Bundeskongress Soziale Arbeit II

 SYMPOSIUM I am 1. Abend (24.9.09)       

Es ging um das Thema: Politik der Profession als Stärkung des Sozialen – Herausforderung und Verantwortung der Sozialen Arbeit als gesellschaftliche Aufgabe.

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Hans Uwe Otto hatte auf dem Plenum Vertreter der gewerkschaftlichen und berufsständigen Organisationen versammelt, die eine für ihn erkennbare Vertretungsposition der Profession Soziale Arbeit einnehmen: die beiden Gewerkschaften ver.di und GEW sowie den Berufsverband DBSH. Michael Leinenbach vertrat den DBSH, Norbert Hocke die GEW und Harald Giesecke die Gewerkschaft ver.di.
Hans Uwe Otto formulierte seine Erwartungen: Es ginge darum, dass hier echte Vertretungspositionen eingenommen würden und der Sozialen Arbeit als Sprachrohr dienten. Ziel sei es, dass Soziale Arbeit selber mitdefiniere und nicht weiter von außen definiert würde. Ferner sei es notwendig, dass sich Soziale Arbeit und ihre Vertreter in die aktuellen Debatten um sozialpolitische Fragen aus professionspolitischen Gründen einmische und am besten dabei  die Führungsrolle übernähme. Die Wohlfahrtsverbände könnten  dies nicht leisten, sind sie doch in diesem Prozess auf der Arbeitgeberseite und vertreten ihre eigenen Interessen.

Der derzeitige Zustand der Sozialen Arbeit wurde einvernehmlich kritisch gesehen. ZB. stellte man fest, dass aus einem Vollzeitberuf zunehmend ein Teilzeitberuf gemacht wird. Die derzeitige Zunahme von Stellen in der Sozialen Arbeit kommen zudem fast ausschließlich dem Kindertagesstättenbereich zugute (+3%). In der Jugendhilfe insgesamt gibt es ein „Wachstum“ von -2,1%, davon in der Jugendarbeit -28% und in der ambulanten Erziehungshilfe -12,5%. Kritisiert wurde, dass sich die Finanzierung z.B. auch in den Kindertagesstätten heute nicht mehr an den pädagogischen Notwendigkeiten, sondern bloß an der reinen Anwesenheit der Kinder aus. Das bedeutet, dass die Professionspolitik gegenwärtig unter einem reinen Finanzdiktat steht und nicht den Lebenslagen und Lebensbedürfnissen der Betroffenen entspricht. Es geht auch nach Meinung der gewerkschaftlichen und berufständigen Vertreter  darum, dass die Soziale Arbeit die Definitionsmacht über ihre eigene Arbeit zurückgewinnt.
Die von allen geforderte politische Einmischung der Sozialen Arbeit und ihrer Vertreter bezog sich  vor allem auf die Schaffung von Arbeitsbedingungen, die „eine gehaltvolle Arbeit möglich machen“. Der vielleicht von Hans-Uwe Otto oder auch von TeilnehmerInenn des Symposiums erhoffte politische Aufschrei erklang  moderat.

Der geringe Organisiertheitsgrad im Bereich der Sozialen Arbeit wurde allgemein bedauert. Der Vertreter der GEW stellte fest, dass es bisher nicht gelungen sei,  für diese und mit dieser Gruppe ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln . Die Existenz unterschiedlicher Träger (freier und öffentlicher) und Arbeitsfelder führe zu einem zunehmenden Splitting in der Branche. Hinzu komme, dass der kirchliche Bereich z.B. bei Tarifabschlüssen immer eigene Wege geht. Zudem gibt es eine Fülle verschiedener Verbände, Gruppierungen und Arbeitsgemeinschaften, die jeder für sich Aussagen zur Profession treffen (z.B. dv, AGJ).
Ideen, wie der Grad der Organisiertheit der Sozial Arbeitenden erhöht werden könnte, gab es kaum. Es entstand der Eindruck, dass in den Verbänden die Vorstellung vorherrscht, die interessierten Sozial Arbeitenden könnten und müssten  von selber an ihre möglichen Vertretungsorganisationen herantreten.  Man verwies auf Broschüren, Plattformen, Satzungen und Informationsmaterial. Der Vorschlag, sich in den Hochschulen vorzustellen, wurde wenig begrüßt, da man ja mit der Ausbildung selber nichts zu tun hätte.

