flexibler Habitus und seine Folgen für die Menschen….

Habitustheorie … Bourdieu, Galuske… für eine Reihe unserer Studierenden ist das zur Zeit ein Prüfungsreizthema.

Dass es für die Menschen derzeit erfahrene und bedrückende Lebensrealität ist, das ist nicht zu übersehen und zu überhören:Z.B. bei Silbermond ..

silbermond.jpg

Irgendwas das bleibt


Sag mir dass dieser Ort hier sicher ist
Und alles Gute steht hier still
Und dass das Wort das du mir heute gibst
Morgen noch genauso gilt

Diese Welt ist schnell und hat verlernt beständig zu sein
Denn Versuchungen setzen ihre Frist
Doch bitte schwör dass wenn ich wiederkomm
Alles noch beim alten ist

Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit
In einer Welt in der nichts sicher scheint
Gib mir in dieser schnellen Zeit
Irgendwas das bleibt

Gib mir einfach nur ein bisschen Halt
Und wieg mich einfach nur in Sicherheit
Hol mich aus dieser schellen Zeit
Nimm mir ein bisschen Geschwindigkeit
Gib mir was irgendwas das bleibt

Auch wenn die Welt den Verstand verliert
Das hier bleibt unberührt
Nichts passiert

Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit
In einer Welt in der nichts sicher scheint
Gib mir in dieser schnellen Zeit
Irgendwas das bleibt

Gib mir einfach nur ein bisschen Halt
Und wieg mich einfach nur in Sicherheit
Hol mich aus dieser schellen Zeit
Nimm mir ein bisschen Geschwindigkeit
Gib mir was irgendwas das bleibt

 

Das als Beweis, dass unsere Themen brandheiß sind und voll aus dem Leben gegriffen 🙂

Leider kann ich noch keine Tondokumente ins Blog stellen, muss ich noch lernen. Klar. Nichts hält einen so flexibel wie ein PC.

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Nachtrag zu: „Politikabstinenz an unserer Hochschule?“

Da nur wir Professoren diese Post bekommen haben, möchte ich die Antwort von Prof. E. auf das zitierte Schreiben auch ins Netz stellen – ein erfreulicher Beweis der Tatsache, dass bei uns noch nicht alle Hoffnung verloren ist: Es gibt also doch politisch denkende Menschen!

„……… deutlich machen, dass ich es als zentrale akademische Aufgabe und
sogar Verpflichtung ansehe – auch und insbesondere VOR Wahlen – dem
potentiellen Wähler (es wählt zum EU-Parlament ohnehin so gut wie
niemand) Informationen bereitzustellen, die über dümmlich grinsende oder
lasziv lächelnde Köpfe auf Wahlplakaten hinausgehen.
Insofern begrüße ich die Aktion von Kollegen O. und der Studenten
nachdrücklich und auch Ihre Ankündigung als Hochschulveranstaltung.
Demokratie – lieber Herr R. – lebt vom und DURCH den Bürger.
Eine Hochschule ohne Meinungsvielfalt – und Meinungs-ÄUßERUNG ist hierzu
unverzichtbar! – verfehlt ihren Bildungsauftrag und wäre eine armselige
akademische Einrichtung. DENKEN kann jeder selber – zumindest ist dies
an einer Hochschule zu erhoffen.
Gerade eine Hochschule in einer Region, die wesentlich geprägt wurde
durch SCHILLER, NOVALIS oder auch Goethe – und viele mehr – sollte immer
den Diskurs und die argumentative Auseinandersetzung suchen.

Mit freiheitlichen akademischen Grüßen
Prof. Dr. W. E.

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Studentenrat wird zu Grabe getragen

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Eben komme ich von einer “Trauerfeier” auf dem Campus unserer Hochschule: Der bisherige StuRa hatte alle 5000 StudentInnen aufgerufen, mit Ihnen gemeinsam den StuRa zu Grabe zu tragen. Es haben sie für die anstehende Wahl nicht mehr genügend Kandidaten gefunden, die bereit gewesen wären, die Arbeit fortzusetzen. Nun muss die Arbeit eingestellt werden. Die Fachschaftsräte sterben gleich mit. Eine Wiederbelebung ist nicht ausgeschlossen. Aber auch nicht so ohne Weiteres möglich.
Die Hochschulleitung hatte verlauten lassen, dass sie es sehr bedauern würden wenn nur 10 Hanseln kommen sollten , denn dafür hätte sich dann die ganze Mühe doch nicht gelohnt.
Dieses Vorschussmitleid war überflüssig. Es kamen einige Hundert StudentInnen, bei strahlendem Wetter, aber immerhin. Und nach der guten Rede der StuRa-Vorsitzenden gab es auch wirklich eine angeregte Fragerunde zum Thema.
Wer nicht kam, war die Hochschulleitung. Sie waren nicht explizit (ein)geladen worden, aber auch an ihren Türen hatte überall das große, beeindruckende schwarze Plakat mit der Todesanzeige gehangen.
Die Fragen der StudentInnen an den scheidenden StuRa drehten sich vor allem um eins: “Wie soll ich neben meinem vollgepackten Bachalor-Studium eine solche Arbeit bewältigen??”  Und es tauchten die unglaublichsten Vorschläge und Ideen auf, wie angesichts der angespannten Zeitschine eine solche ehrenamtliche Arbeit irgendwie vergütet, aufgewogen, belohnt, entschädigt werden könnte: von der Möglichkeit, dafür einen Schein zu bekommen oder als StuRa-Mitglied nicht nur 3 sondern 4 Möglichkeiten zur Prüfungswiederholung zu haben, über die Idee, StuRa-Mitgliedern wie Studierenden mit Kindern ein Teilzeitstudium zu ermöglichen bis hin zu der Idee: “Wenn wir alle keine Zeit mehr haben, können wir uns nicht jemanden kaufen, der dafür unsere Interessen vertritt?”
Für eine Alt68erin war das alles ganz schön harter Tobak. Aber die Bedingungen sind wirklich völlig anders als zu jenen Zeiten Was deutlich wurde: Das Studium und auch das ganze gegenwärtige und zukünftige Leben unserer Studierenden sind so gestrickt, dass einfach keine Zeit bleibt, keine Zeit, um sich um seine und die Interessen aller zu kümmern, keine Zeit, um die Gelegenheit zu nutzen, sich in demokratischen Gremien zu erproblem und dort Erfahrungen zu sammeln, keine Zeit, um mit anderen zusammen kulturelle oder auch politische Veranstaltungen und Angebote zu organisieren.  Alle sind sie –  genau so, wie unsere feine Gesellschaft sich das neoliberaler Weise so vorstellt –  auf einen Zug aufgesprungen oder laufen gerade noch hinter ihm her, der ihnen droht zu entwischen. Alle haben es furchtbar eilig und wollen so schnell wie möglich so weit wie möglich nach vorne und nach oben kommen.

