Bewältigungsstrategie 7: der Zweckoptimismus der Realos

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Auch sie versuchen, „trotzdem irgendwie das Beste daraus zu machen“. Es gibt sie sowohl unter PraktikerInnen wie unter WissenschaftlerInnen. Trotz einer zumindest partiell kritischen Haltung den neuen Entwicklungen gegenüber, werden diese aber als unausweichlich angesehen und als einzig reale Zukunftsperspektive der Sozialen Arbeit hingenommen und als unausweichliche alltägliche Realität erlebt.
Und nun wird versucht, auch unter den neuen Bedingungen Soziale Arbeit trotzdem so gut wie eben möglich zu gestalten. Gesucht wird nach den Vorteilen, die die Ökonomisierung „ja schließlich mit sich auch bringt“…..

So wird besonders oft im Qualitätsmanagement etwas gesehen, was auch der eigenen Arbeit dienen kann und zur Qualifizierung der Sozialen Arbeit beiträgt. Es wird viel Zeit in dieses Qualitätsmanagement gesteckt. Und ab und an – wenn  dieses Qualitätsmanagement sich nicht darauf beschränkt, formale Abläufe zu beschleunigen und Synergieeffekte im Verwaltungsablauf ausfindig zu machen –  gewinnt man auch Erkenntnisse darüber, wie die eigene Arbeit verbessert werden könnte. Aber spätestens, wenn klar wird: ‚Kosten darf die bessere Qualität nicht verursachen!‘ sollte eigentlich klar sein, dass auch dieser vermeintlich positive Effekt der Ökonomisierung für die Katz ist, solange sie die Rahmenbedingungen der gesetzten knappen Kassen nicht infrage stellen darf.

Hier ein Beispiel aus meinem Schwarzbuch:


Im Rahmen eines Qualitätsentwicklungsverfahrens stellen die MitarbeiterInnen eines Jugend- und Sozialwerkes bei einer BewohnerInnenbefragung  fest, „dass viele Kinder und Jugendliche die geringe Zeit, die ihnen allein mit dem Betreuer zur Verfügung steht“, bemängeln. Hier hat das interne Qualitätsmanagement tatsächlich den Finger auf eine offene Wunde gelegt: Es fehlt an Zeit in der Einrichtung, um wirklich intensiv und individuell mit den einzelnen Jugendlichen zu arbeiten.
Das Ergebnis aber wird nun von den MitarbeiterInnen folgendermaßen kommentiert: Dies sei „ein Phänomen, das sich mit dem herrschenden Kostendruck nur schwer beheben lässt. Uns wird in allen Wohngruppen nur ein Schlüssel von 1:2,5 zugestanden. Dennoch wollen wir gezielt solche Situationen fördern, erleben wir doch gerade diese Momente als förderlich und angenehm für beide Seiten“ (Träder, 2000, in Merchel 2000, S. 93).