 mein Kommentar:

Was die professionellen Sozial Arbeitenden heute brauchen würden, wäre ein gesellschaftlicher Ort und eine konkrete Gemeinschaft, in der sie ihre berufspolitischen und sozialpolitischen  Themen und Anliegen – unabhängig von Trägern, Arbeitgeber, Arbeitsfeldern und Zielgruppen – besprechen, diskutieren, hinterfragen dürfen,  wo sie die Gemeinsamkeiten ihrer Lage erkennen und Solidarität entwickeln können, wo politische Strategien erarbeitet werden und Ideen für Aktionen entstehen und wo sowohl politisches Bewusstsein als auch berufspolitisches Selbstbewusstsein wachsen kann.

Dieser gesellschaftliche Ort könnte jede der drei auf diesem Symposium vertretenen  Organisationen sein.  Es geht aber nicht darum, dass Funktionäre sich für die da unten ihre Köpfe zerbrechen und die  sich dann irgendwelche Dienstleistungen abholen. Eine neue Bewegung kann nur von unten, von der Basis ausgehen. In jeder Stadt könnte es solche Gruppen (von GEW, ver.di oder DBSH) geben, wo sich engagierte, kritische Sozial Arbeitende regelmäßig treffen und austauschen und wohin sich auch jeder wenden kann, wenn er mit Problemen im Zusammenhang  seiner Arbeit  konfrontiert ist, gegen die er oder sie als Einzelne nichts ausrichten können.
Und genau solche Gruppen könnten sehr wohl auch schon StudentInnen der älteren Semester aufnehmen. Denn die suchen  ganz dringend einen Identitätsort für ihre Professionalität , der sie beim Übergang in die Berufspraxis vor dem Schicksal bewahren kann,  alleine da zu stehen, sich zwangsläufig anpassen zu müssen und alles zu vergessen, was sie über die gegenwärtige Lage der Sozialen Arbeit begriffen haben.
Was von den VertreterInnen der Gewerkschaften und des Berufsverbandes dann aber erwartet würde, ist: Unterstützung dieser Gruppen in räumlicher, materieller Hinsicht, Einbindung in die Beziehungen und Weiterbildungsmöglichkeiten der Organisation, Unterstützung der Aktionen  und der entwickelten Forderungen und politische und rechtliche Rückendeckung!

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Bundeskongress Soziale Arbeit I

In Dortmund auf dem Campus der Universität hat vergangene Woche der 7. Bundeskongress Soziale Arbeit getagt. Dortmund hat man davon vermutlich nicht viel mitbekommen, denn genau an diesen Tagen war das Spiel Schalke 04 gegen Borrussia Dortmund das eigentliche Thema….

Für unsere Profession aber war diese Tagung wichtig und hat viele Anregungen gebracht, aber auch Einschätzungen ermöglicht über den gegenwärtigen Stand von Wissenschaft und Praxis im Feld Sozialer Arbeit.

Der Kongress tagte 3 Tage lang und umfasste eine Fülle Symposien, Foren, Vorträge und Arbeitsgruppen. Natürlich konnte ich mir wie jeder immer nur eine Veranstaltung gleichzeitig ansehen und habe mir so eine Interessen spezifische Schneise durch diese große und interessante Vielfalt an Angeboten geschlagen. Es waren weit über tausend TeilnehmerInnen da, viele junge Leute übrigens und das auch auf den Podien, nicht nur in den Zuhörerräumen. Von den Alten der Zunft waren viele anwesend, deren Namen man sonst nur auf den Buchumschlägen liest und mit deren Texten man sich in Seminaren herumschlägt. Manches Gesicht allerdings fehlte mir und ich habe mich gefragt, ob dieser Bundeskongress nicht von allen als abgemessenes Forum gesehen wird. Gerade diejenigen, die mit den heutigen Entwicklungen eher verharmlosend oder auch achselzuckend umgehen, waren nicht so reichlich vertreten.