Es gibt an unserer Hochschule kaum so etwas wie Studentenleben, keine Räume, wo Studierende sich treffen können, keine Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb der Fachbereiche oder gar Fachbereich  übergreifend. Dass es überhaupt möglich ist, dass sich 400, 500 Studierende tatsächlich aus solch einem Anlass gemeinsam auf dem Campus versammeln, hat schon verwundert. Da war sogar eine kleine halbe Stunde, in der man für einen winzigen Moment davon träumen konnte, dass es noch einmal soetwas wie Studierende geben könnte, die sich gemeinsam für ihre politischen Interessen einsetzen. Da gab es sogar wirklich ein paar Minuten, wo die kollektive Erkenntnis in der Luft lag, dass es grundsätzlich an der Studierbarkeit in unserer Hochschule fehlt. Von 40% Studienabbrechern bei uns in Sachen Bachelor war die Rede. An dieser Stelle der Verantstaltung hätte vielleicht sogar die Forderung nach einer Studentenvollversammlung gezündet, einer Vollversammlung mit Einladung an die Hochschulleitung und mit dem Hauptthema: “Können wir hier eigentlich noch “studentenwürdig” studieren?” Und wenn nein, was muss sich ändern? Wer kann was dafür tun? Was die Hochschulleitung? Was die Studierenden? ” Aber diese Forderung blieb ungestellt.
Eine kleiner Trupp von Insidern begleitete danach den StuRa-Sarg in die Stadt, der Rest blieb achselzuckend zurück. Was soll man tun. Keine Zeit. Keine Zeit.
Sie haben nicht einmal mehr die Zeit, sich darum zu kümmern , warum sie eigentlich keine Zeit haben.

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Willkommen im aktivierenden Staat …

aus meinem Schwarzbuch (Persönliche Erfahrungen)

Sie nannten sich Wirtschaftjunioren und sie werden es nie verstanden haben, warum ich über ihr soziales Engagement so wenig begeistert war. Sie luden mich zu ihrer Vorstandsitzung ein und eröffneten mir, dass sie den Erlös ihrer diesjährigen Silvestertombola für das Projekt „Sozialpädagogische Familienhilfe“ meiner Abteilung im Jugendamt spenden wollten. Ich konnte nicht „nein“ sagen, obwohl es mir unbehaglich war zwischen diesen modisch gestylten, hoch energetischen und trotzdem so lässigen jungen UnternehmerInnen. Ich war froh, dass das besagte Erziehungshilfeprojekt hinreichend mit Geldern ausgestattet war und ich die notwendige pädagogische Arbeit und auch die erforderlichen kleineren Sachleistungen aus den öffentlichen Geldern decken konnte, die mir im Amt zur Verfügung gestellt waren.  Wir schrieben schließlich erst das Jahr 1996 und in meiner Stadt und meinem Land war der Sparkurs noch nicht losgetreten worden. Auf zusätzliche barmherzige Hilfe und auf Spenden war ich nicht angewiesen und wollte es auch nicht sein. Die Familien hatten einen verdammten Anspruch auf Unterstützung. Sie lebten in massiv benachteiligten Lebenslagen, hatten viel zu wenig Ressourcen und Kompetenzen mitbekommen, lebten in finanzieller Anspannung aber vor allem in einem ständigen psychischen Überforderungsstress. Es war eine selbstverständliche Aufgabe für einen verantwortlichen Staat, hier zu helfen und sei es um der Kinder willen, denen eine solche Aufwachssituation nicht zugemutet werden konnte.

All das sagte ich nicht. Vielleicht hätte ich es tun sollen? Stattdessen wurde ich aufgefordert, von den betroffenen Familien und ihrer alltäglichen Not zu erzählen. Es war schwer, diesem Auftrag nachzukommen, denn ich wollte meine Familien nicht bloßstellen und nicht blamieren, wollte sie nicht der Lächerlichkeit preisgeben und nicht der Sensationslust. Dennoch beeindruckte die Schilderung der Alltagsprobleme meiner vielen „Multiproblemfamilien“ meine Zuhörer sichtlich. Ja, dafür wollten sie gerne etwas spenden! Die Vorsitzende eröffnete mir, sie habe selber einmal mit dem Gedanken gespielt, Sozialarbeiterin zu werden. Mir kamen fast die Tränen. Bevor ich entlassen wurde, eröffnete man mir noch den allerdings entscheidenden Wunsch: Ein Foto für die Zeitung mit dem Scheck der Wirtschaftsjunioren müsse aber dabei herauskommen, am besten zusammen mit einer der Familien darauf.

Viele Jahre später musste ich mir einen Vortrag eines Betriebswirtes in unserer eigenen Fachhochschule anhören, der sich zur Entwicklung der Armut in Deutschland äußerte und vor seinen Zuhörern Ideen abwog, wie diese am besten zu händeln sei. Dass der ausgebildeten Bibliothekarin, die nicht mehr flexibel und fit genug ist, um im Wettbewerb um Stellen zu bestehen, die ehrenamtliche Betreuung einer städtischen Bibliothek neben ihrem Hartz VI Bezug angeboten werden soll, damit sie kein inhaltsleeres Leben führen muss und immerhin etwas tun könne dafür, dass der Staat sie alimentiere, war für mich der erste Schock. Der zweite Schock war die Antwort auf die selbst gestellte Frage, was man denn nun mit alle den Menschen machen solle, die voraussichtlich nie mehr Arbeit finden werden und nicht qualifiziert genug seien, einen Arbeitsplatz auszufüllen. „Verhungern lassen können wir sie nicht, das ist wohl klar.“ Ich verstand nicht, warum das klar sein sollte, wenn alles andere, jeder Anspruch auf ein Leben in Menschenwürde so einfach über Bord geworfen werden konnte.

