schon leicht alkoholisiertem Blick und deutlicher Fahne an der Kasse stehen und sich auf ein Wochenende im Vollrausch freuen, machen auch auf mich einen ziemlich miesen Eindruck. Sie sind überall tätowiert, glatzköpfig,  sprechen eine grobe, plakative Sprache und unterhalten sich mit lauten, grölenden Stimmen. Sie sind auch mir weder sympatisch, noch finde ich sie vertrauenserweckend. Sie sind vielleicht etwas für Sozialarbeiter (und hier und heute bin ich sozusagen nicht im Dienst) , und als Privatperson bin auch ich, wie die meisten,  geneigt, mich mit Schaudern abzuwenden und bin froh, dass die eigenen Kids anders sind, sich anders verhalten und damit eine gewisse Chance haben. So viele Menschen denken beim Anblick solcher Jugendlicher und ähnlicher gesellschaftlicher Erscheinungen: „Schrecklich“ Gut dass wir anders sind!“
Die herrschende Ideologie und die bestehenden Verhältnisse können vor allem eines: die Gesellschaft gründlich, mitleidslos und kompromisslos spalten.
Das ist aber nicht dadurch zu lösen, dass ich solche junge Leute doch irgendwie toll finde und auch nicht daruch, dass ich  sie bemitleide. Vermutlich ist es auch nicht mit sozialpädagogischen Strategien getan, für sie Wege zu finden, die ihnen mühsam den letzten Rest ihrer Menschenwürde erhalten und die Existenz sichern, aber das ist immerhin mehr, als sie einfach nur auszugrenzen und stehen zu lassen – und die Gesellschaft vor ihnen zu schützen.
Zu lösen wäre das nur durch eine andere gesellschaftliche Ideologie und vor allem durch eine veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit, die Menschen nicht an der potentiellen Effektivität ihres Humankapitals misst und bewertet und entsprechend „behandelt“, sondern sich verpflichtet fühlt, jeden Menschen zu fördern, zu schützen und als wichtiges gesellschaftliches Mitglied einzubinden und zu schätzen. Das heißt natürlich auch, die Ressourcen gerechter zu verteilen. Das heißt außerdem – und im konträren Gegensatz zur derzeitigen Praxis auch zunehmend in der Sozialen Arbeit – in diejeneigen, die weniger Ressourcen abbekommen, erst Recht „zu investieren“.
Das geht natürlich nur, wenn Menschen nicht als ökonomische Faktoren gesehen werden, die der Wirtschaft und ihrer Gewinnmaximierung untergeordnet werden, sondern wenn man politisch bereit ist, die Ökonomie in den Dienst aller Menschen zu stellen.

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Wer sich anstrengt, bekommt das hin ??

Studiengebühren, teures Kamera-Equipment, unsichere Berufsperspektive …. mein Stiefsohn studiert Fotografie. Und er schafft es, schon während des Studiums von seiner Fotografiererei einigermaßen gut zu leben, sehr flexibel, sehr unsicher, aber im Endeffekt gar nicht so schlecht. Er findet das alles  so auch ganz o.k. und kommt damit zurecht. Wenn auch das Studium aus seiner Sicht immer mehr zu einem Elitestudium geworden ist, das sich nur Kinder von Eltern erlauben können, die entsprechende auch finanzielle Unterstützung erwarten können. Nur einige wenige sind da, die haben es schwer, müssen ihren ganzen Lebensunterhalt während des Studiums erarbeiten… Aber letztendlich: „Wer sich anstrengt und ein bisschen flexibel und phantasievoll ist, der bekommt das hin“.

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Natürlich, viele, vor allem junge Leute, können mit diesen Anforderungen und Erwartungen leben und zurecht kommen. Wenn die notwendigen Ressourcen da sind und gemehrt werden können , ist schon ein Auskommen mit den Erwartungen unserer Gesellschaft.