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Ich möchte hier in meinem Blog in den folgenden Tagen ein paar Gedanken und Beobachtungen festhalten, die ich auf dem Kongress gemacht und mit nach Hause genommen habe.

Für heute lasse ich erst mal die Veranstalter zu Worte kommen:

„Gerechtigkeit, Verantwortung und Sicherheit gehören zu den zentralen ethischen Säulen demokratischer und sozialer Rechtsstaaten und sie bilden die Grundlage für Institutionen der Sozialen Arbeit ebenso wie für das sozial- und bildungspolitische Handeln.

Angesichts gesellschaftlicher Veränderungen, die Tendenzen zunehmender Spaltung und sozialen Ausschlusses offenbaren, ist die Soziale Arbeit aufgefordert, ihren Beitrag zu Programmen, Strategien und Maßnahmen der Bewältigung sozialer Risiken und Unsicherheiten zu benennen und weiterzuentwickeln. Die Interpretation der Leitbilder und Prinzipien der Sozialstaatlichkeit gehören dabei ebenso auf den Prüfstand wie die zur Verfügung stehenden Ressourcen zur Sicherung der individuellen Lebensführung.

Die Soziale Arbeit übernimmt Verantwortung sowohl für die aktive Gestaltung der Lebenslagen und lebensweltlichen Verhältnisse von Kindern, Jugendlichen, Familien, Erwachsenen und älteren Menschen als auch für die Beteiligung an dem Auf- und Umbau eines solidarischen Gemeinwesens, das die Menschenwürde achtet und die Selbstbestimmung des Einzelnen stärkt.

Damit begibt sie sich auf unsicheres Terrain. Die Zerreißproben individueller Lebensführung korrespondieren mit der Erosion bislang anerkannter gesellschaftlicher Normalitätserwartungen und zentraler sozialstaatlicher Leitideen, sie irritieren die Profession und provozieren eine konzeptionelle, theoretische und empirisch fundierte Weiterentwicklung der Konzeptionen Sozialer Arbeit. Das Ringen um die künftigen Ausprägungen von Gerechtigkeit (Verteilungs-, Leistungs-, Chancengerechtigkeit) und Sicherheit (soziale Sicherung, Handlungs- und Verfahrenssicherheit, soziale Kontrolle) wird zum Ausweis moderner Fachlichkeit. Herausgefordert wird die professionelle Identität aber auch durch Zumutungen und Erwartungen, die aus der Kooperation und Konkurrenz mit anderen Formen und Institutionen der Problembearbeitung (z. B. der Polizei/Justiz, des klassischen Bildungssystems oder der Medizin oder Psychologie) entstehen. Soziale Arbeit muss sich nicht nur angesichts gesellschaftlicher und kultureller Herausforderungen, sondern auch im Hinblick auf institutionelle Verstrickungen mit anderen Professionen und Handlungsorientierungen positionieren.

Der 7. Bundeskongress Soziale Arbeit diskutiert im Rahmen seiner Symposien, Foren und in den zahlreichen Arbeitsgruppen die aktuellen wissenschaftlichen und professionellen Erkenntnisse zu den gesellschaftlichen Entwicklungen und ihren berufspraktischen Konsequenzen. Im Zentrum stehen dabei soziale (Aus-)Schließungsprozesse und die öffentlichen, professionellen und privaten Reaktionsformen auf die so entstehenden Unsicherheiten. Die mit dem Bundeskongress entwickelte Expertise für die Soziale Arbeit eröffnet die Möglichkeiten einer kritischen Reflexion und Neujustierung in Verantwortung für das Soziale.

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zum herunterladen: Buch Praxisfeld Hilfe zur Erziehung

Da ich in der letzten Zeit immer wieder gefragt werde, wie man noch an mein Buch von 2001 kommen kann (Praxisfeld Hilfe zur Erziehung.  Fachlichkeit zwischen Lebensweltorientierung und Kindeswohl) habe ich mich entschlossen, es einfach der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es lässt sich über die unten angehängten Links Kapitel weise herunterladen.