Die Schocks aber über das, was in der Wirklichkeit des Sozialen inzwischen passiert war, kamen für mich immer wieder und an ungeahnten Orten. Ich hielt in Mainz einen Vortrag über die Bedeutung der Elternarbeit im Zusammenhang mit Kindeswohlgefährdung. Meine ZuhörerInnen waren alle entweder beim Jugendamt oder aber in Kinderschutzeinrichtungen tätig. Meine zentrale These war, dass Eltern im sehr vielen Fällen, auch in Fällen von Vernachlässigung und Gewalt, nicht die eigentlichen, existentiellen Feinde, sondern die – zumindest potentiellen – Freunde ihrer Kinder seien. Ich behauptete, dass zwischen ihnen und uns als Professionellen insofern eine Interessengleichheit bestehe, als sie wie wir vor allem eines wollten, dass es den Kindern gut gehe. Was auch immer in der Realität dazu geführt habe, Kinder zu vernachlässigen, mit Gewalt zu bedrohen oder Gewalt anzuwenden, diese „Lösungen“ seien nicht ihre Wunschlösungen für die Erziehung ihrer Kinder. Sie seien vielmehr aufgrund ihrer schwierigen Lebenssituation – materieller und/oder psychosozialer Art – dazu gekommen, diese gefährlichen „Erziehungsmittel“ zu benutzen und hätten auch in vielen Fällen durchaus selber ein Interesse daran, zu lernen, anders mit ihren Kindern umzugehen und eine positive Beziehung zu ihnen zu entwickeln. Wenn man die Eltern dazu gewinnen könne, bessere Eltern werden zu wollen und zu werden, würde man für die Kinder das Allerbeste erreichen können.
Ich plädierte also für Kooperation mit diesen Eltern, dafür, sie als Partner zu gewinnen, ihnen nicht von vorne herein Böswilligkeit zu unterstellen und vor allem auch die – immer auch vorhandenen – positiven Seiten ihrer bisherigen Elternschaft anzuerkennen und wahrzunehmen.
Noch während ich sprach, spürte ich aus dem großen Zuhörerraum eine Eiseskälte auf mich zu kriechen.
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Politikabstinenz an unserer Hochschule?

An unserer FH findet alljährlich im Sommersemester eine studentische Tagung zu aktuellen sozialpolitischen Themen  statt, bei der auch Experten und Vertreter politischer Gruppierungen und Parteien eingeladen werden, um auf dem Podium zu den Fragen der Studierenden Stellung zu nehmen. Eine gute und wichtige Tradition in einem Studiengang für Soziale Arbeit, finde ich.
Dieses Jahr heißt das Thema: „Armutsfreies Europa – eine Utopie“?  Zu dieser Veranstaltung wurden von unserer Hausverwaltung Einladungen an alle Professoren der FH geschickt, so wie es üblich ist, wenn einer der Fachbereich eine öffentliche Veranstaltung plant.

In meiner Post finde ich eine empörte Stellungnahme eines Kollegen aus den technischen Fachbereichen:
„Ich habe Zweifel bezüglich der Zulässigkeit einer Lehrveranstaltung, die unmittelbar vor der Europawahl mit einer Wahlkampfveranstaltung der Kandidaten verwechselt werden könnte. Dies außerdem in den Rang einerHausmitteilung an alle zu heben, empfinde ich als unpassend und ärgerlich.“

Ich staune. Wenn ich den Kollegen richtig verstehe, ist es sein Anliegen, Lehre und Politik fein säuberlich zu trennen und die Inhalte unserer wissenschaftlichen Kontexte nicht mit so etwas wie dem Wahlkampf zu beschmutzen?
Vielleicht ist ihm nicht bewusst, dass in unserer FH der Fachbereich Sozialwesen – übrigens einer der größten unserer Fachbereiche – Menschen ausbildet, die vor allem und täglich mit den aktuellen sozialen Fragen und deren möglichen Lösungen konfrontiert sind. Soll denn für diese Studierenden eine Trennlinie zwischen Lehre und realen gesellschaftlichen Problemen und Aufgaben gezogen werden? Das ist so, als würden wir hier Ingenieure ausbilden, die sich einen Dreck darum kümmern sollen, welche technischen Fragen heute die Produktion bewegen. Soziale Arbeit hat nun mal vor allem mit diesen sozialpolitischen Fragen zu tun und eine Diskussion dieser Probleme gerade auch durch die Politik gehört für sie sozusagen zum tägliche Brot ihrer Profession.
Und sicher würde es dem einen oder anderen Kollegen oder auch Studenten aus den technischen und betriebswirtschaftlichen Fachbereichen nicht direkt schaden, sich mit solchen Fragen auch einmal auseinander zu setzen. Für unsere Studierenden jedenfalls ist es gerade angesichts der aktuellen Entwicklungen absolut notwendig!

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die Ökonomisierung holt mich doch wieder ein….

aus meinem Schwarzbuch (Persönliche Erfahrungen):

Es fing ganz allmählich an…….

Auf einmal tauchten bei uns im Jugendamt hier und da neue Begriffe auf: Budget, Qualitätssicherung, Steuerung, Effektivität, Effizienz….

Wir wurden auf der alljährlichen Fachtagung von unserem Amtsleiter dazu aufgefordert, heraus zu finden, was wohl das „Produkt“ unserer Arbeit sein könnte: War unser Produkt der arbeitsfähige und arbeitswillige Jugendliche? Oder produzierten wir möglichst glückliche Jugendliche oder solche, die ihr Leben bewältigen konnten? Oder waren unsere Produkte vielleicht nur die Arrangements, die es einem Jugendlichen ermöglichten, sein Leben einmal bewältigen zu können? 
„Input, output, put put“, witzelten wir und glaubten damals fest daran, dass diese Begriffe und Ideen sich binnen einiger Monate wieder erledigen würden, so wie es bis dahin mit mancher fixen Idee unseres rührigen Amtsleiters passiert war.

Aber dem war nicht so.