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Wozu aber stellt man  denn solche Überlegungen an, wenn nicht mit dem Ziel, die erkannten Schwächen zu korrigieren und als notwendig erkannte Veränderungen einzuführen? Hier wird Qualitätsmanagement betrieben und man stellt am Ende resigniert fest: ‚Was nötig wäre, wird aber nicht bezahlt. Also strengen wir uns eben noch mehr an, damit es auch so irgend wie besser wird!‘
Mitunter hat man bei dieser Gruppe von KollegInnen den Eindruck, dass sie noch etwas anderes umtreibt:
Sie sehen mit Beunruhigung, dass der Zug der modernen, zukunftsträchtigen Sozialen Arbeit gerade abzufahren scheint und möchten natürlich unbedingt mit – trotz aller Kritik und trotz aller Bedenken, die man der guten alten Sozialen Arbeit schuldig ist.  Und so lobt man die vermeintlichen oder wirklichen positiven Aspekte von Ökonomisierung und aktivierendem Staat in den Himmel und versucht alles, sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken.  Nicht anders kann ich z. B. den Artikel von Thomas Olk verstehen, der in seinem Beitrag „Transformationen im deutschen Sozialstaatsmodell“ (in: Kessl/Otto: Soziale Arbeit ohne Wohlfahrtsstaat, 2009) klarsichtig die neuen sozialpolitischen Leitlinien  des aktivierenden Staates nachvollzieht und die Kritik seiner Gegner als nicht von der Hand zu weisen würdigt, dann aber – anstatt all das für die Soziale Arbeit und ihre Klientel zu Ende zu denken – , sich an der Perspektive hochzieht, dass der neue aktivierende Staat die Kinder zu einer wichtigen sozialpolitischen Zielgruppe erklärt und der Sozialen Arbeit „im Koordinatensystem zwischen Sozialpolitik, Bildungspolitik und Familienpolitik eine neue Rolle und Position“ zuweist. (vgl. S. 27). Er möchte lieber mit einer Kritik an den neuen Entwicklungen „das Kind nicht mit dem Bade ausschütten“ und lieber, wie er sagt: „zwischen Fehlern und Leerstellen neuer Praktiken und Konzepte und den dahinter liegenden Fragen und Suchprozessen unterscheiden“ (S. 32).

Diese neue, angeblich wichtige Rolle der Sozialen Arbeit scheint eine Perspektive zu sein, der ein Realo nicht  Stand halten kann.

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Bewältigungsmechanismus 6: die ModernisiererInnen

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 Der aktivierende Staat benutzt die gleichen Begriffe wie die lebensweltorientierte Soziale Arbeit: Aktivierung, Hilfe zur Selbsthilfe, Eigenverantwortung, Empowerment, Koproduktion, Aushandlung….  Das hat fatale Folgen:

Es gibt viele SozialarbeiterInnen, die zu Recht kritisieren, dass in der bisherigen Praxis der Sozialen Arbeit die lebensweltorientierte Konzeption bislang noch nicht durchgängig Raum gegriffen hat. Die sehen nun in den Angeboten und Absichten des aktivierenden Staates die Chance, endlich konsequent die Soziale Arbeit machen zu können, die sie machen wollen.
Sie übersehen, dass die sozialpädagogischen Begriffe vom aktivierenden Staat in einer anderen Bedeutung und mit anderen Zielen benutzt werden. So kommt es, dass nicht selten begeisterte Verfechter der neoliberalen Modernisierungen  vorgeben und es vielleicht auch wirklich meinen, gleichzeitig konsequente Vertreter einer lebensweltorientierten Sozialen Arbeit zu sein.

Ein Beispiel aus meinem Schwarzbuch:

Poguntke-Rauer et al. bemühen sich in ihrem Beitrag: „Hilfeplanprozess und Assessment im Allgemeinen Sozialdienst durch EDV-Unterstützung“ (2007) darum, das Case Management als Methode auf den Hilfeplanprozess im Jugendamt zu übertragen, wobei sie durchaus die sozialpädagogischen Prinzipien von Sozialökonomie und Partizipation als wichtige Aspekte dieses Prozesses nennen und zu berücksichtigen suchen. Ihr Ziel ist es, durch den EDV-Einsatz „einer Beliebigkeit zur sozialpädagogischen Erkenntnisgewinnung und der daraus folgenden Hilfeentscheidung“ (S. 84) bei der Hilfegewährung entgegenzuwirken.
Die Kritik dieses Versuches will nicht das systematische Herangehen an den Hilfeplanungsprozess infrage stellen. Auch muss fairer weise angemerkt werden, dass bei dem Konzept der Autoren keine sanktionierenden Elemente im Rahmen der Hilfeplanung vorgesehen sind und sich dieser dokumentierte Case Management-Prozess insofern sehr wohl vom Fallmanagement unterscheidet. Aber dennoch: Die Autoren verwenden eine große Mühe darauf, die sozialpädagogische Arbeit der Hilfeplanung systematisch, rational, standardisierbar und technisch erfassbar zu gestalten. Die eigentliche Funktion der Hilfeplanung nach § 36 KJHG aber, die Beteiligung der Klientel an der Hilfeplanung im Sinne der Gewährleistung eines Koproduktionsprozesses – wie ihn z.B. Merchel schon 1997 gefordert und entsprechende methodische Bemühungen als unverzichtbar erklärt hat
  – wird zwar konzeptionell erwähnt, ihrer methodischen Umsetzung oder auch deren Dokumentation jedoch wird kein Gedanke geschenkt.
Automatisch aber, ist Betroffenenbeteiligung in einer rational durchstrukturierten Hilfeplanung nicht enthalten. Und es ist sehr gut vorstellbar, dass die Schwerpunktsetzung auf die technische Seite der Prozessgestaltung die praktizierenden MitarbeiterInnen des Allgemeinen Sozialdienstes nicht gerade dazu anregen wird, daneben noch viel Kraft und Zeit in ein motivierendes, partizipatives Umgehen mit der Klientel zu investieren. Die eigentlichen sozialpädagogischen Prozesse der Hilfeplanung bleiben bei dem Bemühen der Autoren unterbelichtet und werden sogar aus dem Blick gedrängt.