Das Buch von 2001 hat mit meinem im Winter erscheinenden Schwarzbuch Soziale Arbeit 2010 nichts zu tun außer vielleicht, dass es geschrieben wurde in einer Zeit, wo ich noch glaubte, man könne den Zumutungen der Ökonomisierung und des aktivierenden Staates  einfach stur und störrisch die eigene Fachlichkeit entgegen halten.
Alles, was ich damals zur Hilfe zur Erziehung gesagt habe, würde ich heute genauso oder ganz ähnlich schreiben.
Eine Fachlichkeit, die konsequent nur auf inhaltliche und fachliche Aspekte schaut und sich von den Einschränkungen und Umsteuerungen der Ökonomisierung nicht irritieren lässt,  lässt sich nur dann durchsetzen, wenn sie die Auseinandersetzung offensiv aufnimmt und die Interessendifferenzen  zwischen der Profession Soziale Arbeit  und dem offiziellen Sozialmanagement nicht unter den Teppich kehrt. Aber das ist auch für mich erst in den letzten 5,6 Jahren wirklich klar geworden. Darum geht es im Schwarzbuch. Gerade die Hilfe zur Erziehung wird dort besonders intensiv behandelt.

Wer meint, dass es angebracht sei, etwas für die Onlineversion des Fachbuches zu bezahlen, kann mir eine beliebige Summe als Spende auf mein Konto 1373536 Sparkasse Jena 83053030 überweisen. Ich wäre nicht böse drum und könnte das zur Deckung der Summe nutzen, die ich für das Schwarzbuch ausgebe, damit das einen erschwinglichen Preis behalten wird (um die 20 Euro).

hilfe-zur-erziehung_inhalt_vorwort_einleitung.doc

hilfe-zur-erziehung_kapitel-1.doc

hilfe-zur-erziehung_kapitel-2.doc

hilfe-zur-erziehung_kapitel-3.doc

hilfe-zur-erziehung_kapitel-4.doc

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hilfe-zur-erziehung_kapitel-8.doc

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Schwarzbuch fertig

Die Windstille in meinem Blog war der letzten, anstrengenden Phase bei der Fertigstellung meines „Schwarzbuches Soziale Arbeit 2010″ geschuldet.

Nun ist es beim Verlag und ich starte in meinen Urlaub.

Das Buch wird Weihnachten oder spätestens im Januar im VS Verlag erscheinen. Das Buch ist – leider ?!? – ziemlich umfangreich geworden.  Um den Titel auch für Studierende erschwinglich zu machen, werde ich eine entsprechende Summe selber zusteuern.

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Bewältigungsstrategie 8: die ModernisierungsgewinnlerInnen

manager_apuwelein20081017202535.jpg       Das ist die lukrativste Bewältigungsstrategie :

„Für die neuen Eliten in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik, die Manager, Planer, Geschäftsführer, New-Public-Artisten und neuen Steuerungs-Fetischisten, die gegenwärtig Erfolgreichen, die sich dem beruflichen Nachwuchs als Leitbilder präsentieren, scheint der Zug unwiderruflich in die ‚marktförmige Entwicklung’ der Sozialen Arbeit abgefahren zu sein (Kappeler 1999, S. 345).“

Für diese Gruppe stellt sich, wie White (2003, S. 433) es mit Blick auf die angelsächsische Szene formuliert, das Problem so: „Die weitere Existenz der Sozialen Arbeit hängt davon ab, ob es ihr gelingen wird, sich in Zukunft in neuer Form und so darzustellen, dass sie ihre Bedeutung für die Erreichung der Ziele nachweist, die der neue Managerialismus vorgibt“.

Müssen wir alle da mitmachen? Ich denke nein.


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Bewältigungsstrategie 7: der Zweckoptimismus der Realos

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Auch sie versuchen, „trotzdem irgendwie das Beste daraus zu machen“. Es gibt sie sowohl unter PraktikerInnen wie unter WissenschaftlerInnen. Trotz einer zumindest partiell kritischen Haltung den neuen Entwicklungen gegenüber, werden diese aber als unausweichlich angesehen und als einzig reale Zukunftsperspektive der Sozialen Arbeit hingenommen und als unausweichliche alltägliche Realität erlebt.
Und nun wird versucht, auch unter den neuen Bedingungen Soziale Arbeit trotzdem so gut wie eben möglich zu gestalten. Gesucht wird nach den Vorteilen, die die Ökonomisierung „ja schließlich mit sich auch bringt“…..