Diese Begriffe fingen an, unsere alltägliche Arbeit zu begleiten. Sie nisteten sich in unsere Konzeptüberlegungen ein. Sie drängten sich auf, wenn wir unsere Haushaltspläne für das nächste Jahr erarbeiteten. Dann folgten die ersten Stellensperren, es wurden Projekte nicht verlängert oder nicht genehmigt, der Begründungsaufwand für jeden müden Pfennig, den wir zusätzlich haben wollten für unsere Arbeit, wuchs zu einer Papierflut an und fachliche Argumente zogen immer weniger…

Irgendwann war der Augenblick gekommen, wo es nur noch um Geld zu gehen schien. Das war Anfang der 90er Jahre.

 

Als ich noch 1987 meinen Antrag, vier neue feste Stellen für Sozialpädagogische FamilienhelferInnen einzurichten, bei der Amtsleitung eingereicht hatte, wurde ich von unserer eigenen Grundsatzabteilung dazu aufgefordert, erst einmal nachzuweisen, dass meine bisherigen siebenjährigen Bemühungen irgendeinen Effekt gehabt hatten.

Ich hielt diese Aufforderung zunächst für eine besonders hinterlistige Methode der Kollegen in der Grundsatzabteilung, mich ein wenig zu ärgern. Aber ich machte mich schon aus eigener Neugier an den Bericht und konnte drei Monate später die detaillierten Ergebnisse unserer Arbeit vorlegen: Bei etwa einem Drittel der Familienhelfermaßnahmen hatten unsere MitarbeiterInnen die von ihnen gesteckten Ziele voll erreichen können. Bei einem weiteren Drittel waren am Ende zumindest ein Teil der Ziele eingelöst. Das letzte Drittel hatte die Hilfe entweder vorzeitig abgebrochen oder aber der erwünschte Erfolg war ausgeblieben – für so komplizierte Arbeitsaufgaben wie die Sozialpädagogische Familienhilfe keine schlechte Bilanz! Außerdem konnten wir belegen, dass sich in unseren Hilfen keineswegs lauter „leichte Fälle“ oder Familien aus den mittleren Bevölkerungsschichten befanden, sondern dass wir es durchweg mit den wirklich schwerwiegenden „Familienfällen“ des Jugendamtes zu tun hatten. Der Bericht überzeugte erst die Kollegen im Amt und später den Magistrat.

Wie damals die meisten SozialarbeiterInnen es getan hätten, reagierte ich zunächst ein wenig empört auf das Ansinnen, den Wert und die Qualität meiner Arbeit nachweisen zu müssen. War denn unser Engagement, unsere Qualifikation, war die detaillierte Kenntnis der Problemlagen nicht genug Beweis dafür, dass wir gute Arbeit leisteten? Aber schließlich hatte ich mich doch davon überzeugen lassen, dass wir es der Gesellschaft und unserer Klientel schuldig waren, zu prüfen und nachzuweisen, dass wir mit unserer Arbeit auch wirklich das erreichten, was erreicht werden sollte. Natürlich, so wurde mir jetzt klar, war es unser ureigenstes Interesse, heraus zu finden, ob unsere Bemühungen den erwarteten Effekt hatten, ob unsere Methoden das bewirkten, was wir anstrebten.

Aber diese Erkenntnis kam in gewisser Weise bei uns und auch bei mir zu spät. Statt uns selber auf das Ross der Qualitätsprüfer zu setzen und voran zu reiten, statt die Klärung der Frage nach unserer Effektivität selber in die Hand zu nehmen, statt aus unserer fachlichen Sicht heraus zu definieren, was Qualität in unserem Metier bedeutet, haben wir damals lange, viel zu lange zögerlich zugeschaut, wie fachfremde Controller diese Aufgaben für uns übernahmen und ihre Art zu denken sich über alles, was wir taten und planten wie ein Maschendraht legt. Statt das Ross selber zu reiten, haben wir uns von diesen Effizienzpolizisten mitschleifen lassen und mussten nun sehen, wie wir hinter ihnen herstolperten.

Plötzlich gab es keinen Haushalt mehr, um den man mit guten Argumenten kämpfen konnte. Es gab auf einmal Budgets. Wir dürften jetzt unser Geld selber verwalten, hieß es verlockend. Aber was wir nun selber entscheiden konnten, war nur die Frage, was wir und wo wir in unserem Haushalt die von oben vorgeschriebene Summe einsparen wollten. Denn das Sparen war nun scheinbar das Hauptziel unseres Daseins geworden. Stellen wurden ganz eingespart, Abteilungen zusammengelegt, Projekte gestrichen, Mittel gekürzt. Wir wurden aufgefordert mehr Synergieeffekte zu nutzen und endlich dafür zu sorgen, dass kostspielige Hilfen und Projekte zugunsten günstigerer Alternativen aufgegeben wurden. 

Als ich 1987 meine Familienhelferstellen beim Magistrat durchsetzte, weil ich mit einer Kostenmodellrechnung überzeugte, die auswies, wie viele Millionen DM die Stadt sparen würde, wenn bei einer Familie mit 5 Kindern nicht für jedes Kind Heimerziehung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt werden müsste, sondern eine intensive Familienhilfe dort für zwei, vielleicht drei Jahre ambulant tätig wäre, hatte ich noch die Hoffnung, die neue Sparmasche könnte zugunsten der Jugendhilfe ausschlagen.

Dann belehrte mich mein Jugendamtsleiter eines Besseren:
Ich hatte im Verlauf von ungefähr sieben Jahren im Jugendamt eine eigene Erziehungsberatungsstelle aufgebaut, die sich nicht, wie übliche Erziehungsberatungsstellen im Wesentlichen mit Klienten aus den mittleren sozialen Schichten befasste, sondern die gezielt und bewusst für die Menschen da war, die im Jugendamt betreut wurden. Die kamen eben nicht von alleine, hatten keinen „Leidensdruck“, wurden meist geschickt und ihre Motivation für Hilfe war äußerst begrenzt. Hier bedurfte es ein Vielfaches mehr an Fingerspitzengefühl, an Zeit, an vertrauensbildenden Maßnahmen, an Bereitschaft, sich auf fremde Lebenswelten einzulassen. Das ging natürlich nur mit einer veränderten Organisationsstruktur und mit anderen Methoden. In unserer Erziehungsberatungsstelle war es z.B. üblich, Hausbesuche zu machen und nicht zu warten, dass die Leute den Weg von selber zu uns finden würden. Wir nahmen uns die Zeit, die diese Familien brauchten, bis sie bereit und in der Lage waren, über ihre Erziehungsprobleme zu reden. Wir machten niedrig schwellige Angebot im Stadtteil, bei denen die Menschen unsere MitarbeiterInnen erst einmal in Ruhe kennen lernen und Vertrauen zu ihnen entwickeln konnten.