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Bewältigungsmechnismus 5. die Konservativen

Die Konservativen haben eine kritische  Distanz zu den neuen Entwicklungen und den neuen Herausforderungen. Sie empfinden sie weitgehend als Zumutungen und sehnen sich nach den Zeiten, in denen  Soziale Arbeit noch im Interesse der Menschen gemacht werden konnte, wo man nicht durch Sparzwang an einer guten Arbeit gehindert wurde und wo der ständige Rechtfertigungsdruck nicht bestand.

Um mit den unerfreulichen Entwicklungen nicht konfrontiert und um selber nicht gezwungen zu sein, die eigene Fachlichkeit infrage stellen  zu müssen, suchen einige davon Nischen und Spielräume in der bestehenden Sozialen Arbeit auf, wo „die Welt der Sozialen Arbeit noch in Ordnung scheint“.  Es gibt noch immer Bereiche, Träger, Arbeitsfelder, wo das Geschepper der Ökonomisierung noch nicht zu hören ist und wo der aktivierende Staat noch nicht hinreicht.  Bisher.
Eine andere Variante von konservativer Bewältigungsstrategie ist die Argumentation, Soziale Arbeit sei schon immer für die Ärmsten der Armen da gewesen, habe schon immer mit sozial ausgegrenzten Menschen zu tun gehabt, sei ihnen schon immer in der Not zur Seite gestanden. Insofern sei es für die Soziale Arbeit klar, wo sie hingehöre, wenn in der gegenwärtigen Zeit die Gruppe der Ausgegrenzten ansteige. Das sei eben immer schon das Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit gewesen. Insofern sei es auch nichts weiter Neues, was der gegenwärtige Kapitalismus da produziere. Und eine anerkennte Profession sei sie selber ja schließlich noch nie wirklich gewesen, wäre immer schon  im Kielwasser ihrer Klientel geschwommen, hätte es immer schwer gehabt, hätte immer darum kämpfen müssen, etwas für die Schutzbefohlenen erreichen zu können.  „Der Sozialen Arbeit war es nie verheißen, unbedrängt ihre Option für Benachteiligte auszuüben“, sagt Mühlum, (2009). Da mag er Recht durchaus haben. Und sicher meint er es ganz anders als hier für die Gruppe der ‚Konservativen‘ skizziert. Wie auch immer: Das  Sich Abfinden mit der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Menschen wie das Sich Abfinden mit der eigenen marginalen gesellschaftlichen Rolle gemahnt doch schon sehr an die Stragtegie der „geduldigen HelferInnen“ und somit geht die kritische Haltung verloren und wird nicht konstruktiv.