So wird besonders oft im Qualitätsmanagement etwas gesehen, was auch der eigenen Arbeit dienen kann und zur Qualifizierung der Sozialen Arbeit beiträgt. Es wird viel Zeit in dieses Qualitätsmanagement gesteckt. Und ab und an – wenn  dieses Qualitätsmanagement sich nicht darauf beschränkt, formale Abläufe zu beschleunigen und Synergieeffekte im Verwaltungsablauf ausfindig zu machen –  gewinnt man auch Erkenntnisse darüber, wie die eigene Arbeit verbessert werden könnte. Aber spätestens, wenn klar wird: ‚Kosten darf die bessere Qualität nicht verursachen!‘ sollte eigentlich klar sein, dass auch dieser vermeintlich positive Effekt der Ökonomisierung für die Katz ist, solange sie die Rahmenbedingungen der gesetzten knappen Kassen nicht infrage stellen darf.

Hier ein Beispiel aus meinem Schwarzbuch:


Im Rahmen eines Qualitätsentwicklungsverfahrens stellen die MitarbeiterInnen eines Jugend- und Sozialwerkes bei einer BewohnerInnenbefragung  fest, „dass viele Kinder und Jugendliche die geringe Zeit, die ihnen allein mit dem Betreuer zur Verfügung steht“, bemängeln. Hier hat das interne Qualitätsmanagement tatsächlich den Finger auf eine offene Wunde gelegt: Es fehlt an Zeit in der Einrichtung, um wirklich intensiv und individuell mit den einzelnen Jugendlichen zu arbeiten.
Das Ergebnis aber wird nun von den MitarbeiterInnen folgendermaßen kommentiert: Dies sei „ein Phänomen, das sich mit dem herrschenden Kostendruck nur schwer beheben lässt. Uns wird in allen Wohngruppen nur ein Schlüssel von 1:2,5 zugestanden. Dennoch wollen wir gezielt solche Situationen fördern, erleben wir doch gerade diese Momente als förderlich und angenehm für beide Seiten“ (Träder, 2000, in Merchel 2000, S. 93).

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Wozu aber stellt man  denn solche Überlegungen an, wenn nicht mit dem Ziel, die erkannten Schwächen zu korrigieren und als notwendig erkannte Veränderungen einzuführen? Hier wird Qualitätsmanagement betrieben und man stellt am Ende resigniert fest: ‚Was nötig wäre, wird aber nicht bezahlt. Also strengen wir uns eben noch mehr an, damit es auch so irgend wie besser wird!‘
Mitunter hat man bei dieser Gruppe von KollegInnen den Eindruck, dass sie noch etwas anderes umtreibt:
Sie sehen mit Beunruhigung, dass der Zug der modernen, zukunftsträchtigen Sozialen Arbeit gerade abzufahren scheint und möchten natürlich unbedingt mit – trotz aller Kritik und trotz aller Bedenken, die man der guten alten Sozialen Arbeit schuldig ist.  Und so lobt man die vermeintlichen oder wirklichen positiven Aspekte von Ökonomisierung und aktivierendem Staat in den Himmel und versucht alles, sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken.  Nicht anders kann ich z. B. den Artikel von Thomas Olk verstehen, der in seinem Beitrag „Transformationen im deutschen Sozialstaatsmodell“ (in: Kessl/Otto: Soziale Arbeit ohne Wohlfahrtsstaat, 2009) klarsichtig die neuen sozialpolitischen Leitlinien  des aktivierenden Staates nachvollzieht und die Kritik seiner Gegner als nicht von der Hand zu weisen würdigt, dann aber – anstatt all das für die Soziale Arbeit und ihre Klientel zu Ende zu denken – , sich an der Perspektive hochzieht, dass der neue aktivierende Staat die Kinder zu einer wichtigen sozialpolitischen Zielgruppe erklärt und der Sozialen Arbeit „im Koordinatensystem zwischen Sozialpolitik, Bildungspolitik und Familienpolitik eine neue Rolle und Position“ zuweist. (vgl. S. 27). Er möchte lieber mit einer Kritik an den neuen Entwicklungen „das Kind nicht mit dem Bade ausschütten“ und lieber, wie er sagt: „zwischen Fehlern und Leerstellen neuer Praktiken und Konzepte und den dahinter liegenden Fragen und Suchprozessen unterscheiden“ (S. 32).