Natürlich kostete uns diese Arbeit viel Kraft aber auch viel Zeit. Unser Erfolg aber, so hatten wir bis dahin geglaubt, gab uns Recht: In unserer Beratungsstelle machten die Familien, die der Allgemeine Sozialdienst uns geschickt hatte, in den meisten Fällen wirklich mit und brachen die Hilfe nicht nach ein, zwei Terminen ab. Darin unterschieden wir uns ganz deutlich von den anderen Beratungsstellen in der Stadt.

Und nun kam der Amtsleiter aus einer seiner Besprechungen mit den Leuten aus Amt für Organisation und Steuerung und verlangte von uns, zu errechnen, wie viele Minuten bei uns eine Beratung im Schnitt dauerte und wie viele Beratungen pro Fall bei uns durchgeführt wurden. Ziel war ein Vergleich zwischen den verschiedenen Beratungsstellen der Stadt, der es ermöglichen sollte, festzustellen, welche Beratungsstelle am effektivsten und natürlich auch, welche am kostengünstigsten arbeitete.

Und dann kam, was kommen musste:
Dass wir logischerweise teurer waren und mehr Zeit veranschlagen mussten, eben weil unsere Klienten diese Zeit brauchten, wollte mit einem Mal keiner mehr wissen und keiner mehr hören. Was bis dahin sozusagen unser Markenzeichen gewesen war, nämlich die Beratungsstelle zu sein, die es schafft, solche Klienten zu erreichen und mit ihnen zu arbeiten, die üblicherweise durch alle Netze von Beratungsangeboten fallen, das war jetzt auf einmal unser Makel. Wir waren zu teuer, weil wir, teurer waren, als die anderen. Warum wir das waren und welche besondere Qualität wir so erreichten, spielte nun keine Rolle mehr.

Der Markt hatte die Jugendhilfe erreicht.

 

All das geschah im Westen dieses Landes auf einem vergleichsweise hohen Niveau des Ausbaus der Jugendhilfe und der Sozialen Arbeit überhaupt.

Verglichen mit der Situation heute und insbesondere der Situation im Osten des Landes war das damals nicht mehr als ein Wetterleuchten.

Dennoch wurde mir an diesem Tag durch die  neuen, für mich schockierenden Vorstellungen meines Jugendamtsleiters klar, dass sich etwas in der Sozialen Arbeit entscheidend ändern würde.

Mein Jugendamtsleiter ging kurz danach als Manager und Berater in die Wirtschaft.

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Billigprodukt Soziale Arbeit …

aus meinem Schwarzbuch (Persönliche Erfahrungen):

Als ich 1982 in Wiesbaden in meiner Abteilung im Jugendamt die Schulsozialarbeit übernahm, war sie gerade dabei, sich von einer gut ausgestatteten Modelleinrichtung in eine Regeleinrichtung zu verwandeln. Von den bisher 8 wurden nur 6 Stellen als unbefristete Stellen weiter übernommen, das separate Stadtteilbüro wurde geschlossen aber immerhin, die Beteiligung der Grundschule und der Gesamtschule im Stadtteil Klarenthal blieb bestehen. Die Bundesmittel wurden eingestellt, die Kommune und das Land teilten sich die verbliebenen Kosten.

Dies war meine erste berufliche Erfahrung mit Mittelkürzungen in der Sozialen Arbeit.
Immerhin blieb genug von der Modellausstattung übrig, um den Stadtteil auch weiterhin gut und ganzheitlich mit Schulsozialarbeit und Stadtteilbezogener Sozialarbeit zu versorgen und eine kontinuierliche und nachhaltige Arbeit zu leisten, die auch für Außenstehende deutliche Ergebnisse zeigte: Die Rolle der jugendlichen Neonazis im Stadtteil z.B. wurde innerhalb weniger Jahre total zurückgedrängt. Von den Absolventen des Hauptschulzweiges der Gesamtschule erhielten 80% einen Ausbildungsplatz oder machten eine schulische Weiterqualifizierung mit.

Schon ganz anders sahen meine Erfahrungen im Jahre 1998 aus, als ich das „Landesprogramm Jugendarbeit an Thüringer Schulen“ wissenschaftlich betreute. Die ohnehin eher schmalbrüstige Ausstattung von 2 mal 30 Mitarbeiter-Stunden pro Modellschule wurde entgegen der fachlich begründeten Notwendigkeit nach Ablauf des Modellzeitraumes weiter reduziert auf etwa 10 Stellen insgesamt für 10 Schulen. Mehr wollte man nicht investieren. Das geschah zu einer Zeit, als im Osten die eigentliche Sparwelle noch gar nicht angefangen hatte.

2001, wenige Jahre später traf ich auf ein Jugendamt in Thüringen, das sich mit einem finanziell hervorragend ausgestatteten Modellprojekt „Stationäre Familienhilfe“ schmücken wollte, seine etwa 30 regulären Maßnahmen der „Sozialpädagogischen Familienhilfe (spFH) nach Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) aber Stunden mäßig so knapp ausstattete, dass angesichts der zum Teil dramatischen und hochschwierigen Familienkonstellationen diese Hilfe nur in Ansätzen greifen konnte und in den meisten Fällen nichts gebracht hat. Viele dieser Fälle endeten mit Heimerziehung, die man eigentlich hatte vermeiden wollen. Mein Versuch, statt des luxurieusen Modells erst einmal die normalen Hilfen der spFH angemessen mit Zeitressourcen (z.B. statt wöchentlich 3 Stunden die erforderlichen 13 Stunden) zu versehen, scheiterte am Konzept des Amtes, das im Übrigen einen neuen Amtsleiter hatte, der ursprünglich aus der Finanzverwaltung einer Jugendbehörde stammte und kein Sozialarbeiter war. (Noch 1978 hatten wir zufrieden konstatiert, dass die letzen Jugendamtsleiter, die diese Aufgabe als Juristen übernommen hatten, der Profession Sozialarbeit gewichen waren, wie es das Kinder- und Jugendhilfegesetz fordert. Inzwischen finden sich auf den Jugendamtsleiterstellen fast ausschließlich Betriebswirte oder Verwaltungsfachkräfte.)