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Bewältigungsstrategie 4: die HarmonisiererInnen

Sie sehen die Gefährdung der Profession und ihrer Möglichkeiten durch Ökonomisierung und aktivierenden Staat. Sie können sie sogar benennen . Sie bestehen auf der Autonomie der Profession, auf ihren ethischen Werten, ihrer Orientierung an Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit und darauf, dass Soziale Arbeit sich für Sozial Benachteiligte einsetzen kann.
Gleichzeitig betonen Sie, dass die Soziale Arbeit sich nicht außerhalb der ökonomischen Gesetze stellen könne, dass sie auch die fachlichen Qualitäts bezogenen Leistungsanreize brauche, dass es unsinnig sei, die Gesetzmäßigkeiten, denen wir alle unterliegen, allein für die Soziale Arbeit von sich weisen zu wollen.  Sie versprechen die Ökonomisierung als Chance und fordern eine „ökonomische Soziale Arbeit“ und sehen kein Problem darin, wenn der Teil der Sozialen Arbeit, der marktfähig ist, auch am Markt angeboten wird.
Gleichzeitig aber, damit die von ihnen konstatierten Fehlschläge nicht passieren, beschwören sie die Wirtschaft, ihrerseits die Moral in ihre Handlungen mit einzubeziehen – und halten das sogar auch  für möglich.  „Ökonomie und Sozialarbeit sind gezwungen“, so behauptet z.B. Martin Albert in seinem Artikel „Hier das Geld – und dort die Liebe?“ (Sozialmagazin, 33. Jg. 7-8/2008), “ sich sowohl moralisch als auch wirtschaftlich zu rechtfertigen“.  Und weiter stellt er hoffnungsvoll fest: “ „Wenn diese Verbindung gelingt, dann wäre es ein „Profit“ für alle – sei es nun als ein finanzieller Gewinn oder als ein Zuwachse an Menschlichkeit“ (ebenda).

Hier wird versucht, Ökonomie und Soziale Arbeit zu versöhnen, miteinander zu harmonisieren und damit bringt man letztlich – absichtlich oder ungewollt – den Widerstand gegen bestimmte Entwicklungen und Hintergründe zum Erliegen und schläfert ihn ein.

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Bewältigungsstrategie 3: die geduldigen HelferInnen

warmherzig.jpg     „Aber das können wir doch nicht machen, das geht ja auf Kosten der Klienten, der Kinder, der Eltern, der alten Menschen…!“

Sie ist gut gemeint und sicher auch sehr verständlich, aber diese „Bewältigungsstrategie“ hilft nicht wirklich, auch nicht den KlientInnen. Viele SozialarbeiterInnen lassen sich gnadenlos ausbeuten, mucken nicht auf gegen unmögliche Arbeitsbedingungen, erledigen viel in ihrer Freizeit für die KlientInnen, machen unbezahlte Überstunden usw. und zucken mit der Achsel: was sollen sie denn tun? Wenn sie das nicht so machen, werden die Klienten darunter leiden.

Fakt ist, dass die Klienten die ersten sind, die unter der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Sozialen Arbeit zu leiden haben und die angesichts einer veränderten Sozialen Arbeit nicht mehr die Unterstützung bekommen, die sie bisher bekamen. Dadurch, dass man versucht „aus Stroh Gold zu spinnen“, macht man die Lage nicht besser, im Gegenteil. Man erweckt den Eindruck, dass es auch so geht und weckt noch weiter Begehrlichkeiten nach dem Motto: „Wenn die das  mit sich machen lassen, dann können wir ja noch ein bisschen weiter an den Daumenschrauben drehen!“

Hier ein Beispiel zu dieser Bewältigungsstrategie aus meinem Schwarzbuch:

Die Sozialpädagogische Familienhelferin Frau Bertold hat im letzten Jahr im Rahmen ihres Arbeitsvertrages von 30 Wochenstunden drei Familien betreut. Für jede dieser Familien waren durchschnittlich 6 Fachleistungsstunden gewährt worden. Nach Beendigung eines der drei Fälle wird ihr von ihrem Chef ein neuer Fall übergeben, der aber laut Hilfeplan eigentlich mindestens 10 Fachleistungsstunden erfordert. Frau Bertold wird aufgefordert, die erforderliche Zeit bei den beiden anderen Familien „herauszuarbeiten“. Das ist schwer, weil in beiden Familien gerade wichtige Prozesse und Entwicklungen laufen, in die sie viel investiert hat und die sie nicht gefährden möchte. Bei Familie A. hat die Mutter nach einer längeren Phase, in der sie nur zugeschaut hat, jetzt begonnen selbständig bei ihrem 7jährigen Sohn die Hausaufgaben zu betreuen. In der anderen Familie zeigen sich beim Familienvater die aller ersten  Anzeichen für Interesse an der Arbeit der Familienhelferin. Sie hat deshalb begonnen, mit dem Vater ein mal in der Woche am Familiencomputer zu basteln und ihm ein wenig PC Bedienungsnachhilfeunterricht zu geben. Würde sie jetzt diese beiden Prozesse abbrechen oder verkürzen, so wäre der Erfolg ihrer bisherigen Arbeit gefährdet und wichtige Chancen im Entwicklungsprozess mit Blick auf das Gesamtziel der beiden Familienhilfen vielleicht vertan.

Frau Bertold beschließt, die Arbeit wie bisher fortzusetzen und macht auf diese Weise Überstunden, die sie nicht einmal aufzuschreiben wagt, aus Angst, dass man ihr vorwirft, ihre Zeit nicht eingeschränkt zu haben.

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Bewältigungsstrategie 2: die schlauen Austrixer

Wie kann man in der Praxis mit den Zumutungen und Anforderungen  der Ökonomisierung umgehen, ohne sie einfach zu schlucken oder sich anzupassen?

Was ist z. B. , wenn das Qualitätsmanagement  unendlich viel kostbare Zeit schluckt, die für die Arbeit mit den Klienten verloren geht. Aber es wird verlangt und braucht dazu noch mehr Zeit, als vorgesehen. Was tun? Manch einer reagiert auf solche Situationen mit Tricks.  Man versucht, das Vorgeschriebene irgendwie schnell zu erledigen, aber dann die Zeit heraus zu arbeiten, die man für das braucht, was man für wichtiger hält. So merkt es keiner und man kann – heimlich – doch gute Arbeit machen.
IMeines Erachtens erweisen diese schlauen AustrixerInnen  ihrer Profession einen  Bärendienst: Sie signalisieren: „Alles in Ordnung!“ und riskieren, dass der Sozialen Arbeit der Hals immer weiter zugedrückt wird.

Hier ein Beispiel aus meinem Schwarzbuch:


Die Migrationsberatungsstelle in der Stadt M. hat zwei feste Mitarbeiterstellen à 30 Stunden. Daneben gibt es noch PraktikantInnen und einige ehrenamtliche BeraterInnen.
Bis vor eineinhalb Jahren hatten die hauptamtlichen Mitarbeiter für ihre Beratungen gerade mal die Zeit, die sie brauchten. Manches ging zwar schnell. Aber bei vielen MigrantInnen war eine langwierige Beratung nötig, weil allein die konkreten Informationen und ersten Hilfestellungen nicht gleich dazu führen konnten, dass die Betroffenen nun besser „funktionierten“. Im Vordergrund standen für die jungen MigrantInnen oft kulturelle Fremdheitsgefühle, unverarbeitete Erlebnisse in ihrer Heimat, Verständnisprobleme für die deutsche Bürokratie und Gesellschaft. Hinzu kamen oft auch einfach ganz persönliche Probleme und Belastungen, denen jeder Jugendliche ausgesetzt ist: Die Ablösung vom Elternhaus, die ersten Beziehungen usf. Die Arbeit in der Migrationsberatungsstelle erforderte sehr häufig, dass diese Probleme mit thematisiert und auch angepackt wurden. Andernfalls war das Ziel der Integration nicht zu erreichen. Dies aber bedeutete oft, mehrere Beratungsgespräche führen zu müssen, bevor mit konkreten Integrationsmaßnahmen und -schritten begonnen werden konnte.