Diese neue, angeblich wichtige Rolle der Sozialen Arbeit scheint eine Perspektive zu sein, der ein Realo nicht  Stand halten kann.

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Bewältigungsmechanismus 6: die ModernisiererInnen

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 Der aktivierende Staat benutzt die gleichen Begriffe wie die lebensweltorientierte Soziale Arbeit: Aktivierung, Hilfe zur Selbsthilfe, Eigenverantwortung, Empowerment, Koproduktion, Aushandlung….  Das hat fatale Folgen:

Es gibt viele SozialarbeiterInnen, die zu Recht kritisieren, dass in der bisherigen Praxis der Sozialen Arbeit die lebensweltorientierte Konzeption bislang noch nicht durchgängig Raum gegriffen hat. Die sehen nun in den Angeboten und Absichten des aktivierenden Staates die Chance, endlich konsequent die Soziale Arbeit machen zu können, die sie machen wollen.
Sie übersehen, dass die sozialpädagogischen Begriffe vom aktivierenden Staat in einer anderen Bedeutung und mit anderen Zielen benutzt werden. So kommt es, dass nicht selten begeisterte Verfechter der neoliberalen Modernisierungen  vorgeben und es vielleicht auch wirklich meinen, gleichzeitig konsequente Vertreter einer lebensweltorientierten Sozialen Arbeit zu sein.

Ein Beispiel aus meinem Schwarzbuch:

Poguntke-Rauer et al. bemühen sich in ihrem Beitrag: „Hilfeplanprozess und Assessment im Allgemeinen Sozialdienst durch EDV-Unterstützung“ (2007) darum, das Case Management als Methode auf den Hilfeplanprozess im Jugendamt zu übertragen, wobei sie durchaus die sozialpädagogischen Prinzipien von Sozialökonomie und Partizipation als wichtige Aspekte dieses Prozesses nennen und zu berücksichtigen suchen. Ihr Ziel ist es, durch den EDV-Einsatz „einer Beliebigkeit zur sozialpädagogischen Erkenntnisgewinnung und der daraus folgenden Hilfeentscheidung“ (S. 84) bei der Hilfegewährung entgegenzuwirken.
Die Kritik dieses Versuches will nicht das systematische Herangehen an den Hilfeplanungsprozess infrage stellen. Auch muss fairer weise angemerkt werden, dass bei dem Konzept der Autoren keine sanktionierenden Elemente im Rahmen der Hilfeplanung vorgesehen sind und sich dieser dokumentierte Case Management-Prozess insofern sehr wohl vom Fallmanagement unterscheidet. Aber dennoch: Die Autoren verwenden eine große Mühe darauf, die sozialpädagogische Arbeit der Hilfeplanung systematisch, rational, standardisierbar und technisch erfassbar zu gestalten. Die eigentliche Funktion der Hilfeplanung nach § 36 KJHG aber, die Beteiligung der Klientel an der Hilfeplanung im Sinne der Gewährleistung eines Koproduktionsprozesses – wie ihn z.B. Merchel schon 1997 gefordert und entsprechende methodische Bemühungen als unverzichtbar erklärt hat
  – wird zwar konzeptionell erwähnt, ihrer methodischen Umsetzung oder auch deren Dokumentation jedoch wird kein Gedanke geschenkt.
Automatisch aber, ist Betroffenenbeteiligung in einer rational durchstrukturierten Hilfeplanung nicht enthalten. Und es ist sehr gut vorstellbar, dass die Schwerpunktsetzung auf die technische Seite der Prozessgestaltung die praktizierenden MitarbeiterInnen des Allgemeinen Sozialdienstes nicht gerade dazu anregen wird, daneben noch viel Kraft und Zeit in ein motivierendes, partizipatives Umgehen mit der Klientel zu investieren. Die eigentlichen sozialpädagogischen Prozesse der Hilfeplanung bleiben bei dem Bemühen der Autoren unterbelichtet und werden sogar aus dem Blick gedrängt.