Und geschockt war ich auch, als mir um das Jahr 2003 herum zum ersten Mal bewusst wurde, mit welchen Arbeitsbedingungen unsere Absolventen inzwischen zu recht kommen sollten: von tariflicher Bezahlung war nur noch selten die Rede. Befristete, auf 30 und weniger Stunden gekürzte Stellen wurden die Normalität. Unbezahlte freiwillige Überstunden wurden von den Arbeitgebern eingeplant. Und dennoch mussten sie all diese Bedingungen akzeptieren und dankbar sein, wenn sie überhaupt eine Anstellung fanden.

Soziale Arbeit, so schien es, kostete den Politikern und den Verwaltungen zu viel, war ihnen einfach zu teuer, war ihnen das Geld nicht wert, was sie dafür bereitstellen sollten. Das Geld sei nicht da, hieß es immer einfach. Eine Diskussion auf Länder- oder Bundesebene oder in einem kommunalen Haushalt über die Gewichtung von Jugendhilfe gegenüber dem Straßenbau oder anderen Ausgabeposten wurde nie geführt. Dem Ressort Soziales gehörte nie eine Priorität. Das Jugendamt z. B. wurde immer behandelt wie jedes andere Amt, das öffentliche Ausgaben provoziert. Und am liebsten wäre es vielen gewesen, sie hätten die lästigen Kosten z.B. der Jugendhilfe einfach wegschieben können. Unser Land ist und war eine der reichsten Industrienationen der Welt und es gab Geld für vieles, auch in den Zeiten so genannter knapper Kassen, für die Bundeswehr, für Unternehmer, für Banken die sich verzockt hatten… Die leeren Kassen waren ein Phantom, ein hausgemachtes Unglück aber ein gewolltes Unglück. 

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Nichts ist mehr so wie es war….

aus meinem Schwarzbuch (Persönliche Erfahrungen):

 

Als ich 1993 in die Neuen Bundesländer ging, hatte ich noch keine Ahnung, was ein Kapitalismus ist, der – ungehindert auch vom sozialpolitischen Konkurrenzmodell des realen Sozialismus – alles unter seine Herrschaft stellt.

Als ich dann im Osten im Radio zum ersten Mal Werbespots hörte, glaubte ich noch, das sei nur hier so, nach dem Motto: „Mit denen hier können sie es machen“. Tatsächlich waren die „Ossis“, die nun fast unerwartet doch noch die DM bekommen hatten, bereit, alles zu schlucken, was dieses neue System mit sich brachte. Sie waren es gewohnt, sich flexibel anzupassen und der Markt schien ihnen das Symbol für all den erstrebten Wohlstand, die ersehnte Freiheit und die herbei gewünschten Konsummöglichkeiten. Die Ellenbogenmentalität, das abverlangte Bekenntnis zur neuen, freien Marktwirtschaft, das die eigene Vergangenheit und die dort aus eigener Kraft geschaffenen Werte leugnen musste, das war der Preis für all diese Errungenschaften und die Ossis bezahlten gerne und mit freudiger Demut.
„Hier hat das siegreiche System leichtes Spiel“, dachte ich bei mir.

Erst Jahre später begriff ich auf Reisen in den Westen, dass auch hier etwas Neues entstanden war, dass auch hier Werte und Rechte, die seit meiner Kindheit selbstverständlich gewesen waren und mir Sicherheit gegeben hatten, ins Schwimmen geraten waren, sich gerade zu verflüchtigten.

Tariflöhne, Kündigungsschutz, Inflationsausgleich, das selbstverständliche Recht auf einen Job, der der Ausbildung entsprach, die man hinter sich gebracht hatte, all das wurde plötzlich von Seiten der Politik und der Medien infrage gestellt, diskreditiert, lächerlich gemacht..

Bekannten, die arbeitslos geworden waren, wurde auf einmal eine Tätigkeit zugewiesen, die weit unter ihrem Ausbildungsniveau lag. Von einer tariflichen Eingruppierung konnten die AbsolventInnen unserer Hochschule nur noch träumen, ebenso von einer ganzen Stelle und einem unbefristeten Vertrag.

Die betriebswirtschaftliche Sprache fing an, unsere Lehrpläne und Seminare zu durchdringen und aufzuweichen. Verhandlungen freier Träger mit dem Jugendamt schienen sich mit einem Mal nicht mehr an der maximal möglichen Fachlichkeit, dem optimalen möglichen Nutzen für die KlienteInnen zu orientieren sondern daran, was unbedingt – nach Gesetzeslage – sein musste, was schnelle Effekte zeigen könnte, was nicht zu vermeiden war, was möglichst wenig kostete und was keine Folgekosten nach sich ziehen würde.

Innovative Projekte waren auf einmal unbeliebt. Bewährte, erkämpfte Strukturen und Konzepte verschwanden in der Schublade, weil sie zu teuer wurden oder verzichtbar schienen.

Und es gab immer mehr, über das wir uns zunächst nur gewundert haben:

Plötzlich gab es wieder Arme und die dazu passende Mildtätigkeit: „Tafeln“, Weihnachtsgeschenke an Heim und Kleiderkammern. Und die meisten Menschen fanden das alles ganz o. k., wie es schien. Sie hofften wohl, von Arbeitslosigkeit und Armut selber verschont zu bleiben. Aber heimlich wussten sie doch wohl genau, dass es sie auch treffen könnte. Armut wurde versteckt, als Makel empfunden, als eigenes Versagen. Auch hier in den Neuen Bundesländern, wo lange Zeit Armut ein Fremdwort und was eigentlich Empörung hätte auslösen müssen. Die Zeiten, wo die Ossis zu meinem Entzücken laut im Laden protestierten, wenn sie die unglaublichen Brotpreise sahen, waren lange vorbei.. Man schämte sich neuerdings auch hier, zuzugeben, dass einem etwas zu teuer war.