Seit Beginn des Jahres hat der Träger neue verbindliche Rahmenbedingungen gesetzt, innerhalb derer für jeden Klienten nur eine begrenzte Zeit für freie Beratung zur Verfügung steht. Danach werden konkrete Ergebnisse mit der Methode Case Management erwartet, das auf praktische, konkret zu erfüllende Ziele ausgerichtet werden soll.

Was könnten die MitarbeiterInnen tun? Dass diese Begrenzung ihre Arbeit unsinnig einschränkt und die Qualität der Arbeit für viele Betroffene herabsetzen würde, war ihnen klar. Aber niemand hatte sie gefragt und auch niemand wollte sie hören.

Sie überlegten: Entweder, sie würden in Zukunft in jedem Fall darauf bestehen, schnell in das so genannte Fall Management einzusteigen und immer gleich hart und direkt an den konkreten Integrationsvorschlägen zu arbeiten. Dass sie dabei oft an ihren KlientInnen vorbei reden und sich ihre Bemühungen sinnlos im Kreis drehen würden, weil ganz andere Probleme und Themen die Mitwirkung der Betroffenen an den praktischen Lösungen blockieren, müssten sie dann in Kauf nehmen. Eine andere Lösung wäre es, bei nicht so belasteten „Kunden“ Zeit herauszuarbeiten, also noch schneller als vorgesehen mit ihnen fertig zu werden, um so Zeitkontingente für die schwierigen Fälle intern zu sichern.

Ein schlauer Plan, der aber Monate später zu einem bösen Erwachen führte. Ende des Jahres konstatiert der Träger, dass es offenbar zu viele Fälle gegeben habe, bei denen doch eigentlich weniger Zeit nötig gewesen wäre. Deshalb könne man getrost die Rahmenbedingungen noch ein wenig enger fassen. Die zeitlichen Vorgaben werden weiter gekürzt.
Das Korsett wird immer enger. Irgendwann geht den MitarbeiterInnen die Luft aus.

 

Die Botschaft aber, die die MitarbeiterInnen durch ihren „Trick“ an Geldgeber und Verwalter ihrer Arbeit gesendet haben, lautet: ‚Die Zeit, die ihr uns gebt, reicht aus. Alles o. k’. Wenn morgen weiter gekürzt wird, werden die Mitarbeiter ihre Kontingente noch gezielter und überlegter verteilen müssen – dennoch bleibt immer weniger Zeit und die Arbeit verliert auf eine schleichende, nach außen hin kaum erkennbare Weise, an Qualität und Wirkungsmöglichkeiten.

 

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Bewältigungsstrategie 1: „Wir müssen doch unser Brot verdienen können“

Wie bewältigen die PraktikerInnen die Zumutungen prekärer Arbeitsplätze, die unzureichenden Geld- und Zeitressourcen für ihre Arbeit und die Deprofessionalisierung, die sich überall breit macht?
Manche merken überhaupt nichts davon, weil sie es gar nicht anders kennen und einfach davon ausgehen, dass es eben so ist, wie es ist und man doch nichts daran ändern könne. Auch das ist eine Bewältigungsstrategie.

Viele aber sehen sehr wohl, welchen unsinnigen und Klienten feindlichen Einschnitten und Einschränkungen ihre Arbeit unterliegt. Aber sie wehren sich nicht, weil sie wissen, wie schnell sie durch andere MitarbeiterInnen ersetzt werden können. Es ist heute nicht ungefährlich, den Mund aufzumachen. Das ist  nicht von der Hand zu weisen und durchaus verständlich. Aber wo ist die Grenze? Wo ist der Punkt erreicht, wo man das, was einem zugemutet und abverlangt wird, nicht mehr mit seinem Gewissen  vereinbaren kann?

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Der aktivierende Staat deaktiviert

Gedanken zum Bildungsstreik

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Das ist eine These, die sich eine der Arbeitsgruppen überlegt hat, die derzeit im Seminar: „Wie man in sozialpädagogische Schläuche neoliberalen Essig füllt“ an dem Thema „Aktivierender Staat und Jugendarbeit“  sitzt.