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Bewältigungsmechnismus 5. die Konservativen

Die Konservativen haben eine kritische  Distanz zu den neuen Entwicklungen und den neuen Herausforderungen. Sie empfinden sie weitgehend als Zumutungen und sehnen sich nach den Zeiten, in denen  Soziale Arbeit noch im Interesse der Menschen gemacht werden konnte, wo man nicht durch Sparzwang an einer guten Arbeit gehindert wurde und wo der ständige Rechtfertigungsdruck nicht bestand.

Um mit den unerfreulichen Entwicklungen nicht konfrontiert und um selber nicht gezwungen zu sein, die eigene Fachlichkeit infrage stellen  zu müssen, suchen einige davon Nischen und Spielräume in der bestehenden Sozialen Arbeit auf, wo „die Welt der Sozialen Arbeit noch in Ordnung scheint“.  Es gibt noch immer Bereiche, Träger, Arbeitsfelder, wo das Geschepper der Ökonomisierung noch nicht zu hören ist und wo der aktivierende Staat noch nicht hinreicht.  Bisher.
Eine andere Variante von konservativer Bewältigungsstrategie ist die Argumentation, Soziale Arbeit sei schon immer für die Ärmsten der Armen da gewesen, habe schon immer mit sozial ausgegrenzten Menschen zu tun gehabt, sei ihnen schon immer in der Not zur Seite gestanden. Insofern sei es für die Soziale Arbeit klar, wo sie hingehöre, wenn in der gegenwärtigen Zeit die Gruppe der Ausgegrenzten ansteige. Das sei eben immer schon das Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit gewesen. Insofern sei es auch nichts weiter Neues, was der gegenwärtige Kapitalismus da produziere. Und eine anerkennte Profession sei sie selber ja schließlich noch nie wirklich gewesen, wäre immer schon  im Kielwasser ihrer Klientel geschwommen, hätte es immer schwer gehabt, hätte immer darum kämpfen müssen, etwas für die Schutzbefohlenen erreichen zu können.  „Der Sozialen Arbeit war es nie verheißen, unbedrängt ihre Option für Benachteiligte auszuüben“, sagt Mühlum, (2009). Da mag er Recht durchaus haben. Und sicher meint er es ganz anders als hier für die Gruppe der ‚Konservativen‘ skizziert. Wie auch immer: Das  Sich Abfinden mit der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Menschen wie das Sich Abfinden mit der eigenen marginalen gesellschaftlichen Rolle gemahnt doch schon sehr an die Stragtegie der „geduldigen HelferInnen“ und somit geht die kritische Haltung verloren und wird nicht konstruktiv.

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Bewältigungsstrategie 4: die HarmonisiererInnen

Sie sehen die Gefährdung der Profession und ihrer Möglichkeiten durch Ökonomisierung und aktivierenden Staat. Sie können sie sogar benennen . Sie bestehen auf der Autonomie der Profession, auf ihren ethischen Werten, ihrer Orientierung an Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit und darauf, dass Soziale Arbeit sich für Sozial Benachteiligte einsetzen kann.
Gleichzeitig betonen Sie, dass die Soziale Arbeit sich nicht außerhalb der ökonomischen Gesetze stellen könne, dass sie auch die fachlichen Qualitäts bezogenen Leistungsanreize brauche, dass es unsinnig sei, die Gesetzmäßigkeiten, denen wir alle unterliegen, allein für die Soziale Arbeit von sich weisen zu wollen.  Sie versprechen die Ökonomisierung als Chance und fordern eine „ökonomische Soziale Arbeit“ und sehen kein Problem darin, wenn der Teil der Sozialen Arbeit, der marktfähig ist, auch am Markt angeboten wird.
Gleichzeitig aber, damit die von ihnen konstatierten Fehlschläge nicht passieren, beschwören sie die Wirtschaft, ihrerseits die Moral in ihre Handlungen mit einzubeziehen – und halten das sogar auch  für möglich.  „Ökonomie und Sozialarbeit sind gezwungen“, so behauptet z.B. Martin Albert in seinem Artikel „Hier das Geld – und dort die Liebe?“ (Sozialmagazin, 33. Jg. 7-8/2008), “ sich sowohl moralisch als auch wirtschaftlich zu rechtfertigen“.  Und weiter stellt er hoffnungsvoll fest: “ „Wenn diese Verbindung gelingt, dann wäre es ein „Profit“ für alle – sei es nun als ein finanzieller Gewinn oder als ein Zuwachse an Menschlichkeit“ (ebenda).