Schließlich kam die Pisastudie und bewies, dass in Deutschland für Kinder aus sozial benachteiligten Familien kaum eine Chance besteht. Aber nicht diese Botschaft wurde heiß diskutiert, sondern die offenbar viel erschreckendere Tatsache, dass die besten deutschen 10.Klässler nicht in der Weltleistungsspitze dabei waren, sondern bestenfalls im mittleren Leistungsbereich. Monate lang gab es im Internet auf dem von der Bundesregierung eingestellten Diskussionsportal heftige Diskussionen, darüber, was zu tun sei. Nur bei einer der 5 gestellten Fragen kam keine einzige Reaktion. Bei dieser Frage ging es um das Probleme der so genannten „Risikogruppe“ von knapp 25% aller SchülerInnen, die faktische nicht das Niveau des Hauptschulabschlusses erreichten. Es gab kein gesellschaftliches und öffentliches Interesse an diesen Menschen. Sie wurden nicht gebraucht.

Über unsere Hochschule schwappte der Bachelor-Wahn, aber es blieb uns keine Wahl. Auch die Hochschulbildung sollte nun vor allem effizient sein, billiger aber natürlich auch besser. Die Ziele wurden vorgegeben und auch der Weg, wie sie zu erreichen sein würden. Wir sahen ohnmächtig zu, wie man einen Bildungsbegriff, der einmal etwas mit Begreifen, Reflektieren, kritisch Sein, mit Entwicklung und mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun gehabt hatte, einfach mit dem Besen raus gekehrte.

Mit Hartz IV wurden die Konturen dann richtig deutlich erkennbar. Das, was so fortschrittlich als Agenda 2010 verkauft wurde, das Versprechen von Reformen, die dann ganz und gar anders funktionierten als das, was man bisher unter Reformen verstanden hatte, die Beschimpfung der Sozialhilfeempfänger als Faulenzer und Parasiten durch den damaligen SPD-Bundeskanzler und so viele andere, die Behauptung, es läge am Einzelnen, was aus ihm würde – vom Tellerwäscher zum Millionäre, gab es das nicht schon mal? – das alles schreckte mich endlich richtig auf und machte mir klar, was inzwischen passiert war und woher der Wind pfiff.

„Es gilt doch nun „fressen oder gefressen werden“, alles andere ist doch Unsinn“, sagte mir heute eine fast 70jährige aus dem Osten, die auf die freie Marktwirtschaft schwört und noch immer die Reisefreiheit und den Konsum als die entscheidenden Werte erlebt, für die sie durchaus bereit ist, in einer darwinistischen Gesellschaft den anderen ihrs abzujagen. „Was gehen mich die Gescheiterten an? Ihr Pech. Ich hab es mir schließlich selber erarbeitet!“ Willkommen im aktivierenden Staat!

Ich sehe die Lebens- und Liebesbeziehungen, die von der täglichen Pendelei zur Arbeitsstelle über 200 Kilometer gestresst sind, die 3.Klässler, die schon jetzt mit Stress in den Augen beteuern, dass sie später einmal Abitur machen werden und viel Geld verdienen wollen. Ich sehe die Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss, die seit Jahren in den Warteschleifen der Arbeitsagenturen und ihrer Fortbildungsangebote herumhängen ohne jede Perspektive. Ich sehe die Arbeiter und Angestellten von Nokia, Siemens und all den anderen, die ganz plötzlich rausgeworfen werden und arbeitslos sind nach 20 Jahren im Betrieb. Ich sehe auch meine und anderer Leute Kinder, die in dieser Welt zu schwimmen versuchen und es ganz in Ordnung finden wie es ist. Meine Worte wirken auf sie wie die Worte alter Leute, die ihre Vergangenheit verherrlichen. Ich wünschte, es wäre wirklich so.
Ich hoffe, sie werden es trotzdem schaffen. Auch wenn jetzt die größte Krise über uns wegrollt, die es gab seit dem Krieg. Irgendwie werden sie es schaffen müssen. Aber ich fürchte mich für sie.
Die Studierenden der Sozialen Arbeit, mit denen ich zu tun habe sind in dem gleichen Alter wie meine Kinder. Auch sie versuchen, optimistisch in die Welt zu blicken und das Beste aus dem zu machen, was sie vorfinden. Dennoch sind sie sensibler für die gesellschaftlichen Veränderungen und die damit einhergehenden Problemlagen vieler Menschen. Das hängt mit ihrem Fach zusammen. Sozialarbeiter sind dicht dran an den Schicksalen vor allem der Verlierer der Gesellschaft. Sie kennen die Zusammenhänge von Biografien und gesellschaftlichen Entwicklungen. Und sie wissen genau, dass sie selber mit ihrer Berufswahl mitten in den Strudel der Ökonomisierung geraten sind. Sie wissen jedoch nicht, wie es weitergehen soll: Werden sie sich anpassen müssen? Werden sie das können? Werden sie noch die Sozialarbeit machen, die sie bei uns gelernt haben oder werden sie Erfüllungsgehilfen einer neoliberalen Gesellschaft und ihrer herrschenden Kräfte sein? Könnten sie etwas tun, um das zu verhindern? Und wie weit können sie gehen mit der Anpassung? Gibt es ethische Grenzen, hinter denen Soziale Arbeit sich nicht mehr für Menschen einsetzt sondern zu ihrem Feind wird?

Wir wissen es nicht. Aber sie sollen wissen, was auf dem Spiel steht.

Für sie schreibe ich dieses Buch. 

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Wie ich zur Sozialen Arbeit kam …

aus meinem Schwarzbuch (persönliche Erfahrungen):

Es ging mir überhaupt nicht anders als allen anderen Leuten: Ich hatte keine Ahnung, was Soziale Arbeit ist und was sie kann.

Als ich nach abgeschlossenem Psychologiestudium und noch mitten in der Promotion stehend bei der damals in Münster neu gegründeten kath. Fachhochschule vorsprach, um mich evtl. auf eine Professorenstelle zu bewerben, war die damalige Dekanin durchaus interessiert und meinte dann seufzend: „Schade, dass ich nicht Franz von Assisi bin, dann würde ich Sie hier sofort einstellen.“ Es war im Jahre 1970 und ich war für diese FH zu links, offenbar und interessanter Weise wäre ich das für Franz von Assisi nicht gewesen….