Wehe denen, die das nicht können, ja die nicht einmal die Voraussetzungen haben, es versuchen zu können…..

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Erfahrungen mit der Rezeption meines Schwarzbuches

Da hat man nun so ein Kind in die Welt gesetzt und man ist gespannt, wie es sich durchschlagen wird…

Ich bin nicht eine von denen, die alle Tage solche Bücher schreiben (können), zumal in dieses Buch die Erfahrungen einer langen Praxis- und Lehrezeit in der Sozialen Arbeit eingegangen sind und vor allem auch ein langer, mühsamer Prozess der Erkenntnis, was eigentlich zur Zeit da draußen wirklich passiert.
Es ging mir nicht um einen neuen wissenschaftlichen Beitrag zur Problematik.  Da gibt es viele und begnadetere AutorInnen. Ich wollte ein Buch schreiben, mit dem vor allem die Betroffenen, die PraktikerInnen etwas anfangen, wo sie sich und ihre Situation wiederfinden können, ein Buch, das sie aufklärt aber auch stark werden lässt und das ihnen sowohl die Notwendigkeit zur Gegenwehr verdeutlicht als auch Mut dazu macht.
Die Rezension, die Maren Schreier jetzt im socialnet veröffentlicht hat, erfüllt alle meine Hoffnungen und Erwartungen. Bei ihr ist jede Botschaft genau so angekommen,w ie sie von mir gemeint und intendiert war.

Bis hierhin habe ich – ich gestehe es ein – den mühsamen Weg meines Schwarzbuches  hinein ins Buchleben genau und fast akribisch verfolgt, habe den Amazon-Verkaufsrang aufgerufen, habe genau registiert, wer etwas dazu gesagt hat, welche KollegIn sich lobend, interessiert oder abwertend geäußert hat, habe mich über Zustimmungen und Lob von Studierenden und PraktikerInnen gefreut, habe die kleinen Rezensionen, die hier und da erschienen sind, mit Stolz und Erleichterung gelesen, habe mit Befriedigung registriert, dass sich insbesondere die Gruppen und KollegInnen angesprochen fühlen, die selber an der gegenwärtigen Situation in der Sozialen Arbeit leiden und etwas tun, sich zur Wehr setzen  möchten. Andererseits habe ich mich über so manches Schweigen gewundert.
WissenschaftlerInnen verhalten sich bis heute zurückhaltend, so als wüssten sie nicht genau, wo und wie sie mein Buch einordnen sollen.  Vielleicht ist es für sie irgendwie verdächtig, wenn Inhalte verständlich und anschaulich dargestellt werden.
Auch meine alten KollegInnen aus der Jugendhilfe schweigen sich  aus. Möglicherweise ist es ihnen unangenehm, dass sie als mein Erfahrungs- und Lernhintergrund zitiert werden. Vielleicht erscheinen ihnen aber meine Analyse und meine kritische Sicht auch als Schwarzmalerei, die in schweren Zeiten eher zu einer Bremse als zum Motor des Fortschritts werden könnte. Ich weiß, wer mitten in der Praxis sitzt und sich redlich bemüht, gegen die Widrigkeiten der Wirklichkeit zu kämpfen, gesteht sich nicht gerne ein, dass die Windmühlen sich immer weiter drehen und sich einen Dreck darum scheren, dass man sie im Visier hat.
Einzig eine meiner früheren KollegInnen hat mein Schwarzbuch auf 5 Seiten kommentiert und  als Vorlage für eine persönliche Rückbesinnung auf ihr eigenes Berufsleben im Jugendamt genutzt – und ist dabei zu interessanten Ergebnissen gekommen.

Ich wünsche meinem Schwarzbuch weiterhin viel Erfolg und überlasse es nach der Rezension von Maren Schreier mit aller Gelassenheit und Zuversicht darauf, dass es dazu beitragen wird, die allgemeine Angepasstheit unserer Profession  infrage zustellen, weiterhin den Lesern und allen, die es nutzen wollen.

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