Mit Genehmigung der Väter und Mütter dieses Gedankens darf ich hier zu dieser These ein wenig weiterspinnen…
Wie könnte das gemeint sein?
Aktiviert werden sollen Menschen und damit auch die Jugendlichen, sich mit aller Kraft anzustrengen, irgendwie auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.Für die Jugendlichen, mit denen Soziale Arbeit zu tun hat, ist diese Aufforderung mitunter schon deshalb problematisch, weil die Berufs- und Ausbildungschancen für sie mehr als schlecht sind. Dennoch gilt: Sie müssen sich anstrengen, es ist ihr Ding. Wenn sie es nicht schaffen, sind sie selber Schuld.
Und für die Jugend an den Hochschulen? Wir haben es vor ein paar Tagen auf der Versammlung anlässlich des „StuRa Todes“ gehört: Keiner hat Zeit für so was. Alle sind bis zum Hals belastet mit dem Bachelor-Studium. Und alle müssen sich schrecklich beeilen, um auf die paar Züge aufspringen zu können, die sie nach vorne, nach oben bringen sollen. Sie haben nicht einmal die Zeit, zu schauen, wohin diese Züge eigentlich fahren.

Der aktivierende Staat richtet seine lernende Jugend ab zu Menschen, die nichts anderes mehr im Kopf haben als ihre mehr oder weniger große oder kleine Chance, doch noch den Wurstzipfel zu erreichen. Der Unterschied ist, das unsere Klienten wohl kaum mehr bekommen werden, als eben diesen Zipfel. Unsere Studierenden bekommen vielleicht (und ich wünsche es ihnen) mehr von der Wurst. Aber die Kosten dieses Runs sind auch für sie beträchtlich.

  • Deaktiviert sind sie alle: fast keiner engagiert sich mehr für etwas, was jenseits seiner Nasenspitze und jenseits dieses Wurstzipfels liegt. Warum auch, ist doch jeder für sich und sein Wohl selber verantwortlich und damit auch immer Konkurrent gegenüber allen anderen.
  • Deaktiviert heißt vor allem auch: Der aktivierende Staat entpolitisiert die Menschen: für Politik haben sie keine Zeit mehr, aber auch nicht mehr das Wissen und die Klarheit darüber, dass viele der Probleme, mit denen Menschen sich täglich herumschlagen müssen, von Menschen gemacht sind, Folge politischer Entscheidungen sind und damit auch veränderbar.
  • Deaktiviert heißt auch:  Es bleibt neben dem Run nach der Wurst so vieles am Wege liegen, für das man auch Kraft brauchen würde, für das es sich lohnt, stehen zu bleiben, nachzudenken, hinzuschauen. Die Menschen verarmen, auch unsere Studierenden. Mit Persönlichkeitsentwicklung und humanistischer Bildung hat unser Bachelor-Studiersystem nicht mehr viel zu tun.
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Was können wir tun?

Seit ein paar Jahren sprechen wir

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an unserer Hochschule  in den Seminaren zur Theorie der Sozialen Arbeit über Texte zur Ökonomisierung und zum aktivierenden Staat. Besonders die Studierenden, die bereits berufstätig sind und auch die, die gerade ihr großes Praktikum absolviert haben,sind mit dieser Thematik sehr ansprechbar. Es gibt spannende Diskussionen und die Liste der Geschichten über prekäre Arbeitsplatzbedingungen, über Zeitmangel für Beratungen, über befristete Projektfinanzierungen, mit denen sich Kinderschutzeinrichtungen mühsam über Wasser halten müssen,  hören gar nicht mehr auf. Galuske (2002, 2008)  empfiehlt Reflexivitätals Gegengift für die Zumutungen der Ökonomisierung und des aktivierenden Staates an die Praxis . Dafür tun wir inzwischen einiges. Aber mit Recht fragen die Studierenden immer wieder: Was können wir tun? Gehen wir nicht unter angesichts einer Praxis, die schon lange anders tickt? Müssen wir uns nicht anpassen, weil wir von unserer Arbeit leben müssen?
Dass es vielleicht einen Sinn machen würde, nicht als Einzelne zu kämpfen, spricht sich langsam herum. Es müsste so viel besser gelingen, störrischen Widerstand zu leisten, mit Forderungen nach Fachlichkeit und professionellem Arbeit die Träger und Geldgeber zu nerven und auf Arbeitsbedingungen zu bestehen, die eine gute Soziale Arbeit erst möglich machen. Es ist erstaunlich, wie unorganisiert und unpolitisch unsere Studierenden denken und handeln. Aber jetzt wollen sie mehr wissen und sich umsehen. Was kann man tun? Mit wem kann man sich zusammen tun? Wer unterstützt Soziale Arbeit in der Öffentlichkeit?