Trotzdem, ich wundere mich heute über meinen Mut oder besser gesagt über meine Ignoranz. Denn obwohl ich wirklich keinerlei Ahnung hatte, was Soziale Arbeit treibt, kann und macht – etwa im Vergleich zur Psychologie in der Psychotherapie oder einer  Erziehungsberatungsstelle – traute ich es mir locker-lustig zu, es den Studierenden beizubringen.

Als ich dann ein wenig später im Team einer Erziehungsberatungsstelle gelandet war, machte ich mir den zu uns gehörenden Sozialarbeiter vorübergehend zum Intimfeind, weil ich mein Unwissen dahingehend outete, dass ich  meinte, Sachbearbeitung im Sozialamt sei das gleiche wie Sozialarbeit.

Die GewerkschaftskollegInnen in der ÖTV allerdings brachten mir dann doch sehr schnell bei, was Soziale Arbeit eigentlich bedeutet und dass ich sie als Psychologin nicht so einfach nebenbei mit erledigen konnte

 

Ich hatte mit viel Mühe und Motivationsarbeit  für eine depressive Mutter dort in der Einrichtung einen Platz organisiert, mich aber in keiner Weise darum gekümmert, woher dafür das Geld kommen sollte. Als ich beim Telefongespräch mit der  therapeutischen Mutter-Kind-Einrichtung auf die abschließende Frage, wer das Ganze denn nun finanzieren wird, völlig fassungslos und überfordert reagierte, schwante mir allmählich, dass ich wie in einem Traumschloss agierte. Für eine Psychologin war die Finanzierung damals offenbar kein Thema und ich musste passen. Die Hilfe fand nicht statt und ich habe mich kräftig geschämt.

Und als ich das Vertrauen einer Frau aus einem Sozialen Brennpunkt gewonnen hatte, die mir ihre Erfahrungen als sexuell missbrauchtes Kind erzählte und die im Rahmen unserer Gespräche zu einem Menschen erwachte, der seine Würde wieder entdeckte, stand ich hilflos und verdutzt vor der Tatsache, dass das allein nichts in ihrem Leben ändern konnte. Sie erwartete nun verständlicher Weise, dass alles anders werden müsse: ihre Gewalt volle Ehe, ihr ganzes armseliges, im materiellen wie im psychischen Sinne armes Leben, die Alkoholkrankheit ihres Mannes, die Entwicklungsverzögerungen bei ihren Kindern…..

 

Damals begriff ich, dass Hilfe und Unterstützung für einen großen Teil der Bevölkerung nicht allein psychischer Natur sein kann. Sie brauchen mehr: Sie brauchen auch praktische Unterstützung, brauchen Unterstützung dabei, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen, es zu bewältigen und sie brauchen jemand, der Partei für sie ergreift und sich auf die Seite derer stellt, die im Vergleich zu anderen in dieser Gesellschaft zu wenig Ressourcen abbekommen haben….

Damals entschloss ich mich, nachträglich und zusätzlich noch Sozialarbeiterin zu werden. Ich studierte neben meiner Arbeit und machte es mir zur Pflicht, das Fach Psychologie in diesem Studium für mich auszuschließen und mich auf alles andere zu stürzen. Und da blieb wahrhaftig noch sehr viel übrig, von dem ich keine Ahnung gehabt und auf das ich bisher auch kaum Aufmerksamkeit gerichtet hatte.

Ich wurde also Sozialarbeiterin und 35 Jahre nach meinem ersten, naiven und überheblichen Versuch in Münster, unterrichte ich heute nun wirklich werdende SozialarbeiterInnen und dies seit 15 Jahren.

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Angst davor, die Wahrheit auszusprechen?

Wenn ich Erfahrungen anderer aus ihrer Praxis wiedergeben will, muss ich sehr vorsichtig sein. Die Angst der Betroffenen ist nicht zu übersehen. Warum haben sie Angst?

Ist es nicht mher möglich, die Wahrheit laut zu sagen?

 

aus meinem Vorwort (Schwarzbuch):

 

In der sozialarbeiterischen Wirklichkeit aber, so berichten fast alle Studierenden, wenn sie aus dem einjährigen Praktikum zurück an die Hochschule kommen, geht es heute nur noch um Geld, um Sparen oder um das Beschaffen von finanziellen Ressourcen. Zeit für notwendige kommunikative Prozesse ist oft nicht vorhanden oder wird nicht finanziert, Hilfen, die erforderlich sind, werden nicht zur Verfügung gestellt. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz z. B., das noch vom Geist der Lebensweltorientierung geprägt ist,  erscheint den Studierenden immer mehr als ein Ideal, das höchstens orientieren kann, das aber längst unbezahlbar ist. Der öffentliche Erfolgsdruck auf die MitarbeiterInnen der Jugendhilfe z.B. steigt angesichts der in den Medien breitgetretenen Skandale, gleichzeitig wird ihnen der fachliche und sozialpädagogische Handlungsspielraum genommen. In der Sozialen Arbeit machen sich in einem solchen Klima Vorgehensweisen und Menschenbilder breit, die wir mit den autoritären und fürsorglichen Ansätzen der Vergangenheit glaubten, hinter uns gelassen zu haben glaubten.

Es ist mir und meinen Kollegen, vielen unserer Studierenden und einer Reihe von kritischen Praktikern ein dringendes Anliegen, diese Entwicklungen nicht einfach hinzunehmen, uns nicht mit ihnen zu arrangieren und sie nicht als  „moderne“, zwangsläufige Entwicklung zu akzeptieren.

Gewünscht und beschworen wird deshalb von vielen eine Möglichkeit, die Wahrheit über die aktuellen Entwicklungen zu sagen und unverblümt der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dieses Buch, das in Zusammenarbeit mit  Studierenden, KollegInnen und PraktikerInnen entstanden ist, soll ein Schritt dazu sein, solchen Entwicklungen und den für sie Verantwortlichen die rote Karte zu zeigen.

Für PraktikerInnen und Studierende ist es dabei aber ganz wichtig, dass sie sich bei dem  Schritt, die Wahrheit auszusprechen, nicht gefährden, nicht als unliebsame oder unangepasste MitarbeiterInnen identifiziert und dann schlicht ausgetauscht werden.

 



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