Hier wird versucht, Ökonomie und Soziale Arbeit zu versöhnen, miteinander zu harmonisieren und damit bringt man letztlich – absichtlich oder ungewollt – den Widerstand gegen bestimmte Entwicklungen und Hintergründe zum Erliegen und schläfert ihn ein.

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Bewältigungsstrategie 3: die geduldigen HelferInnen

warmherzig.jpg     „Aber das können wir doch nicht machen, das geht ja auf Kosten der Klienten, der Kinder, der Eltern, der alten Menschen…!“

Sie ist gut gemeint und sicher auch sehr verständlich, aber diese „Bewältigungsstrategie“ hilft nicht wirklich, auch nicht den KlientInnen. Viele SozialarbeiterInnen lassen sich gnadenlos ausbeuten, mucken nicht auf gegen unmögliche Arbeitsbedingungen, erledigen viel in ihrer Freizeit für die KlientInnen, machen unbezahlte Überstunden usw. und zucken mit der Achsel: was sollen sie denn tun? Wenn sie das nicht so machen, werden die Klienten darunter leiden.

Fakt ist, dass die Klienten die ersten sind, die unter der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Sozialen Arbeit zu leiden haben und die angesichts einer veränderten Sozialen Arbeit nicht mehr die Unterstützung bekommen, die sie bisher bekamen. Dadurch, dass man versucht „aus Stroh Gold zu spinnen“, macht man die Lage nicht besser, im Gegenteil. Man erweckt den Eindruck, dass es auch so geht und weckt noch weiter Begehrlichkeiten nach dem Motto: „Wenn die das  mit sich machen lassen, dann können wir ja noch ein bisschen weiter an den Daumenschrauben drehen!“

Hier ein Beispiel zu dieser Bewältigungsstrategie aus meinem Schwarzbuch:

Die Sozialpädagogische Familienhelferin Frau Bertold hat im letzten Jahr im Rahmen ihres Arbeitsvertrages von 30 Wochenstunden drei Familien betreut. Für jede dieser Familien waren durchschnittlich 6 Fachleistungsstunden gewährt worden. Nach Beendigung eines der drei Fälle wird ihr von ihrem Chef ein neuer Fall übergeben, der aber laut Hilfeplan eigentlich mindestens 10 Fachleistungsstunden erfordert. Frau Bertold wird aufgefordert, die erforderliche Zeit bei den beiden anderen Familien „herauszuarbeiten“. Das ist schwer, weil in beiden Familien gerade wichtige Prozesse und Entwicklungen laufen, in die sie viel investiert hat und die sie nicht gefährden möchte. Bei Familie A. hat die Mutter nach einer längeren Phase, in der sie nur zugeschaut hat, jetzt begonnen selbständig bei ihrem 7jährigen Sohn die Hausaufgaben zu betreuen. In der anderen Familie zeigen sich beim Familienvater die aller ersten  Anzeichen für Interesse an der Arbeit der Familienhelferin. Sie hat deshalb begonnen, mit dem Vater ein mal in der Woche am Familiencomputer zu basteln und ihm ein wenig PC Bedienungsnachhilfeunterricht zu geben. Würde sie jetzt diese beiden Prozesse abbrechen oder verkürzen, so wäre der Erfolg ihrer bisherigen Arbeit gefährdet und wichtige Chancen im Entwicklungsprozess mit Blick auf das Gesamtziel der beiden Familienhilfen vielleicht vertan.

Frau Bertold beschließt, die Arbeit wie bisher fortzusetzen und macht auf diese Weise Überstunden, die sie nicht einmal aufzuschreiben wagt, aus Angst, dass man ihr vorwirft, ihre Zeit nicht eingeschränkt zu haben.

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