Auf eine mail-Anfrage einer Studentin an den DBSH , die wegen Informationsmaterial  angefragt hatte, kam keine Antwort. So was ist nicht gerade ermutigend. Besonders bei Leuten, die noch nicht wissen, wie lang der Atem sein muss, wenn man politisch etwas erreichen will. Da wir als ProfessorInnen der Meinung sind, dass Informationen zu den Möglichkeiten einer gewerkschaftlichen und berufsverbandspolitischen Organisation zum Studium dazu gehören, werden wir versuchen, im kommenden Semester eine Veranstaltung zu organisieren, zu der wir entsprechende VertreterInnen eingeladen werden. Ich bin gespannt, wie dort auf meine Anfragen reagiert wird.

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der Streik der Erzieherinnen geht uns alle an

Erzieherinnnen streiken weiter

Darauf haben wir so lange gewartet! Endlich gehen die Vertreterinnen sozialer Berufe auf die Straße, um für bessere Arbeitsbedingungen und die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Arbeit zu kämpfen.

Man kann sie nur unterstützen! Hier der aktuelle Stand:

Aus:

Sozial- und Erziehungsdienst   ver.di

Tarifverhandlungen ergebnislos abgebrochen

19.06.2009

Keine Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe

Die Tarifverhandlungen für die 220.000 Beschäftigten der Sozial- und Erziehungsdienste sind nach einem fünftägigen Verhandlungsmarathon am Freitagnachmittag ergebnislos abgebrochen worden. Die Arbeitgeber hätten „heute die Verhandlungsgrundlage verlassen“, erklärte der Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Frank Bsirske. Dies würden die Beschäftigten mit weiteren Arbeitskampfmaßnahmen beantworten.

Es habe keinerlei Bereitschaft für eine höhere Anerkennung und Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe gegeben, betonte Bsirske. Die tage- und nächtelangen Verhandlungen hätten bei der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) lediglich in einem von rund 50 Tätigkeitsfeldern ein Teilangebot hervorgebracht. Dies betreffe aber nur 20 Prozent der Erzieherinnen. Dabei würden Ledige ein Plus von 0,3 Prozent erreichen, während Verheiratete ein Minus von 3,6 Prozent erleiden würden – gegen-über dem Stand von 1990. 80 Prozent der Betroffenen gingen leer aus bzw. hätten Verluste von mehr als 1.000 Euro im Jahr.

Die Verhandlungen zu einem Gesundheitsförderungstarifvertrag seien in der Substanz keinen Schritt voran gekommen, kritisierte die Gewerkschaft. ver.di will einen individuellen Anspruch der Beschäftigten auf eine Gefährdungsanalyse des Arbeitsplatzes durchsetzen. „Die Arbeitgeber wollen sich von der Steinzeit ins Mittelalter bewegen. Aber wir brauchen Regelungen für die Neuzeit“, sagte Bsirske.

Der ver.di-Vorsitzende zeigte sich „enttäuscht von der mangelnden Bereitschaft“ der VKA, zu einem tragfähigen Ergebnis zu kommen: „Dieser Konflikt entscheidet auf Jahre hinaus über die Zukunft der Kinder und damit der Gesellschaft.“

hier weitere Infos

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